Wie hoch sind bisher österreichweit die Umsatzausfälle durch das Schließen des Handels?

Pro Lockdown-Woche verliert der österreichische Handel rund eine Milliarde Euro. Es ist eine einfache Rechnung: Der Handel macht im Jahr 77 Milliarden Euro Umsatz, 53 Milliarden davon im Non-Food-Handel, das ergibt zirka eine Milliarde pro Woche abseits der Gastronomie. Was darüber hinaus wichtig ist: 90 Prozent der Umsätze werden über das Geschäft abgewickelt, nur ein Zehntel über den Online-Handel.

Über alle Branchen hinweg sind die Umsätze im Corona-Jahr 2020 um 6 Prozent eingebrochen. Einer neuen Umfrage zufolge rechnen 75 Prozent aller Händler damit, dass sie 2021 noch mehr Verlust machen werden als 2020. Das ist alarmierend.

"Antigen-Tests als Bedingung für den Zutritt lehnen wir ab"

Es gab umfassende Staatshilfen.

Die waren gut, aber sehr bürokratisch und kamen häufig erst um sechs Monate zu spät an.

Laut Informationen aus Regierungskreisen wird ab Mitte Mai alles – auch der Handel – wieder aufsperren, allerdings unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. 

Antigentests als alleinige Bedingung für den Zutritt zum Handel lehnen wir ab, weil die Menschen in Umfragen zu 80 Prozent sagen: Dann gehe ich nicht ins Geschäft. Der Handel würde zwei Drittel aller Umsätze verlieren. Wir haben auch mit Händlern in Deutschland gesprochen, wo das so gehandhabt wurde. Dort stehen jetzt viele Unternehmen vor der Insolvenz. Der Handel hat nicht den Anreiz für die Menschen, extra einen Zutrittstest zu machen. Im Übrigen ist es nicht durchführbar: Mitarbeiter würden zu Securities umfunktioniert. Geschäfte müssten Millionen von Antigentests an einem Tag kontrollieren. Das ist realitätsfremd und würde nicht funktionieren. Es würde die Mitarbeiter schlicht überfordern.

"Menschen machen nicht extra einen Zutrittstest für den Handel"APA/AFP/JUSTIN TALLIS

"Die Zahl der immunen Personen steigt permanent"

Was ist Ihr Vorschlag?

Nach mehr als einem Jahr Pandemie haben es sich alle Menschen verdient zu wissen, ob sie schon mal das Virus hatten. Der Simulationsforscher Nikolaus Popper hat selbst gesagt: Er schätzt, jeder vierte Österreich trägt bereits die Immunisierung aufgrund einer Infektion in sich. Gleichzeitig werden glücklicherweise immer mehr Menschen geimpft. Mit anderen Worten: Die Zahl der immunen Personen steigt permanent wegen der Impfungen und der Infektionen. Niki Popper geht von zwei Millionen Menschen aus.

Deshalb sollen alle Menschen in Österreich die Möglichkeit auf einen kostenlosen Antikörper-Befund haben, etwa über eine Blutabnahme beim Hausarzt. Wenn dieser Befund das Ergebnis ergibt, dass jemand bereits eine ausreichend hohe Zahl an Antikörpern hat, soll er drei Monate lang zum Friseur, zum Masseur oder ins Gasthaus gehen können, ohne sich dafür testen lassen zu müssen. Das wäre ein Weg, um zur Normalität zurückzukehren.

"Ein positiver Antikörper-Test spart 50 Antigen-Tests"

Und für jene, die keine Antikörper haben?

Die müssten dann wie bisher die Antigen-Tests machen. Es geht um ein Sowohl-Als-Auch.

Unsere Lösung ist praxisorientiert: Ein positiver Antikörper-Test erspart dem Betreffenden 50 Antigentests. Unsere Idee würde die Teststraßen massiv entlasten. Andernfalls müssten sich weiterhin alle – Reinigungskräfte, Elektriker und so weiter – permanent alle zwei Tage testen lassen. Das ist unsere Chance, zum alten Leben zurückzukehren, denn wir alle hoffen, dass in drei Monaten diese Tests gar nicht mehr nötig sind.

Rainer Will, Jahrgang 1979, ist Ökonom, Buchautor und seit 2014 Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbandes.Stephan Doleschal

Sie halten das für umsetzbar?

Die Labors haben uns schon gesagt: Sie sind in den Startlöchern, um diesen Vorschlag sofort umzusetzen. Auch für die Betroffenen hat das einen Mehrwert, denn sie wissen dann, ob sie überhaupt eine Impfung brauchen, oder ob sie drei Monate damit warten können, damit in der Zwischenzeit andere geimpft werden, die das dringender brauchen.

