
"Die Cancel Culture ist der Tod der Wissenschaft", warnt FAZ-Journalist Philip Plickert beim Forum Alpbach
Der deutsche Journalist Philip Plickert kritisiert beim Forum Alpbach die Cancel Culture scharf. Er ist überzeugt: „Die Cancel Culture wirkt deshalb so effektiv, weil sie Selbstzensur und eine Schweigespirale auslöst“, wie er gegenüber dem eXXpress bekräftigt.

Selbst beiläufige Bemerkungen, wie „Wo kommen Sie denn her?“, können Professoren an US-Unis zum Verhängnis werden – so stark ist dort mittlerweile der Druck von Gruppierungen, die alles bekämpfen, was politisch inkorrekt ist. Unter Verweis auf solche Fälle warnte der deutsche Journalist Philip Plickert, Wirtschaftskorrespondent der FAZ, in einem Referat beim Forum Alpbach vor der Cancel Culture.
Eine Bedrohung für Demokratie und Meinungsfreiheit
„Sie ist der Tod der freien Wissenschaft und Debatte – und bedroht Demokratie und Meinungsfreiheit“, unterstreicht er gegenüber dem eXXpress. Plickert ortet ein Paradoxon: In unserer zunehmend pluralistischen Gesellschaft hat ein wachsender Teil der Bevölkerung den Eindruck, nicht mehr frei seine Meinung sagen zu können.
Dabei verweist Plickert auf eine umfassende Umfrage des Allensbach-Instituts, derzufolge eine Mehrheit der Deutschen sagt, man dürfe zu umstrittenen Themen nicht frei reden, ansonsten gebe es Sanktionen.
Die Furcht vor sozialer Ausgrenzung wirkt
Als wichtigen Grund für das Zurückdrängen der Meinungsfreiheit führt Plickert die von der Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann beschriebene „Schweigespirale“ an: „Aus Furcht vor sozialer Ausgrenzung verstummen diejenigen, die glauben, mit ihrer Meinung quer zu der Mehrheitsmeinung oder der vermeintlichen Mehrheitsmeinung zu stehen – zumindest so, wie sie in der veröffentlichten Meinung existiert“, sagt der Journalist. Die Political Correctness gehe mit einer „Einengung des Korridors des Sagbaren“ einher.
Plickert sprach am Donnerstag auf Einladung der Politischen Akademie der ÖVP in Alpbach. Die Akademie ist offizieller Partner der Politischen Gespräche des Forums Alpbach. Bei der Veranstaltung ging es um „Bürgerliche Werte“ und die Debattenkultur im wissenschaftlichen und politischen Diskurs. „Die Freiheit des Denkens, Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit sind wesentliche Errungenschaften der europäischen Aufklärung“, bekräftigt Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie. „Heute stehen diese bürgerlichen Freiheiten auf dem Spiel, zu oft wird versucht, Meinungen und Diskussionen zu unterdrücken.“
Kampagnen wegen kleinster Verfehlungen
Für besonders bedrohlich hält Plickert, dass diese Korrektheit nicht nur in der Gesellschaft um sich greift, sondern mittlerweile auch in der Wissenschaft: „Das ist gefährlich, weil ein freier wissenschaftlicher Diskurs, also der ungehinderte und unsanktionierte Austausch von Argumenten, Thesen und Ansichten essentiell ist für eine freiheitliche Wissenschaft.“ Auch hier verweist Plickert auf eine Allensbach-Umfrage im Auftrag des Deutschen Hochschulverbands: Zwar sagt die große Mehrheit der Hochschullehrer in Deutschland, dass die Wissenschaft grundsätzlich frei ist, aber ein beachtlicher Anteil von mehr als 30 Prozent beklagt, dass sie durch die „Political Correctness“ in Forschung und Lehre eine Einschränkung erfahren.
Noch dramatischer sei die Situation in den angelsächsischen Ländern: „Der Druck von Gruppen an Unis, die sich als ‚woke’ ansehen, ist viel größer. Schon bei kleinsten Verfehlungen oder falschen Bemerkungen starten sie Kampagnen gegen Professoren.“ Selbst belanglose Bemerkungen – sogenannte „Mikro-Agressionen“ – gelten als „diskriminierende Bemerkungen“. Das können Sätze sein wie: „Sie sprechen aber sehr gut Englisch“ oder „Amerika ist ein Land, das jedem eine Chance bietet“.
