Mit überwältigender Mehrheit hat das italienische Parlament den von Regierungschef Mario Draghi vorgelegten Corona-Wiederaufbauplan in der Höhe von mehr als 220 Milliarden Euro gebilligt. Bis Freitag muss Roms Regierung nun das gigantische Konjunkturprogramm der EU-Kommission vorlegen. Die Erwartungsdruck auf Draghi ist enorm. Tatsächlich liefert der vorgelegte Plan mehr Grund zur Hoffnung, als die Ankündigungen bisheriger italienischer Regierungen. Ob Italien allerdings nach 20 Jahren wirtschaftlicher Misere tatsächlich wieder auf den Erfolgspfad zurückfinden wird, ist höchst ungewiss, denn es wird vor allem davon abhängen, ob Draghi auch unpopuläre Reformen durchsetzen kann.

Italiens zahlreiche Baustellen

Italiens Premier gilt in Italien beinahe als Superheld – der Spitzname “Supermario” kommt nicht von ungefähr. Der 73-jährige Ökonom und ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) soll vollbringen, woran sämtliche Regierungen bisher gescheitert sind. Italiens Schwierigkeiten sind dabei so zahlreich, wie schwerwiegend: Neben der gigantischen Überschuldung – Italien ist heute der größte Schuldner der Eurozone – brachten das Land tiefgreifende strukturelle Probleme, “Verregulierung” durch einen Wildwuchs unnötiger Gesetze, ein wenig flexibler Arbeitsmarkt, Kapitalflucht, fehlender Transparenz und akademische Vetternwirtschaft an den Rand des Abgrunds, darüber hinaus verfehlte Italien bei der Digitalisierung den Anschluss.

Das alles ging zu Lasten der Produktivität, gleichzeitig wuchs die Zahl an Zombieunternehmen beständig weiter an. Selbst der industriell entwickelte Norden Italiens leidet mittlerweile unter Wettbewerbseinbußen. Einen Ausweg fand bisher keine Regierung, dazu fehlte wohl auch der politische Wille. Sämtliche Male ließ sich Brüssel von leeren Reformversprechen italienischer Regierungen hinhalten. Diesmal, sicherlich auch angesichts der enormen Geldsumme, die nun in Investitionen fließen soll, zeigten sich die Beamten strenger. Tatsächlich befinden sich unter den nun bekannt gewordenen Eckpunkten des neuen Programms positive Überraschungen.

Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung

Draghi will Milliarden in die Digitalisierung investieren, das Kita-Netz massiv ausbauen – und verspricht, was Beobachter schon seit Jahren fordern: Reformen. Anders als sein Vorgänger Giuseppe Conte sollen die bereitgestellten Euro-Milliarden nicht nach dem Gießkannenprinzip über dem Land ausgeschüttet werden. Es werden vielmehr konkrete Schwerpunkte gesetzt, wie aus den bisher bekannten Inhalten des 337-Seiten-Entwurfs hervorgeht: Rund 50 Milliarden Euro fließen in die Digitalisierung, um das Glasfaser- und das 5G-Netz auszubauen, die Industrie 4.0 zu stärken und Anreize für Unternehmen zu schaffen, in neue Technologien zu investieren. Mit allein zehn Milliarden davon soll Italiens Verwaltung modernisiert werden.

34 Milliarden Euro werden in Forschung und Bildung investiert. 228.000 neue Arbeitsplätze sollen über das Kita-Netz entstehen, stärkere Förderung fließt auch in die Berufsausbildung. Draghi möchte 28 Milliarden Euro in das schnelle Schienennetz investieren, um den Süden besser anzubinden. Ebenso werden die Bahnhöfe modernisiert. Im Gesundheitswesen sind Investitionen in Telemedizin und den Biotech-Sektor vorgesehen. Am höchsten werden nach wie vor die Investitionen in den ökologischen Wandel mit fast 70 Milliarden Euro sein. Der Anteil der „grünen Projekte“ am Gesamtplan soll bei rund 40 Prozent liegen.

