Am Dienstag besuchte Israels Präsident Jitzchak Herzog US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Die Beziehungen zwischen Israel und den USA haben schon bessere Zeiten erlebt. Doch in den Zeiten Obamas waren sie beinahe im Dauer-Krisen-Modus, wie Top-Diplomat Michael Oren gegenüber dem eXXpress einräumt. Von 2009 bis 2013 war er Israels Botschafter in den USA.

Im ersten Teil des ausführlichen Interviews mit dem eXXpress spricht er über die Aufs und Abs unter Obama, Trump und Biden, weshalb Obama – unbeabsichtigt – auch einen sehr positiven Effekt hatte, und warum das von Trump wieder aufgekündigte Iran-Abkommen für Israels Sicherheit so bedrohlich war.

Hier geht es zu Teil 2:

Am 18. Juli traf Israels Präsident Isaac Herzog (l.) US-Präsident Joe Biden (r.) im Oval Office des Weißen Hauses um Israels Beziehungen zu den USA zu verbessern.APA/AFP/Mandel NGAN

Wie haben sich in den vergangenen zehn Jahren, seit Ende Ihrer Zeit als Botschafter in den USA, die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Staaten entwickelt?

Es gab seither verschiedene Regierungen. Unter Trump waren die Beziehungen sehr herzlich. Die beiden Hauptstreitpunkte mit den USA – die Palästinenserfrage und die Iran-Frage – waren während der Trump-Jahre weit weniger relevant. Jetzt sind beide Themen wieder in den Vordergrund gerückt, aber nicht immer mit derselben Intensität wie in den Obama-Jahren. Mit der Obama-Regierung befanden wir uns fast ständig in einer Krise wegen einer dieser beiden Fragen. Mit der Biden-Administration waren die Beziehungen bis zur Justizreform in Israel eher entspannt. Der Streit um die Justizreform hat das Verhältnis beider Länder wieder beinahe in eine Krise gestürzt.

„Biden hat mit seiner Kritik an Israel unseren Feinden eine große Freude bereitet“

Ist die Beziehung zur Biden-Regierung ähnlich oder unähnlich jener zur Obama-Regierung?

Die Antwort darauf ist: ja, sie ist beides. Israel und die Vereinigten Staaten pflegten immer eine besondere Beziehung. Ich denke, Obama wollte das ändern und eine normale Beziehung mit Israel etablieren. Eines der Kernprinzipien in der besonderen Beziehung zwischen den USA und Israel lautet: „kein Tageslicht“. Das heißt: Wir mögen unterschiedlicher Meinung sein, aber wir tauschen uns darüber so weit wie möglich hinter verschlossenen Türen aus. Wir tragen unsere Meinungsverschiedenheiten nicht zur Freude unserer Feinde nach außen. Obama hat vom ersten Tag seiner Amtszeit an gegen diesen Grundsatz verstoßen. Kurz nach seiner Amtseinführung hielt er eine eineinhalbstündige Rede in Kairo, mit der er die US-Politik im Nahen Osten grundlegend verändert hat. Wir erhielten zuvor keine Vorwarnung. Überdies hat die Obama-Regierung alle Differenzen öffentlich gemacht.

Barack Obama hielt am 4. Juni 2009 in der Großen Halle der Kairoer Universität seine mit Spannung erwartete Rede an die muslimische Welt.APA/AFP/Mandel NGAN

Später hatten wir auch Meinungsverschiedenheiten mit Trump, doch er hat das Prinzip „kein Tageslicht“ wiederbelebt – und nun hat es Präsident Biden wieder beendet. Mit Nachdruck hat er öffentlich Israels Justizreform kritisiert und sich geweigert, Ministerpräsident Netanjahu ins Weiße Haus einzuladen. Damit hat er unseren Feinden eine große Freude bereitet. Israel erlebte im Norden zahlreiche Provokationen der Terrororganisation Hisbollah. Viele israelische Experten, auch ich, führen Hisbollahs plötzliche Unverfrorenheit auf ihre Erkenntnis zurück, dass es eine Kluft zwischen den USA und Israel gibt.

