Brachte Israels vierte Wahl binnen zwei Jahren aus Ihrer Sicht relevante Veränderungen?

Die Überraschung ist: Die konservativ-islamische Partei Ra’am unter Mansour Abbas hat den Einzug geschafft. Das ändert alles. Nun hat weder der Pro- noch der Anti-Netanjahu-Block die nötige Mehrheit von mehr als 60 Sitzen in der Knesset. Damit werden die Islamisten zu Königsmachern. Sie können grundsätzlich beide Seiten unterstützen.

Ra'am: islamisch, konservativ, aber nicht gegen Israel

Islamisten in der Knesset – das klingt missverständlich. Wofür steht die Partei Ra’am?

Es sind nicht radikale Islamisten im politischen Sinne. Weder lehnen sie Israel ab, noch kooperieren sie mit Terrorgruppen. Sie sind in dieser Hinsicht moderat. Sie akzeptieren den Staat und arbeiten mit der Regierung zusammen. Islamisten sind sie insofern sie konservative islamische Ansichten vertreten. Wenn es etwa um die Unterstützung für LGBT geht, teilen sie tendenziell die Meinungen der anderen konservativ-religiösen Parteien. Sie punkten vor allem bei Beduinen, von denen auch viele Netanjahu wählen.

Ashley Perry ist Ex-Berater von Israels Außenministeriums. Heute ist er Public-Relations-Berater für Unternehmen und Organisationen in aller Welt.

Welche Koalition wäre nun möglich?

Die extreme Rechte wird nicht mit der islamischen Partei koalieren wollen. Aber Netanjahu ist kreativ, er kann sämtlichen Parteien etwas anbieten, falls sie mit ihm doch regieren, nämlich Unterstützung und Geld. Schon bei den vergangenen Wahlen war es so, dass einige, die zunächst geschworen hatten, nie mit Netanjahu zu koalieren, ihre Meinung nach der Wahl geändert haben. Netanjahu wird das Resultat auf jeden Fall als Erfolg bezeichnen, weil er der einzige ist, der eine Regierung bilden kann. Der Anti-Netanjahu-Block ist zu heterogen. Falls aber Jamina (ein rechtes Wahlbündnis) und Ra’am keine Koalition mit Netanjahu eingehen wollen, könnte das bedeuten: wieder keine Regierung.

Eine Minderheitsregierung mit weniger als 61 Sitzen und wechselnden Mehrheiten ist keine Option?

Das würde nicht klappen. Sie wäre extrem unstabil. Aber Netanjahu ist ein sehr guter Stratege. Er wird nach anderen Möglichkeiten sorgen, und auch jenen, die dem Lager seiner Gegner angehören, gute Positionen anbieten.

Ohne Bibi wäre Likud kleiner, aber es gebe eine Koalition

Wie stünde der Likud ohne Netanjahu da?

Einerseits bekäme er weniger Stimmen, paradoxerweise wäre es aber andererseits für ihn leichter eine Regierung zu bilden, denn gemeinsam mit seinen natürlichen Verbündeten kommt er auf eine stabile Mehrheit von 70 Sitzen. Viele Politiker der politischen Rechten wollen nicht mit Netanjahu  zusammenarbeiten. Sie führen dafür unterschiedliche Gründe an, vor allem die Korruption. Avigdor Lieberman von Jisra’el Beitenu wiederum vertritt einen säkularen Zionisismus und will nicht mit den Orthodoxen koalieren, auf die Netanjahu Rücksicht nimmt.

Es ist eine paradoxe Situation: Der Likud wäre ohne Netanjahu eine kleinere Partei, doch der rechte Flügel bringt mit ihm keine Koalition zustande. Deshalb wird Netanjahu auch Parteien von der Linken ansprechen. Er hat mit ihnen ja schon in der Vergangenheit koaliert, etwa mit Tzipi Livni von der ehemaligen Kadima-Partei.

"Parteien mit starker Basis haben gepunktet"

Wie gut hat der Wahlkampf Ihrer Meinung nach geklappt, jener von Netanjahu, aber auch jener der anderen Parteien?

Netanjahu ist ein exzellenter Wahlkämpfer, mehr als irgendwer sonst in Israel. Er hat oft unkonventionelle Ideen. So schaffte er es etwa, die arabische Vereinte Liste zu spalten. Sie brach auseinander und kommt zusammen nur mehr auf 10 statt 15 Sitze in der Knesset. Ebenso konnte Netanjahu seine Konkurrenten vom rechten Rand ausspielen. Dank Netanjahu hat auch die religiöse zionistische Partei gut abgeschnitten (sechs Sitze). Das ist für ihn ein massiver Sieg, weil er sie für eine Koalition braucht. Er hat seine Wähler sogar aufgefordert, sie zu wählen. Damit konnte er sicherstellen, dass seine in Frage kommenden Partner den Einzug schaffen.

