Nun attackiert die palästinensische Terrororganisation Hamas den niederländischen Wahlsieger Geert Wilders. Dabei beruft sie sich – ganz ohne Ironie – ausgerechnet auf das Völkerrecht, das sie selbst permanent bricht. Man denke nur an ihre Dauerangriffe auf israelische Zivilisten, das verheerende Massaker vom 7. Oktober und den Missbrauch der eigenen Zivilisten als Schutzschilder.

Der Anlass für die Stellungnahme: Wilders hatte es gewagt, sich zum Nahostkonflikt zu äußern, und dabei mit einem provokanten Vorschlag für allgemeine Erregung gesorgt. Allerdings kann sich der niederländische Politiker auf historische Tatsachen berufen, die heute meist ausgeblendet bleiben.

Geert Wilders von der Partei für die Freiheit (PVV) bei der Stimmabgabe.APA/AFP/Phil Nijhuis

Geert Wilders: „Jordanien ist Palästina“

„Jordanien ist Palästina”, erklärte Geert Wilders am Samstag auf X. Der Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV), der größten Partei der Niederlande, unterbreitete überdies einen radikalen Vorschlag: Der israelisch-palästinensische Konflikt solle durch die Umsiedlung der Palästinenser nach Jordanien gelöst werden. Damit wäre das Thema „Schaffung eines palästinensischen Staates“ vom Tisch.

Empörung in der gesamten arabischen Welt

Wenig überraschend folgte eine Welle der Empörung, schließlich widersprechen Wilders Äußerungen dem breiten internationalen Konsens für eine Zwei-Staaten-Lösung. Scharfe Kritik erntete seine Anregung etwa vom palästinensischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und Ausländer: „Die Äußerungen von Geert Wilders sind nicht nur beleidigend, sondern auch gefährlich. Sie leugnen das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und einen eigenen unabhängigen Staat“, erklärte Botschafter Sufyan Qudah, der offizielle Sprecher des Ministeriums.

Die Außenminister der Arabischen Liga bei einem Treffen in KairoAußenministerium von Quwait / Handout/Anadolu Agency via Getty Images

Ebenso ließ der jordanische Außenminister wissen: „Jordanien lehnt jeden Vorschlag ab, der die Rechte des palästinensischen Volkes oder sein Streben nach einem unabhängigen Staat untergräbt.“ Ähnlich fielen die Reaktionen anderer führender Politiker und Beamter – etwa aus Ägypten und Saudi-Arabien – aus. „Eine solch hetzerische Rhetorik von Wilders beleidigt nicht nur die palästinensische Geschichte, sondern missachtet auch das Völkerrecht und den menschlichen Anstand”, erklärte ein Sprecher der Arabischen Liga.

Hamas sieht UNO am Zug wegen Bruch des Völkerrechts

Skurril war unterdessen die Reaktion der palästinensischen Terrororganisation Hamas: Sie verurteilte „die rassistische Äußerung des niederländischen Extremisten“, und erklärte: „Wir rufen die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen auf, diese rassistische, faschistische Erklärung zu verurteilen, die gegen das Völkerrecht (sic!) und das Recht unseres Volkes auf sein Land verstößt“.

Terroristen der Izz al-Din al-Qassam-Brigaden, des militärischen Flügels der HamasYousef Masoud/Majority World/Universal Images Group via Getty Images

Bisher hat sich die Hamas noch nie um das Völkerrecht geschert, und weder auf israelische, noch auf palästinensische Zivilisten Rücksicht genommen. Selbstmordanschläge, Brüche von Waffenstillständen, ein beispielloses Massaker am 7. Oktober, bei dem mehr als 1300 Menschen getötet und 236 als Geiseln genommen wurden, anhaltende Raketenangriffe, die auch Palästinenser treffen, sowie der Missbrauch der eigenen Bürger als Schutzschilde: All das gehört wie selbstverständlich zur Vorgangsweise der Terrororganisation.

Jüdische Heimstätte – vom Jordan bis zum Mittelmeer…

So provokant Wilders Äußerungen aber auch sein mögen, und so stark sie im Widerspruch zum heutigen Konsens stehen: Ahistorisch sind sie nicht.

Der Völkerbund, der Vorläufer der Vereinten Nationen, hat vor mehr als hundert Jahren die Aufteilung der vom türkischen Reich befreiten Gebiete festgelegt. 96,3 Prozent sollten arabische Staaten werden, 3,7 Prozent waren für die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk reserviert. Damit wurde dem jüdischen Volk das gesamte Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer zugewiesen. Großbritannien erhielt das Mandat, diese Entwicklung zu beaufsichtigen.

Im Jahr 1946 erlangte Jordanien, das zu 80 Prozent aus palästinensischen Arabern besteht, die Unabhängigkeit. Im restlichen Gebiet des britischen Mandats wurde als einziger Staat Israel gegründet. Normalerweise orientieren sich gemäß dem Völkerrecht die Grenzen eines neuen Staates eigentlich an der vorherigen Einheit – in diesem Fall an denen eines Mandats. Das geschah aber nicht. Kritiker der palästinensischen Ansprüche räumen seither ein: Jordanien ist bereits das eigentliche Palästina, während der Rest ein Vorwand ist, um Israel zu vertreiben. Die Begriffe Westbank und Ostbank wurden erst später eingeführt.

Israel war so gesehen bereit, auf historische Rechte des jüdischen Volkes zu verzichten, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen – der aber bis heute auf sich warten lässt. Ein jüdischer Staat in den ursprünglichen Grenzen erscheint mittlerweile vielen als abwegig, aber ahistorisch ist der Vorschlag nicht.