5. April 2011: Israels damaliger Staatspräsident Schimon Peres (2. v. l.) verlässt gemeinsam mit Michael Oren (3. v. l.) und anderen das Weiße Haus, nachdem er sich mit US-Präsident Barabck Obama über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel ausgetauscht hat.APA/AFP/Mandel NGAN

„Die Unterstützung für Israel ist in den USA nach wie vor sehr, sehr hoch“

Obama konnte die Beziehungen zwischen den USA und Israel offensichtlich nicht nachhaltig verändern – weil Trump ihm nachfolgte, oder weil er bestimmte Schwierigkeiten nicht bedacht hat?

Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte. An meinem letzten Arbeitstag in Washington saß ich gemeinsam mit Präsident Obama und Ministerpräsident Netanjahu im Oval Office. Dort hat der Präsident etwas gesagt, was ich nie vergessen werde. Ich zitiere ihn Wort für Wort: „Sollte Israel jemals in einen Krieg verwickelt werden, dann wüssten Sie natürlich, dass die Vereinigten Staaten an Ihrer Seite stehen werden. Denn das ist es, was das amerikanische Volk will.“ Er sagte nicht: „Das ist es, was ich will.“ Er sagte: „Das ist es, was das amerikanische Volk will“. Seine Erkenntnis war wohl, dass die amerikanische Bevölkerung trotz der Erosion der Unterstützung für Israel unter Progressiven und Teilen der Demokratischen Partei weiterhin sehr pro-Israel eingestellt ist. Die Unterstützung für Israel ist in den USA nach wie vor sehr, sehr hoch. Wenn amerikanische Politiker wiedergewählt werden wollen, müssen sie sich dessen bewusst sein.

Peres und Obama trafen sich 2013 bei der Konferenz von AIPAC („Amerikanisch-israelischer Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten“). Owen sitzt links von Peres.Wiki Commons/Nadav Tamir

Worin manifestiert sich die besondere Beziehung zwischen Israel und den USA? Nur im Ausmaß der US-Unterstützung für Israel?

Unsere Beziehungen zu den USA beruhen auf drei Grundlagen. Das sind erstens die gemeinsamen demokratischen Werte. Sie spielen zurzeit auch bei der Justizreform eine große Rolle. Zweitens gibt es eine strategische Allianz. Die Verteidigungsallianz zwischen Israel und den USA ist die vielleicht tiefste und vielschichtigste, die die Vereinigten Staaten seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit einer anderen Macht unterhalten. Sie hat mehrere Dimensionen. Sei es nun die gemeinsame Entwicklung von Waffen, oder unser antiballistisches System – „Iron Dome“ und „David’s Sling“ – sowie die Raketenabwehrsysteme Arrow 2 und 3, oder andere gemeinsame Projekte. Jeder US-Kampfpilot, ob in einem Hubschrauber oder einem Flugzeug, trägt einen israelischen Helm. US-Marineschiffe tragen ein israelisches Geschütz. Es gibt gemeinsames Training für unsere Spezialkräfte, und es gibt einen Informationsaustausch auf höchstem Niveau, insbesondere im Bereich der Cybersicherheit. Das ist also ein sehr tiefgreifender Aspekt dieser Beziehung.

Und dann gibt es drittens eine spirituelle Dimension. In Amerika ist die Zahl der Kirchenbesucher stark gesunken, doch die USA sind immer noch das religiöseste Industrieland. Menschen, die in die Kirche gehen, neigen dazu, sehr für Israel zu sein, weil sie die Bibel lesen, in der Gott seine Liebe zum jüdischen Volk zum Ausdruck bringt und verspricht, uns aus dem Exil in unser Heimatland zurückzubringen. Die amerikanischen Christen haben das gelesen und gesagt: Wir sind mit an Bord. Wenn man also diese drei Faktoren zusammennimmt – demokratische Werte, strategisches Interesse und spirituelle Verbindung – dann hat man eine ganz besondere Beziehung.