Generell haben jene Parteien mit einer starken Basis gepunktet, darunter auch die Arbeiterpartei. Deren Mitglieder waren besonders aktiv und sind von Haus zu Haus gegangen.

"Die gesamte Welt profitiert von Israels Impfprogramm"

Hat das Corona-Virus Netanjahu geholfen? Immerhin ist ja das Impfprogramm erfolgreich über die Bühne gegangen.

Nun, hier gibt es noch andere Aspekte, wie den ökonomischen und sozialen. Allgemein empfanden viele, dass Netanjahu hier viele Fehler gemacht hat. Es gab viele Tote und starke Einbrüche bei Unternehmen und Geschäften. Aber das Impfprogramm läuft sehr gut. Mittlerweile öffnet alles, die Maßnahmen werden täglich gelockert, die Corona-Fälle gehen zurück. Das nützt Netanjahu. Er verbrachte in den vergangenen Tagen viel Zeit in Bars, bei Sportveranstaltungen, um sich die Anerkennung für sein Impf-Management zu holen, die ihm in dieser Hinsicht auch gebührt. Er hat sehr hart darum gekämpft, dass Israel genügend Impfstoffe bekommt.

Die gesamte Welt profitiert davon. Wir sind gewissermaßen ein Laboratorium, das die Wirksamkeit des Impfstoffs demonstriert. Mittlerweile wissen wir zum Beispiel, dass er bei schwangeren Frauen und bei stillenden Frauen wirkt, und dass sich die Antikörper auf die Kinder übertragen. Nur brachte das Impfprogramm keine wirkliche Veränderung beim Wahlverhalten. Die Umfragen sahen Netanjahu konstant zwischen 28 und 32 Sitzen.

Dass die Corona-Zahlen in Israel so stark gestiegen sind, war auf die ultraorthodoxen Juden zurückzuführen, die sämtliche Vorgaben ignoriert haben. Hat das die Spannungen mit den Orthodoxen verschärft?

Das hat viel Zorn verursacht. Es gab Massentreffen, wie Hochzeiten, auf denen alle Regeln von den ultraorthodoxen Juden nicht eingehalten wurden. Netanjahu war hier sehr tolerant, nicht weil er ein religiöser Jude ist – er ist es nicht – sondern weil er deren Parteien für eine Koalition braucht. Aber klar: Die höchsten Fallzahlen gab es in den ultraorthodoxen Gegenden. Doch nun, bei den Wahlen, war es nicht mehr so wichtig, denn der Lockdown ist vorbei. Wenn es keine Restriktionen mehr gibt, ist man glücklicher, und man sieht nicht mehr auf die anderen Menschen, die permanent die Regeln brechen.

"Friedensverträge halfen vielleicht bei arabischen Wählern"

Spielten im Wahlkampf eigentlich die Friedensverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain eine Rolle?

Manche meinen, das hat Netanjahu Stimmen unter den Arabern eingebracht. Es konnte das Paradigma brechen, wonach Israel anti-arabisch oder anti-islamisch sei. Aber nun haben wir Friedensverträge mit vier Mitgliedern der Arabischen Liga. In Haifa, wo besonders viele Araber leben, erhielt die Likud am meisten Stimmen. Somit scheint Netanjahus Versuch, Stimmen vom arabischen Teil der Bevölkerung zu kriegen, gefruchtet zu haben.

Zuletzt waren die Vereinigten Arabischen Emirate allerdings ziemlich verärgert, weil Netanjahu den Friedensvertrag mit ihnen für die Wahlen ausschlachten und sie kurz vor den Wahlen nochmals besuchen wollten. Sie lehnten ab und waren sehr verärgert, weil sie nicht für seinen Wahlsieg benützt werden wollten. Dabei stehen sie klar hinter dem Abkommen stehen. Hier wird Netanjahu einiges wieder gutmachen müssen.

Ashley Perry war von 2009 bis 2015 Berater des israelischen Außenministers und stellvertretenden Premierministers und hat auch mit sämtlichen israelischen Ministern zusammengearbeitet. Er hat auch im Büro des Premierministers gearbeitet. Heute ist er internationaler Strategie- und Kommunikationsberater und Berater für Öffentlichkeitsarbeit für internationale Führungskräfte, Regierungen und Unternehmen. Er war Delegierter des jüngsten Zionistischen Weltkongresses und ist heute CEO des Heritage Center for Middle Eastern and North African Jewry. Er berät auch das Middle East Forum. Ursprünglich stammt er aus Großbritannien und zog 2001 nach Israel.