Am Samstag hat die Ukraine den Eurovision Song Contest 2022 in Turin gewonnen – im wahrsten Sinne des Wortes mit wehenden Fahnen: Denn mit 439 von insgesamt 468 möglichen Publikumspunkten fuhr die Ukraine beim 66. ESC das beste Ergebnis ein, das je bei dem Musikwettbewerb erreicht wurde. Dass die Band “Kalush Orchestra” mit ihrem Song “Stefania” – eine Mischung aus Rap und traditionellem ukrainischen Folk – haushoch triumphieren würde, hatten nicht nur Buchmacher vorhergesagt.

Dennoch war es offenbar auch ein klein wenig Schicksal, dass ausgerechnet die junge Musikgruppe, die nach der Heimatstadt des Frontmans Oleg Psiuk benannt ist, gewann – denn eigentlich wären sie als Zweitplatzierte im Ländervorentscheid gar nicht nach Turin gefahren. Nach einer Kontroverse und dem folgenden Rückzug der ursprünglichen Gewinnerin rückte das Kalush Orchestra aber nach – und der Song “Stefania” wurde nicht nur zum weltweiten Hit, sondern auch zu einer Hymne des Krieges.

Mittlerweile hat der Song, den Psiuk eigentlich für seine Mutter geschrieben hatte, sogar für den Sänger eine neue Bedeutung erhalten, wie er in einem BBC-Hintergrund-Interview erzählt – denn Kalush Orchestra nahmen vor dem Song Contest in der Ukraine ein neues Musikvideo für “Stefania” auf. Dafür filmte die Band mitten im Kriegsgebiet – in der zerstörten Stadt Irpin, in der auch bereits Megastar Ed Sheeran sein Ukraine-Video drehte (der eXXpress berichtete).

In dem Lied geht es eigentlich um die Beziehung Psiuks zu seiner Mutter, die ihn wie eine Löwin beschützt und immer für ihn da ist und für die er immer ihr Kind bleiben wird, auch wenn er bereits erwachsen ist. Doch nun steht Psiuks Mutter sinnbildlich für alle Mütter der Ukraine, und die Ukraine selbst –  seine Worte für alle Kinder der Ukraine, alle Ukrainer selbst. Im Video sieht man die Bandmitglieder – alle verbliebenen, denn einer blieb zurück, um im Krieg zu kämpfen – inmitten der zerstörten Häuser und Ruinen, und Szenen in denen tapfere Frauen in Militärmontur Kinder aus der zerbombten Stadt retten und auf mühsamem und gefährlichen Wege in Sicherheit bringen, bevor sie selbst zurück an die Front kehren – und einer ungewissen Zukunft entgegenblicken.

Die Bilder aus dem Video gehen unter die Haut und rühren zu Tränen – bereits weniger als 24 Stunden nach Veröffentlichung hatte das Video knapp sechs Millionen Views auf YouTube, und es kommen sekündlich neue dazu. Einige YouTuber nahmen auch bereits “Reaktionsvideos” dazu auf.

Nach ihrem Sieg beim Songcontest kehren Kalush Orchestra zurück in die Ukraine, um für ihr Land zu kämpfen – ihre ESC-Trophäe wollen sie versteigern, um Geld für die Verteidigung und den Wiederaufbau ihrer Heimat zu lukrieren. Der ESC-Triumph hab den ukrainischen Truppen, die den Contest teilweise aus Kellern mitverfolgten, einen enormen moralischen Boost – und wurde entsprechend gefeiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte an, den nächsten Songcontest im kommenden Jahr in Mariupol – der wohl bislang am heftigsten vom Krieg betroffenen Stadt der Ukraine – ausrichten zu wollen.