März 2020: US-Vizepräsident Mike Pence spricht auf der Konferenz des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC, auf Deutsch: „Amerikanisch-israelischer Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten“) in Washington.APA/AFP/SAUL LOEB

„Obamas Politik gegenüber den arabischen Ländern ist überall gescheitert“

Gehörte Obama zu den US-Präsidenten mit besonders geringer Sympathie für Israel?

Wir hatten schwierige Zeiten mit verschiedenen Präsidenten, mit Eisenhower, auch mit Kennedy wegen unseres Atomprogramms, und Auseinandersetzungen mit George Bush senior. Es gab Höhen und Tiefen, doch Obama war insofern ungewöhnlich, als er versuchte, die Beziehungen zu normalisieren. Ebenso unternahm er enorme Anstrengungen, um die arabische, muslimische Welt zu erreichen. Seine veränderte Politik gegenüber Israel war ein Bestandteil davon. Doch er war nirgendwo erfolgreich: Ob in Syrien, Libyen, Tunesien, dem Irak, Ägypten oder im Jemen – überall ist er gescheitert.

Auf eine höchst seltsame Weise war Obama nur in einem Bereich erfolgreich: Er wollte Juden und Araber durch Frieden einander näherbringen. Das ist ihm gelungen, allerdings nicht durch Frieden. Er brachte uns durch die gemeinsame Opposition gegen seine Politik zusammen. Es war der amerikanische Annäherungsversuch an den Iran, der Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und sogar Saudi-Arabien zusammenbrachte, weil wir einen gemeinsamen Feind hatten und eine gemeinsame Angst vor Amerikas Rückzug aus dem Nahen Osten. So wurde Obama seltsamerweise sogar zum Vater des Abraham Accords Abkommens mit den VAE und Bahrain.

15. September 2020: (V.l.n.r.)Der Außenminister von Bahrain, Abdullatif al-Zayani, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, US-Präsident Donald Trump und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed Al-Nahyan, unterzeichnen im Weißen Haus das Abraham-Abkommen, in dem die Länder Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate Israel anerkennen. Damit normalisierten die arabischen Länder ihre Beziehungen zu Israel.APA/AFP/SAUL LOEB

Warum ist Obamas Annäherung an die muslimische Welt letztlich gescheitert?

Am Ende seiner Amtszeit gab Obama dem bekannten Journalisten Jeff Goldberg ein sechsstündiges Interview. „Sie sind nach Kairo gereist, haben der arabisch-muslimischen Welt die Hand gereicht und sind gescheitert“, sagte Goldberg. Obama gab eine interessante Antwort: „Nun, die arabische Welt ist meiner Vision nicht gefolgt.“

„Die arabischen Staaten haben sich mit Trumps Ansatz wohler gefühlt, denke ich“

Donald Trump ist komplett anders aufgetreten, auch gegenüber Muslimen. Waren einige arabische Länder dennoch mit ihm zufriedener als mit Obama?

Zunächst möchte ich betonen, dass meine politischen Differenzen mit Obama nichts mit meiner persönlichen Meinung über ihn zu tun haben. Ich habe ihn sehr geschätzt und mochte ihn persönlich.

Ich pflegte Kontakte zu vielen arabischen Vertretern und sie waren alle sehr besorgt über Obamas Politik im Nahen Osten. Er schien sich nicht nur dem Iran, sondern auch den Muslimbrüdern anzunähern, in Ägypten, in der Türkei, gegenüber Erdogan, der die Muslimbrüder unterstützte. Das gab Anlass zu großer Sorge. Die arabisch-sunnitischen Länder sind gefangen zwischen sunnitischem und schiitischem Extremismus. Für Israel war das sehr gut. Wir konnten nun sagen: „Hört zu, wir stellen uns gegen beide Formen des Extremismus, wir sind auf Eurer Seite.“

7. Juli 2013: Ägyptische Demonstranten protestieren auf dem Tahrir-Platz gegen den gestürzten Präsidenten und Muslimbruder Mohamed Morsi und ebenso gegen US-Präsident Obama, den sie auf Plakaten als Unterstützer von Islamismus und Terrorismus darstellen.APA/AFP/KHALED DESOUKI