Kant und Hume auf der Abschussliste
Die Lehrpläne werden von umstrittenen Autoren bereinigt, und ebenso die Geschichte, an die rückwirkend heutige moralische Maßstäbe angelegt werden – „oder vielleicht soll man sagen ‚hypermoralische’“, meint Plickert. „Unter dem Motto ‚Decolonize the curriculum‘ wird Druck gemacht, ‚weiße, westliche Denker‘ zu streichen, zu canceln.“
Plickert führt einige Beispiele an: An der Universität Ediburgh wurde der Name des Aufklärungsphilosophen David Hume von einem Hauptgebäude gestrichen, weil ihm rückblickend eine Fußnote in einem Aufsatz über schwarze Menschen zur Last gelegt wurde. „Auch Immanuel Kant steht auf der Abschussliste, ebenso Adam Smith, der ebenfalls den Kolonialismus nicht stark genug verurteilt habe.“

„Weiße Musik“ als Komplize der „weißen Vorherrschaft“
In Oxford hat die Musikfakultät beschlossen, weniger „weiße Musik“ – also klassische Komponisten aus Europa wie Mozart oder Bach – zu lehren. Denn die „weiße Musik“ sei irgendwie ein Komplize der „weißen Vorherschafft“.
Woke heißt „aufgeweckt“ oder „wachsam“. Die Aktivisten der „Woche“-Ideologie sähen sich als Kämpfer für eine vermeintliche soziale Gerechtigkeit: „Sie sehen sich als ‚wachsam’ gegenüber sozialer, rassistischer, sexistischer, gender-Ungerechtigkeiten oder Ungleichheiten. In der Praxis hat sich diese Bewegung aber so weit radikalisiert, dass schon kleine Abweichungen von der ‚woken’ Linie und den Sprech- und Denkgeboten geradezu hysterische Angriffe und Kampagnen gegen die Abweichler auslösen.“ Selbst liberale, westliche, aufklärerische Auffassungen würden in die Nähe von Rassismus und Kolonialismus gerückt.
Trans-Gruppen attackieren Feministinnen
„Am heikelsten sind die Themen ‚race’ und ‚gender’, also Geschlechtsfragen“, sagt Philip Plickert. Immer öfter würden feministische Professorinnen Opfer dieser Ideologie, vor allem in Großbritannien. „Weil sie mit bestimmten Punkten der Gender-Orthodoxie nicht einverstanden sind, wird auf sie eine regelrechte Hexenjagd gestartet.“ Die feministische Historikerin Selina Todd wurde von einer Frauenkonferenz ausgeladen, die sie selbst organisiert hatte, wegen einer Kampagne von LGBT- oder Trans-Gruppen gegen sie. Die Kriminologin Jo Phoenix wurde nach einem Konflikt mit Trans-Aktivisten mit dem Tod bedroht und Ihr Büro wurde mit Urin besprüht.
„Einen Aufruhr gab es um die britische Schriftstellerin J.K. Rowling (‚Harry Potter’), eine erklärte Feministin, weil diese sich gegen einzelne Punkte der Transgender-Orthodoxie und -Politik gewandt hat“, erzählt Plickert. „Es gab in den Sozialen Netzwerken nicht nur einen globalen Shitstorm, sondern auch Tausende Hass- und sogar Mordphantasien gegen sie.“

Politisch rechte Dozenten haben mehr Angst
Die meisten Professoren würden sich dem Druck beugen, nur eine Minderheit stellt sich ihm. Es überwiegt die Angst vor negativen Konsequenzen. „Der Politologe Eric Kaufman hat in sehr großen Umfragen gezeigt, dass dieser Prozess asymmetrisch ist: Dozenten, die sich auf der Linken sehen, haben weniger Angst als Dozenten, die sich auf der Rechten sehen: Mehr als die Hälfte der ohnehin nicht sehr zahlreichen Konservativen an den Unis im Vereinigten Königreich, in USA oder Kanada, sagten in Befragungen, dass sie ihre politische Meinung im Hörsaal verstecken – aus Angst vor Beschwerden oder Kampagnen gegen sie.“
Anders als in Deutschland oder Österreich sind Professoren dort nicht verbeamtet. Deshalb könnten selbst hochrangige Professoren einfach gefeuert werden. Dem amerikanischen Wissenschaftlerverband „National Association of Scolars“ zufolge, gab es allein im vergangenen Jahr 180 solche Fälle in Nordamerika.