Mario Draghi faltet die Hände, während er sich an das Senat wendetPhoto by Gregorio Borgia / POOL / AFP

Draghis Reformversprechen

Der große Hauptunterschied zum Conte-Plan ist aber das erklärte Ziel, das Bildungssystem und die öffentliche Verwaltung zu modernisieren. Allerdings ist offen, ob Italiens Premier diese Reformversprechen, die für Italien langfristig wohl am wichtigsten sind, tatsächlich einlösen wird. Für die öffentliche Verwaltung war schon vor Jahren eine tiefgreifende Reform geplant, die nie verwirklicht wurde.

Kein EU-Mitglied erhält einen so großen Brocken von dem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds wie Italien. 191.5 Milliarden Euro werden dabei von der EU in Form von Darlehen und Zuschüssen verteilt. Doch Beobachter bezweifeln, dass sich Italien allein mit Industriepolitik “nach oben wirtschaften” kann, so sehr man auch die Schwerpunkte bei Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung begrüßt. Viel genauer wird man sich wohl ansehen, ob auch die dringend benötigten Reformen in den Bereichen Verwaltung und Justiz wirklich stattfinden, damit Italien seine zentralen Probleme – fehlende Rechtssicherheit und Korruption – lösen kann.

Draghi: Entscheidung über "das Leben der Italiener"

Draghi hat versprochen, die Ausgaben mit Strukturreformen zu kombinieren. Immerhin: Im Gegensatz zu Conte widmet er der Modernisierung der Verwaltung nicht nur eine, sondern vierzig Seiten mit 15 konkreten Gesetzesvorschlägen. Doch für die Unterhändler aus Brüssel war dies noch immer zu wenig konkret und zu wenig weitgehend. Sie forderten konkrete Garantien, etwa bei der Vereinfachung der Gesetzgebung und des Wettbewerbs. Mario Draghi beteuerte, diese Reformen auch umzusetzen, erklärte allerdings, dass die Zeit für detailliertere Lösungen zu kurz gewesen sei. In einem Telefongespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bürgte er schließlich persönlich dafür, dass Italien seinen Versprechen nachkommen werde. Brüssel willigte schließlich ein.

Es ist noch nicht sicher, ob Italiens Premier für sämtliche dieser Maßnahmen auch die nötige Mehrheit im Parlament bekommen wird. Bei der Vorstellung des jetzigen Programms im Senat wählte Draghi drastischen Worte. Über nicht weniger als “das Leben der Italiener” werde hier entschieden, befand er, über Italiens Rolle in der internationalen Gemeinschaft, “seine Glaubwürdigkeit und Reputation als Gründungsstaat der Europäischen Union und Protagonist der westlichen Welt”.

Neuwahlen konnte gerade noch verhindert werden

Im Jänner 2021 war Italiens damalige Regierung wegen des Corona-Wiederaufbauplans zerbrochen. Ex-Premier Matteo Renzi hat damals mit seiner kleinen Partei Italia Viva die Regierungskoalition, der darüber hinaus Sozialdemokraten und Fünf-Sterne-Bewegung angehörten, verlassen. Zuvor hatte sich die Koalition nicht über Höhe und Verwendung der europäischen Hilfsgelder einigen können.

Ministerpräsident Giuseppe Conte wollte danach Neuwahlen unbedingt vermeiden und hoffte auf die Bildung einer neuen Regierung auf Grundlage der bestehenden Mehrheiten im italienischen Parlament. Auch in der EU reagierte man höchst besorgt über den Bruch der Koalition. Am 3. Februar wurde schließlich der ehemalige EZB-Präsident Draghi vom italienischen Präsidenten Sergio Mattarella zur Regierungsbildung eingeladen. Zehn Tage später wurde eine Allparteienregierung unter Draghis Führung (Kabinett Draghi) vereidigt.

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