Ich denke, die arabischen Staaten haben sich mit Trumps Position wohler gefühlt, vor allem gegenüber dem Iran, und weil er aus dem iranischen Atom-Abkommen JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action, für: Gemeinsamer Umfassender Aktionsplan) ausgestiegen ist. Allerdings Trump hatte nur eine Amtszeit. Eines ist wichtig: Der Iran hat erst nach Joe Bidens Wahlsieg im November begonnen gegen den JCPOA in eklatanter Weise zu verstoßen. Die Iraner wagten es während Trumps Amtszeit nicht, das Abkommen in nennenswerter Weise zu verletzen, auch nachdem Trump daraus ausgestiegen ist.

„Obamas Hoffnung bezüglich des Irans wurde auf eklatante Weise widerlegt“

Das in Wien vereinbarte Abkommen war aus israelischer Sicht ein Fehler?

Es war mehr als das. Es war eine große Gefahr für den Staat Israel. Der JCPOA ermöglichte es dem Iran seine gesamte nukleare Infrastruktur aufrechtzuerhalten, als Gegenleistung für eine enorme Geldsumme, die wir auf eine Billion Dollar im Laufe eines Jahrzehnts schätzten. Der Iran würde einen Teil seines Atomprogramms einfrieren, doch ein anderer Teil – die Entwicklung von Raketen und Sprengköpfen – wurde nicht eingefroren, und auch hier wurde kein Teil der nuklearen Infrastruktur demontiert. Der Iran wurde in die Lage versetzt, Zentrifugen zu entwickeln, die Uran viel schneller anreichern können. Überdies enthielt der JCPOA eine so genannte Auslaufklausel, was bedeutet, dass die Beschränkungen irgendwann aufgehoben werden würden. Dann könnte der Iran einfach seine gesamte Infrastruktur reaktivieren und mit fortschrittlicheren Zentrifugen in viel kürzerer Zeit zündfähiges Kernmaterial herstellen. Innerhalb eines Jahrzehnts wäre er eine vollwertige Atommacht mit der Fähigkeit, nicht nur eine, sondern viele Dutzend Atomwaffen herzustellen.

In Wien im Palais Coburg wurde das Iran-Abkommen im Jahr 2015 ausgehandelt.APA/AFP/DIETER NAGL DIETER NAGL

Wir wussten überdies, dass der Iran mit diesem Geld keine Schulen, Straßen und Krankenhäuser bauen würde, sondern Terrorinfrastrukturen im gesamten Nahen Osten. Die Karte des Nahen Ostens hat sich zwischen 2015 und 2018 dramatisch verändert. Der Iran weitete seinen Einfluss aus. Obamas Hoffnung, dass der Iran zu einer verantwortungsvollen Regionalmacht werden würde, wurde auf eklatante Weise widerlegt. Ich war froh, dass die USA aus dem Abkommen ausgestiegen sind und erneut sehr harte Sanktionen verhängt haben, um ein besseres Abkommen zu erzielen. Leider wurden diese Sanktionen nicht aufrechterhalten, und die Regierung Biden kam mit dem Versprechen ins Amt, den JCPOA zu erneuern. Doch ohne Sanktionen hatten sie kein Druckmittel mehr gegen den Iran. Jetzt reden sie nicht mehr darüber.

Unsere große Befürchtung ist: Die USA und der Iran verständigen sich darauf, dass die USA keine weiteren Sanktionen verhängen, sollte der Iran im Gegenzug nicht von einer Anreicherung von 60 Prozent auf 90 Prozent übergehen.

Michael Oren wurde 1955 in New York geboren. Der israelische Diplomat, renommierte Historiker und Buchautor ist heute  Politiker der Partei Kulanu, die der politischen Mitte zugeordnet wird. Er wanderte 1979 von den Vereinigten Staaten nach Israel aus. Im Juli 2009 wurde er zum israelischen Botschafter in den Vereinigten Staaten ernannt und verblieb in diesem Amt bis 2013. Seit 2015 ist er Abgeordneter in der Knesset. Er verfasste mehrere Bestseller und Standardwerke über Israel und den Nahen Osten.