Es ist eine Farce, allerdings eine höchst verräterische. Ein „Profil“-Bericht über geplante Strafmaßnahmen gegen Falschinformationen erntet zuerst großes Interesse. Dann entpuppt er sich als falsch. Peinlich. Hier wurden Fake News über Maßnahmen gegen Fake News verbreitet, denkt man sich. Vermutlich lag aber ein Irrtum oder ein Missverständnis vor (und das ist nicht dasselbe, wie das absichtliche Streuen von Falschmeldungen).

Etwas höchst Bedenkliches trat aber zutage: Manche Meinungsmacher und Politiker haben mit einer solchen Zensur offenbar kein Problem.

Nein, wir planen keine Strafen für Fake News, versichert Österreichs Nachrichtendienst DSN. Im Bild: DSN-Leiter Omar Haijawi-Pirchner.APA/EVA MANHART

Beschneidung der Meinungsfreiheit als „Kollateralschaden“?

Am Mittwoch erscheint online besagter Artikel des Wochenmagazins „Profil“. Ihm zufolge will der Staatsschutz künftig „Fake News“ unter Strafe stellen. „Staatsschutz fordert Strafen für Fake News“, titelt „Profil“. „Die Verbreitung von Fake News soll unter Strafe gestellt werden“, heißt es weiter. Großteils unkritisch wird darüber berichtet, unter Berufung auf ein Hintergrundgespräch mit einem anonym bleibenden Nachrichtendienstler: „Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und ihr Chef Omar Haijawi-Pirchner wollen künftig strafrechtlich gegen die Verbreiter von Desinformation vorgehen.“ Wow!

Orwell lässt grüßen: der „Profil“-BerichtScreenshot/profil.at

Der Bericht räumt ein: Die Forderung sei „heikel“: „Ein Fake-News-Paragraf wäre ein mächtiges Instrument für die Ermittlungsbehörden und könnte im Extremfall die Meinungsfreiheit beschneiden.“ Der anonyme DSN-Mitarbeiter rechtfertigt das: „Natürlich schließen wir mit einem Paragraphen nicht die russischen Trollfabriken, aber können so gegen die in Österreich ansässigen Individuen, welche im Zweifelsfall viel mehr direkten Einfluss durch ihre Desinformation ausüben, aktive Maßnahmen einleiten.“

Der Staat müsste selbst definieren, was „Wahrheit“ ist

Unerfahrene Telegram-, Twitter- und YouTube-Nutzer, die auf tatsächliche – oder vermeintliche – Falschnachrichten hineinfallen und sie verbreiten, könnten sich dann strafbar machen. Es wäre das Ende der Meinungsfreiheit und des offenen Austausches. Denn jeder müsste fürchten, vorschnell eine strafbare Meldung verbreitet zu haben. Die Freiheit zu irren wäre abgeschafft.

Vor einem Ministerium, das festlegt, was „wahr“ ist und was nicht, hat George Orwell (Bild) in „1984“ eindringlich gewarnt.

Dass hier nichts Geringerem, als einem „Ministerium für Wahrheit“ das Wort geredet wird, scheint den Artikelschreiber nicht weiter zu interessieren. Genau davor hat der britische Schriftsteller George Orwell in seinem dystopischen Zukunftsroman „1984“ gewarnt. Um Unwahrheit zu bestrafen, muss man sich zuerst anmaßen, selbst zu definieren, was Wahrheit ist. Bei Orwell wird das „Ministerium für Wahrheit“ prompt zu jener Troll-Armee, vor der im Artikel gewarnt wird. Permanent werden dort Medienberichte und Dokumente manipuliert und revidiert, bis sie auf Staatslinie sind.

Liberale Staaten haben sich noch nie als Verkünder der Wahrheit gesehen. Sie stellen sich vielmehr dem Wahrheitsfindungsprozess nicht in den Weg.

DSN dementiert: Diese Forderung von uns gibt es nicht

In der Zwischenzeit hat sich der Staatsschutz selbst zu Wort gemeldet. In einer Aussendung erklärt er: „Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst hält fest, dass es keine Forderung seitens der DSN gibt, Fake News unter Strafe zu stellen.“ Der Bericht über den Kampf gegen Falschinformation entpuppte sich als falsch.

Journalisten und Politiker träumen von Zensur gegen den eXXpress

Doch bevor der Irrtum zutage getreten ist, wurde der „Profil“-Artikel auf Twitter eifrig geteilt. Der Chefredakteur der umstrittenen Wiener Wochenzeitschrift „Falter“, Florian Klenk, brachte den Inhalt sofort mit dem eXXpress in Verbindung – denn wer, wenn nicht wir, sind für ihn Verbreiter von „Fake News“. Keine Frage: Meldungen, die manchen nicht passen, sind demnach „Fake News“. Doch genau aus diesem Grund gibt es die Pressefreiheit.

In einer Werbung für „Falter“-Abos warnt Klenk: „Der Journalismus gerät gerade durch Politik, Behörden und Propaganda unter Druck.“ Hätte sich der „Profil“-Bericht als wahr entpuppt, dann hätte Klenk mit seiner Warnung sogar Recht gehabt. Doch beim Teilen des für ihn offenbar unbedenklichen Artikels hat er auf seine mahnenden Worte wieder vergessen, wie es scheint.

Florian Klenk: Wenn der Staatsschutz Fake News verbieten will, findet er das anscheinend nicht bedenklich. Dass solche Zensur auch ihn selbst treffen kann, bedenkt er anscheinend nicht.

NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper nimmt den Artikel ebenfalls zum Aufhänger, um gegen den eXXpress zu wettern. Als Politikerin einer liberalen Partei könnte sie sich auch um die Meinungsfreiheit sorgen.

Die NEOS berufen sich auf den Liberalismus. Dann sollten sie nicht vergessen, dass Wegbereiter des Liberalismus immer jegliche Zensur bekämpft haben. Im Bild: Stefanie Krisper.APA/HELMUT FOHRINGER

Echte Freiheit gilt nicht nur für einen selbst

Kleine Anmerkung am Ende: Kein repressives Regime hat die freie Meinungsäußerung je im Namen von Zensur und Unfreiheit unterdrückt. Diktatoren warnten nur vor Gefahren für Staat und Sicherheit, und vor Destabilisierung – und dagegen müsse man sich ja schützen. Wenn sie von „Freiheit“ sprechen, meinen sie immer nur eine bestimmte Freiheit, nämlich jene, ihre eigene Weltsicht zu verkünden.

Eine pluralistische Gesellschaft bleibt eben nur erhalten, wenn man die Meinungen, Sichtweisen Anderer erträgt, wenn man unterschiedliche Auffassungen über tatsächlich Geschehenes zulässt. Das erfordert aber eine gewisse Reife. Gefährlich wird es, wenn sie verloren geht.