Es ist das Jahr 2015. Die Fußballer von El Buhari sind gerade Vizemeister eines österreichischen Kleinfeld-Turniers geworden. Für ein Foto posieren sie mit der Flagge Albaniens. Ihr jüngster Spieler hebt den rechten Zeigefinger zum „IS-Gruß“. Fünf Jahre später wird er neun Minuten lang durch die Wiener Innenstadt laufen, wahllos mit einem Sturmgewehr auf Menschen schießen, vier von ihnen töten.

„Aus dem wird einmal was!“

Die Mannschaft ist nach der El-Buhari Moschee in Wien-Meidling benannt. Die albanische Gemeinschaft trifft sich dort zum Gebet. Aber auch eine gewisse Nähe zu radikalen Kräften wird dem Gebetshaus nachgesagt. Klar ist, dass zumindest der zugehörige Fußballverein eine wichtige Station im Leben des späteren Attentäters von Wien war.

„Aus dem wird einmal was“, soll ein Schiedsrichter nach einem Spiel über den talentierten Kujtim F. gesagt haben. Die Wurzeln des in Wien geborenen F. liegen in der albanischen Volksgruppe in Nordmazedonien. Kurz vor seiner Geburt zogen die Eltern aus einem Dorf außerhalb von Tetovo nach Mödling. Der Vater arbeitete als Gärtner, die Mutter fand Arbeit im Einzelhandel. Viel Zeit für den kleinen Kujtim und dessen Schwester blieb dem fleißigen Paar nicht. Immer wieder kam es zu Problemen und Streit. Auch Gewalt soll in der Familie keine Seltenheit gewesen sein. Seinen Arbeitskollegen berichtete der Vater einmal, er habe die Kontrolle über seinen Sohn verloren.

Kujtim F. rutschte in seiner Jugend immer tiefer ins Islamisten-Milieu ab, suchte Halt und ließ sich zunehmend verführen und radikalisieren. Obwohl in Wien aufgewachsen, war er niemals wirklich Teil der österreichischen Gesellschaft. In seiner Fußballmannschaft etwa spielten ausschließlich Albaner. Das erklärt auch das Team-Foto mit der Flagge Albaniens.

Nationalismus und Islamismus – wie passt das zusammen?

„Eigentlich gar nicht. Es schließt sich sogar aus. Trotzdem sehen wir immer wieder, dass der Nationalismus oft eine Einfallstüre für radikalen Islamismus ist“, erklärt Irfan Peci gegenüber dem eXXpress und bringt als Beispiel die rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe ins Spiel, die immer wieder Überschneidungen mit Islamisten aufweisen. Der Al-Qaida-Aussteiger Peci gilt als einer der führenden Experten zum Thema Islamismus im deutschsprachigen Raum. Seit Jahren warnt er vor genau jenen Entwicklungen, die auch Kujtim F. genommen hatte.

Islamismus-Experte Irfan Peci geht im Netz als „Islamistenjäger“ auf Jagd nach radikalen FanatikernBild: Irfan Peci zVg

„Es wird oft gesagt, Sport sei wichtig für die Integration. Doch in der Realität passiert in den Vereinen meist genau das Gegenteil. Die Türken haben ihre eigenen Teams, die Albaner bleiben unter sich und die Österreicher sowieso. Es wird viel zu oft eine klare Trennung zwischen den Sprachen und Kulturen gelebt“, so Peci.
Gerade das Sportangebot vieler Moscheen müsse man sich genauer ansehen. Tatsächlich handelt es sich bei zwei der nach dem Attentat vom 2. November verhafteten Personen um Fußballfreunde von F.

Haftstrafe festigte wohl seine Überzeugungen

Ende August 2018 plante Kujtim F. nach Syrien zu reisen, um dort für den „Islamischen Staat“ (IS) zu kämpfen. Doch zu jener Zeit kontrollierte die Terrormiliz nur noch ein kleines Gebiet am Euphrat. Das Schleusen über die Grenze von der Türkei aus misslang und F. wurde schließlich von türkischen Polizisten verhaftet. In Österreich dafür im Jahr 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, wurde er dort von Sozialarbeitern betreut, die sich auch um seine Deradikalisierung kümmern sollten. Die Haftstrafe war rückblickend aber nur die nächste wichtige Station in der Festigung seiner Überzeugungen. F. wurde nach zwei Dritteln seiner verbüßten Strafe freigelassen. Das Gericht gewichtete seine Jugend, die gute Führung im Gefängnis und die positive Zukunftsperspektive höher als alle Zweifel der Staatsanwaltschaft.

Einschusslöcher nach der Terror-Attacke in einer Hausfassade im Wiener Bermuda-DreieckGuenter Artinger / picturedesk.com

Ohne neue Strukturen werden sich Anschläge wiederholen

Für Irfan Peci, der selbst bereits mit solchen Vereinen zusammengearbeitet hat, gibt es vor allem auch bei der Deradikalisierung von Islamisten noch Raum für Verbesserungen. „Es funktioniert dort oft nach demselben Schema: Es wird versucht, einen liberalen Islam zu lehren und die Religion neu zu erklären.“ Für Peci der völlig falsche Ansatz. „Auch wenn die Trainer in diesem Verein selbst praktizierende Muslime sind, ist es meiner Meinung nach doch nicht die Aufgabe, in dieser Situation den Islam zu unterrichten.“ Eher solle es darum gehen, diesen Menschen echte Alternativen zu bieten. „Ihnen etwa die österreichische Kultur näher zu bringen. Eine neue Leitkultur nach dem Motto: schaut was wir hier alles haben – und ihr könnt ein Teil von uns werden. Stattdessen bietet man ihnen aber nur an, weiter in ihrer Parallelgesellschaft zu bleiben – nur eben mit etwas moderateren Ansichten in Glaubensfragen“, so Peci.

Es sei überdies äußerst arrogant, im Glauben gefestigten Menschen die eigene Religion neu erklären zu wollen. „Theologisch gesehen haben die Prediger des radikalen Islamismus zudem ohnehin die besseren Argumente“, führt Peci weiter aus. Die Verführer hätten es viel einfacher, junge Menschen abzuholen.

Dass der Staat generell eine so wichtige Aufgabe wie die Deradikalisierung von Islamisten privaten Vereinen überlässt, ist für den ehemaligen Al-Qaida-Mann angesichts hunderter bekannter Gefährder im Land völlig unverständlich und verantwortungslos. „Österreich muss hier offizielle Strukturen schaffen“, fordert Peci. Ansonsten würden sich Anschläge wie das Attentat vom November 2020 immer wieder wiederholen.

Der Terroranschlag vom 2. November riss eine tiefe Wunde in die Herzen der WienerPixabay / UnratedStudio

Der Balkan beginnt am Rennweg

Während islamistische Attentate in anderen europäischen Ländern oft mit Messern durchgeführt werden, war es in Wien ein Sturmgewehr. Für Peci ist auch das keine Überraschung: „Hier sind solche Waffen viel einfacher zu haben als im Rest Westeuropas.“ Wer Geld und ein paar Tage Zeit hätte, könne sich alles nach Wien liefern lassen. Grund dafür sei die Nähe zum Westbalkan.

„Der Balkan beginnt am Rennweg“ ist ein gängiges Bonmot in Österreichs Hauptstadt. Die „Karriere“ des jungen Fußballtalents F. begann dort, wo sie in der traurigsten Nacht der jüngsten Wiener Geschichte auch endete – in einer Parallelwelt mitten unter uns.

Gehen wir zu lasch mit islamistischen Gefährdern um?