Wissenschaft lebt von Widerspruch und Andersdenkenden
„Das ist es, was man mit ‚Cancel Culture’ bezeichnet: Unangepasste Akademiker werden drangsaliert und gelöscht. Und diese bekannten Fälle sind nur die Spitze des Eisberges.“ Tausende weitere zensieren bereits sich selbst, aus Angst vor Sanktionen. „Die Cancel Culture wirkt deshalb so effektiv, weil sie Selbstzensur und eine Schweigespirale auslöst.“
Für die Wissenschaft sei das fatal, „weil sie dann kein offenes System mehr ist, das von Widerspruch, von Andersdenkenden, Querköpfen und neuen Hypothesen lebt. Diese bereichern die Wissenschaft, weil sie verhindern, dass Dogmen entstehen. Das können kirchliche Dogmen, rechte Dogmen oder linke Dogmen sein. Zur Zeit droht an den Universitäten Letzteres.
Mittlerweile entstanden deshalb in den vergangenen zwei Jahren sowohl in den USA, als auch in Deutschland neue Wissenschaftlerverbände, die für die Akademische Freiheit und gegen die Cancel Culture eintreten: in den USA die „Academic Freedom Association“ mit Hunderten Wissenschaftlern von so renommierten Unis wie Princeton, MIT und Harvard, und in Deutschland das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ mit mehr als 500 Professoren. „Das sind Zeichen, dass etwas im Argen liegt. Es ist gefährlich, wenn der Pluralismus der Anschauungen durch Druck verloren geht.“
Kommentare
Also dieses Thema der Cancel Culture ist aber schon ziemlich alt, man könnte sagen, es erlebt in den Internetzeiten sein Revival. Das fing an bei “Kauft nicht bei …” und erstreckte sich in den 70ern – 90ern über die christlichen Familienvereine, die Walt Disney boykottierten, weil sie meinten, man könne in bestimmten Zeichentrickfilmen Wolken sehen, die wie Penise aussähen, oder diese eine Star Wars Figur sei eine positiv konnotierte schwule Person. Ein rechtskatholischer Geistlicher mit seinem wütenden Gefolge in den USA (Phelps) wollte die Beerdigung eines schwulen Jungen verhindern, der von Jugendlichen zu Tode geprügelt worden, und an einen Stacheldrahtzaun gefesselt worden war (siehe Mathew Sheppard) und erntete dafür sehr viel Zustimmung: Matthew Sheppard burns in hell – war sein Dogma.
Cancel Culture ist weder links noch rechts – es ist einfach nur übel. Ditto mit Woke, was auch immer das sein soll.
Von den Zensurbemühungen in den USA, was Literatur betrifft, aber auch in Russland, Polen, Ungarn, ganz zu schweigen.
Es ist die Sprache der Feindbilder und Lynchjustiz mit Rufmord. Das Schweigen dazu, als Lebensstil im Sonderangebot.
Auslöschen…, als Mittel im Kampf um die Neue Weltordnung sind auch bei Marx-Engels schön unverpackt… zu finden. Zum Völkermord an den Armeniern war auch nicht modern zu reden. Vorrang in Medien hat das Schweigen gehabt. So sind in der Stille entstanden “Straf- Arbeits-Umerziehungs-Lager” in der Sovietunion. Dann kam für “Feinde” 1934 KZ-Dachau, was auch noch nicht das Schweigen brach.
Es geht noch immer um Hassideologien die verkauft werden: “Meine Oma ist ist ‘ne alte Umweltsau“.
