Der langjährige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel als “perspektivisch agierende Europapolitikerin” gewürdigt. Im Interview mit dem Ö1-“Mittagsjournal” am Samstag sagte Juncker, Merkel habe “von Anfang an durch ihre Detailkenntnis beeindruckt”. Er hob die große “Zuhörbereitschaft” der deutschen Kanzlerin hervor, “die Teile ihres europäischen Erfolgs erklärt”.

Mit Ausnahme der Flüchtlingsfrage falle ihm zum Thema Deutschland und Österreich nicht sehr viel Widersprüchliches ein, sagte der ehemalige Kommissionspräsident. Man müsse in diesem Zusammenhang auch “unterscheiden zwischen dem, was nationale Regierungschefs zuhause vermelden, und dem, was sie im Europäischen Rat sagen”.

Im Bezug auf Merkels Flüchtlingspolitik von 2015 und ihre Aussage “Wir schaffen das!” verwehrte sich Juncker dagegen, von einem Alleingang der deutschen Kanzlerin zu sprechen. “Das war kein Alleingang”, sagte er: “Merkel hat die Grenzen nicht geöffnet, sie hat die Grenzen nicht geschlossen – das ist mehr als eine Nuance.” Die deutsche Kanzlerin habe “in ihrer Verantwortung als europäische Staatsfrau auf die Lage reagiert”. Dabei “gab es nicht so viel Widerspruch in Europa, als man dächte – das sah nur von Österreich betrachtet so aus”. Dass Österreich die Flüchtlingspolitik Merkels nicht mitgemacht habe, bezeichnete Juncker als “Fehler”.

"Wer sich dagegen sperrt, steht auf der falschen Seite der Geschichte"

Wenn es 2015, wie von ihm vorgeschlagen, zu einer solidarischen Umverteilung der Flüchtlinge gekommen wäre, “wäre die Flüchtlingskrise wesentlich weniger bedrückend, als sie es zur Zeit ist”, bedauerte Juncker. “Verfolgte Menschen müssen in Europa Zuflucht finden – wer sich dagegen sperrt, steht auf der falschen Seite der Geschichte”, betonte er. (APA/red)