Blickt man auf die Straßen von Lagos, sieht man nur selten eine Maske oder dass Abstände eingehalten werden. Die nigerianische Regierung veranlasste zwar im Frühling 2020 einen Corona- Lockdown, die wirtschaftlichen Folgen waren allerdings so verheerend für die Bevölkerung, dass seitdem keine weiteren einschneidenden Maßnahmen beschlossen worden sind – auf eigene Verantwortung. Denn: In vielen Teilen der Bevölkerung ist Hunger eine größere Bedrohung als die Pandemie.

Ein Viertel der Bevölkerung scheint immun zu sein

Im Herbst 2020 hatten Forscher Blutproben bei 10.000 Probanden in vier nigerianischen Teilstaaten gesammelt, unter anderem in Lagos. Das Resultat: 23 Prozent der Proben aus Lagos wiesen Sars-CoV-2-Antikörper auf. Das heißt: Hochgerechnet auf die Bevölkerung von geschätzt 15 Millionen hätten sich alleine in Lagos mehr als drei Millionen Menschen bereits mit dem Coronavirus angesteckt. Ein halbes Jahr später muss man von hunderttausenden, wenn nicht sogar einer Million mehr Immunisierten ausgehen. Offiziell zählt Nigeria allerdings im ganzen Land nur 160.000 Infizierte.

Ein Grund wieso auf Lagos Island niemand jemanden kennt, der an Corona erkrankt ist, könnte sein, dass die Symptome einer Malaria-Erkrankung denen des Coronavirus ähneln. Mehr als 80 Prozent der protokollierten Corona-Krankheitsverläufe verliefen asymptomatisch und mild – deswegen dachten viele, an Malaria erkrankt zu sein.

Sich mit einem Test Klarheit zu verschaffen, steht für die meisten Menschen nicht zur Debatte, denn: Die Tests sind teuer, kosten teilweise gleichviel wie in der Schweiz. Dies ist für den Großteil der Nigerianischen Bevölkerung schlicht und einfach nicht leistbar.

Auch bei den Bestattungsunternehmen ist Corona nicht angekommen. Ein Bestatter aus Lagos berichtete, im letzten Jahr nur 10 Menschen bestattet zu haben, deren Todesursache der Coronavirus war.

"Afrika-Paradoxon"

Weshalb genau die Menschen in Lagos so wenige Todesfälle aufgrund des Virus zu beklagen  haben, kann niemand so genau sagen. Experten nennen immer wieder mehrere Gründe, die miteinander zusammenhängen: Die Bevölkerung ist jung, in ihrem Umfeld oft Viren ausgesetzt und ihr Immunsystem läuft dauernd auf Hochtouren. Auch das warme Klima könnte ein Grund für die milden Verläufe sein. Die Experten nennen diese miteinander zusammenhängenden Faktoren schlicht und einfach das Afrika-Paradoxon.