Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Inflationsprognose für 2022 fast verdoppelt. Ihre Ökonomen sagen jetzt eine durchschnittliche Teuerungsrate in der Währungsunion von 3,2 Prozent voraus, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Im September waren sie noch von 1,7 Prozent ausgegangen.

Bereits für das zu Ende gehende Jahr 2021 hat die EZB ihre Inflationsprognosen mehrmals nach oben korrigieren müssen, und zwar deutlich. Zunächst war sie im Jänner davon ausgegangen, dass die Inflationsrate in diesem Jahr durchschnittlich 0,9 Prozent  betragen werde. Zuletzt hatte sie mit 2,2 Prozent gerechnet. Nur wird der Jahresschnitt voraussichtlich 2,6 Prozent betragen. Im Monat November erreichte die Teuerungsrate in der Euro-Zone immerhin 4,9 Prozent.

EZB glaubt ab 2023 wieder an eine niedrigere Inflation

“Die Inflation dürfte kurzfristig hoch bleiben, aber sich im Laufe des kommendes Jahres abschwächen”, vermutet nun EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie begründet dies so: “Die Energiepreise sind deutlich gestiegen, während in einigen Branchen ein Mangel an Material, Ausrüstung und Arbeitskräften herrscht.” Daher werde die Teuerungsrate wohl im kommenden Jahr die meiste Zeit über der Marke von 2 Prozent verharren, die sich die EZB als Ziel gesetzt hat.

Erstmals blickt die EZB noch weiter in die Zukunft. Ihre Prognose erstreckt sich auch auf die Jahre 2023 und 2024. Im übernächsten Jahre werde die Teuerungsrate wieder bei 1,8 Prozent liegen – bisher war die EZB von 1,5 Prozent ausgegangen – und auf diesem Niveau werde sie 2024 auch verharren.

Hohe Inflation setzt EZB unter Rechtfertigungsdruck

Eine stark erhöhte Inflation setzt die EZB mittel- und langfristig unter massiven Druck, denn sie macht es der EZB zunehmend schwer, ihre ultralockere Geldpolitik zu rechtfertigen. Offiziell begründet die EZB ihre Politik mit ihrem Inflationsziel, das eine jährliche Teuerungsrate von durchschnittlich zwei Prozent vorsieht. Bei einer anhaltenden Preissteigerung über diesem Wert wäre die EZB gemäß ihren eigenen Zielsetzungen eigentlich gezwungen, die Zinsen anzuheben und ihre Anleihekaufprogramme zu beenden. Doch Beobachter bezweifeln, dass das geschehen wird.

Zwar wird die EZB ihr Anleihekaufprogramm PEPP, das sie im Zuge der Corona-Krise gestartet hat, zum März 2022 auslaufen lassen. Das ältere Kaufprogramm APP läuft aber vorerst unbegrenzt weiter, und eine Zinswende kündigt sich ebensowenig an. Viele halten eine Steigerung des Leitzins auch für unwahrscheinlich, denn im Kern, so sagen sie, geht es der EZB um etwas anderes: Sie will die hochverschuldeten Staaten schonen.

Kritiker zweifeln die Prognosen der EZB an

“Bereits nur moderate Zinserhöhungen könnten die Schuldentragfähigkeit der meisten EU-Mitgliedsstaaten sofort belasten”, sagt der Marktanalyse Norbert Tofall. “Und eine Zinswende, die diesen Namen auch verdient, dürfte die Schuldentragfähigkeit einiger EU-Mitgliedstaaten wie beispielsweise Italien sogar sprengen. Dass ein italienischer Staatsbankrott Auswirkungen auf die ganze Eurozone hätte, liegt auf der Hand.” Auch Frankreichs Schuldentragfähigkeit werde selbst bei moderaten Zinserhöhungen enorm belastet.

Der EZB fällt es somit auch leichter ihre Maßnahmen zu rechtfertigen, wenn sie zumindest ab übernächstem Jahr wieder wieder mit einer niedrigeren Inflation unter zwei Prozent rechnet. Manche Beobachter kritisieren darüber hinaus auch die Prognose-Tools der EZB: Diese würden die Rolle der EZB als Inflationstreiber ausblenden, da sie die Geldmengenausweitung durch die EZB nicht ausreichend berücksichtigten.