Argentinien steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die Armutsrate liegt bei 45 Prozent, ohne staatliche Sozialprogramme sogar bei 50 Prozent. Kinder und Jugendliche sind besonders betroffen: 62 Prozent von ihnen leben in Armut. Die Inflation hat sich auf 200 Prozent pro Jahr verdreifacht. Das einst reichste Land der Welt hatte in den letzten Jahrzehnten schwere Zeiten hinter sich.

Frischer Wind nach Jahren im sozialistischen Sumpf.

Bei der letzten Wahl hat der Ökonom Javier Milei mit seiner Bewegung La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) in der Präsidentenstichwahl die Nase vorne. Während sich Unternehmen, Landwirtschaft und Börse zufrieden zeigen, demonstrieren in der argentinischen Hauptstadt Gewerkschaften und Sozialverbände gegen die radikalen Marktreformen des neuen Präsidenten Milei.

56 Prozent der Stimmen konnte er mit seinem Wahlprogramm für mehr Privatisierung, Deregulierung, Entbürokratisierung und drastische Verschlankung des Staatsapparates gewinnen. Für Politiker sind dies eher außergewöhnliche Forderungen.

Die gespaltene Reaktion auf libertäre Wirtschaftsreformen.

Javier Milei als überzeugter Wirtschaftsliberaler machte im Wahlkampf keinerlei Hehl daraus, dass er die Samthandschuhe eher nicht aus dem Kasten holen wird. Sein Symbol im Wahlkampf war die Kettensäge – legendär auch sein Video, in dem er Schilder der Ministerien mit dem Wort „abgeschafft“ von einer Tafel reißt. Innerhalb von Tagen setzte Argentiniens neuer Präsident die angekündigte „Schocktherapie“ mittels Notstandsgesetze um. Gewerkschaften und der von Kürzungen betroffene Staatsapparat protestieren.

Ob die wirtschaftsliberalen Reformen erfolgreich durchgeführt werden können und Früchte tragen, ob die Bindung an den Dollar und die angekündigte Austeritätspolitik die inflationsgeplagte Bevölkerung Argentiniens aus der Misere führen können, wird die Zukunft zeigen. Die Beliebtheitswerte des Präsidenten zeigen, dass die Argentinier mit ihrer Wahl zufrieden sind – nicht jedoch die österreichische Presse.

Der Kampf um die politische Etikettierung eines libertären Polikers.

Privatisierung, Deregulierung, Entbürokratisierung, Verschlankung des Staatsapparates, Wirtschaftsliberalismus bis hin zum Libertarismus sind Begriffe, bei denen es einem Großteil der journalistischen Zunft in Österreich die Nackenhaare aufstellt. Schon bei der Einordnung in das politisch unabdingbar gewordene Rechts-Links-Spektrum spielten sich atemberaubende Szenen ab und es dauerte Wochen, bis ein Titel gefunden war.

Der Titel „Populist“ war Milei von Anfang an sicher. Jeder, der auch nur im Entferntesten daran denkt, die staatliche Abgabenlast der Bevölkerung zu reduzieren und den staatlichen Einfluss auf Privatpersonen zu minimieren, muss in Europa zwangsläufig ein Populist sein.

Wie User @chr_hofer auf Twitter schrieb: „Der große Fehler von Milei war, dass er staatliche Betriebe privatisiert, den Staatssektor schrumpft und die Wirtschaft dereguliert. Würde er hingegen ein paar Reiche mit Sonderdekreten enteignen und weiter ungedeckte Schecks verteilen, hätte Austro-Twitter einen neuen Helden.“

Letztendlich einigte man sich auf „rechtspopulistischer Anarchokapitalist“. Eine Basis auf deren Grundlage ist eine grundsätzliche Diskussion über die Positionen von Javier Milei schwer möglich. Vermutlich war aber auch das das Ziel. Dabei sind die grundsätzlichen Inhalte nicht schwer zu verstehen: Mehr Privat, weniger Staat.

Während die Argentinier vielleicht auch aufgrund ihrer sozialistischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte Unterstützung für die drastischen Maßnahmen zeigen, bleibt die österreichische Presse skeptisch. Logisch, denn alles, was den Staat auch nur einen Millimeter aus dem Leben der Menschen drängen könnte, ist und bleibt aufs Tiefste populistisch.