"Erneute Schließung des Handels nicht zu rechtfertigen"

Sie haben den vierten Lockdown in der Ostregion von Anfang an scharf kritisiert und bestritten, dass er mit Blick auf den Handel aus gesundheitspolitischer Sicht sinnvoll ist.

Aus unserer Sicht ist es nicht zu rechtfertigen, dass man den Handel erneut geschlossen hat. Wir sind kein Corona Hotspot, das belegen unzählige Studien. Auch die AGES hat klar ermittelt: 70 Prozent aller Corona-Infektionen geschehen im Privatbereich, weitere 15 Prozent in der Freizeit. Seien wir ehrlich: Wir treffen gerne Nachbarn und Freunde. Die Lockdowns haben ihre Wirkung weitgehend verloren. Das zeigen die Mobilitätsdaten ganz klar. Ebenso wurde in Frankreich unter Macron eine Studie in Auftrag gegeben, für die 70.000 Corona-Infizierte interviewt wurden. Das Ergebnis war eindeutig: Der Handel ist ebenso wenig ein Corona-Hotspot wie der Friseur oder Sport im Freien.

Friseur und Handel sind kein HotspotAPA/AFP/Angela Weiss

Wir hatten Verständnis für den ersten Lockdown, bei dem wir noch nicht wussten, wie das Virus überhaupt wirkt. Aber nun ist die Situation eine andere. Und: Wir müssen mit dem Virus leben und wirtschaften. Das ist unser Mantra.

"Im Handel kann man sich de facto nicht anstecken"

Sie rechnen damit, dass das Virus uns noch längere Zeit beschäftigen wird?

Wir können nicht ausschließen, dass Virusvarianten weiterhin regionale Ausbrüche verursachen werden. Das könnte um den Herbst herum wieder der Fall sein. Deshalb sind wir für den Weg der Differenzierung, um den Handel offen zu halten. Dafür gibt es ja auch bewährte Sicherheitskonzepte, die wir als Reaktion auf die britische Variante etabliert haben: Beim Sicherheitsabstand haben wir den Baby-Elefanten mit dem erwachsenen Elefanten getauscht. Mittlerweile gelten in den Geschäften 20 Quadratmeter statt 10 Quadratmeter Geschäftsfläche pro Kunde. Vom Mund-Nasen-Schutz sind wir auf FFP2-Masken umgestiegen.

Im Handel kann man sich de facto nicht anstecken, das hat sogar der Bundeskanzler gesagt. Umso verwunderlicher war für uns, dass in Ostösterreich neuerlich ein harter Lockdown beschlossen wurde, der – was ja durchaus positiv ist – nicht für bestimmte Bereiche wie Industrie und Bau gilt, sehr wohl aber für den Handel. Im Nachhinein wird sich wissenschaftlich beweisen, dass der Handel zu Unrecht zugesperrt war.

"Bei Abstand und Maske ist Schlangenbildung kein Problem"APA/AFP/ALEX HALADA

"Müssen uns aus der Krise hinausfinanzieren"

Warum sind Sie so optimistisch, dass es so schwer ist, sich im Handel anzustecken?

Der Handel hat zwei Charakteristika: kurze Aufenthaltsdauer und loser Kundenkontakt. Gleichzeitig wissen wir, dass sich das Corona-Virus bei zu geringem Abstand überträgt oder wenn man zu lange im selben Raum ist. Wenn man sich näher als zwei Meter gekommen ist und länger als 15 Minuten zusammen war, gilt man als K1 Kontaktperson. Im Geschäft sind die Menschen im Schnitt 13 Minuten lang – also kürzer. Wir haben darüber hinaus in unseren Sicherheitskonzepten noch zusätzliche Maßnahmen beschlossen wie mehr Frischluft. Die Schlangenbildung vor den Geschäften ist bei Abstand und Maske aber kein Problem, sondern Ergebnis der gesundheitspolitischen Vorgaben.

Damit der Handel anspringt, braucht es eine positive Grundhaltung in der Bevölkerung und ein Klima der Zuversicht. Konsum ist Psychologie. Die Sparquote hat sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Das ist einzigartig seit dem Zweiten Weltkrieg. Ob erwerbstätig, in Kurzarbeit oder arbeitslos: Die Menschen haben ihre Investitionen zurückgestellt. Wir müssen uns aus der Krise wieder hinausfinanzieren.