Cancel Culture = Zensurkultur, also ein Produkt von Political Correctness bzw. der moralisch überlegenen Guten und Anständigen.
Wer heute an unseren Unis kaum bis 5 zählen kann aber perfekt gendert, hat die besten Voraussetzungen das Studium mit Auszeichnung abzuschließen …
LG 🌼
Also die kirchlichen Verbände in den USA, die Zeichentrickfilme verbieten lassen wollten, weil man in den gezeichneten Wolken meinte, Penise erkennen zu können?
Die konservativen Elternverbände, die Weltliteratur in den Schulbibliotheken zensurieren, weil die Werke nicht dem christlich-katholischen Weltbild entsprechen?
Und so weiter?
Naja, heißt ja nicht umsonst “Get woke, go broke”.
https://en.wikipedia.org/wiki/Bret_Weinstein
Immer noch eines der besten Beispiele wenn die Sache zu weit geht.
Der Mann hat absolut recht. Es sei jedem – unabhängig von der Hautfarbe – unbenommen, wunderbare Musik zu komponieren.
Ich empfehle jeden, zu raten, von wem folgendes Zitat stammt: “The problem occurs when a minority starts to dominate a majority. Democracy only works according to the power of a majority. If the power is at a minority it is called dictatorship.”
Erraten? Es stammt von Nelson Mandela.
Und man vergleiche das mit der Situation mit “Political Correctness”, “Gender Correctness” und “Cancel Culture”.
In allen diesen Fällen versucht eine Minderheit, der Mehrheitsgesellschaft ihr Empfinden aufzudrücken und dadurch ihr Denken und Verhalten zu regeln bzw. einzuschränken.
Bis hin zu Zerstörungen, medialen, social-media-basierten oder gar körperlichen (siehe BLM/Chicago) Angriffen oder zivil- oder strafrechlicher Verfolgung.
Für mich ist der einzige Weg hinaus eine möglichst rasch durchgeführte bindende Volksabstimmung
– ob die österreichische (oder europäische) Bevölkerung Gendern in Print/TV, speziell Bezahlmedien, Büchern und und Unterricht möchte oder ablehnt
– ob die österreichische (oder europäische) Bevölkerung die Elimination von philosophischen Erkenntnissen, kulturellen Werken oder historischen Gegebenheiten aufgrund “kolonialen Hintergrunds” oder “ethnischer Insensibilität” möchte
– ob die österreichische (oder europäische) Bevölkerung die Bevorzugung von Personen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung (eigentlich alles verboten, denn was einzelne bevorzugt, benachteiligt damit automatisch andere) gutheißt.
Sonst entkommen wir der Diktatur dieser Minderheit wahrscheinlich nicht mehr.
Nebenbei könnte man damit als bürgerliche Partei wahrscheinlich etliche verlorene Anhänger wieder zurückgewinnen.
… „weiße Musik“ sei irgendwie ein Komplize der „weißen Vorherschafft“…
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Wie krank ist diese Gesellschaft …. ???
Ganz einfach: Antirassismus ist der Code für Rassismus gegen Weiße.
Die Nazis haben alle jüdischen Werke verbannt und jetzt werden die Werke von Weißen verbannt. Nicht direkt ein Fortschritt, sondern nur mit selbem Eifer andere Feindbilder eingesetzt. Wie weit das noch weitergeht, wissen wir jetzt noch nicht. “Wehret den Anfängen” wäre eine gute Idee.
Für mich ist das einfach leicht durchschaubarer Faschismus, man hat nur das Feindbild und die nationalsozialistischen Methoden ausgetauscht, nicht mehr werden die Opfer auf den Place de la Concorde geschleppt, um dort geköpft zu werden oder ins KZ, um dort vergast zu werden, sondern sie werden medial hingerichtet, ohne dass Blut fließt, sauber, hygienisch. Die eigentlich dahinter stehende Frage ist, warum müssen Mitglieder der Species “homo sapiens doctorensis professorensis hochintelligenterensis ” ständig andere Mitglieder ihrer eigenen Species umbringen, etwas, was man in der restlichen Tierwelt nicht sieht. Vielleicht ist abe rnur die Bezeichnung dieser Species falsch, müsste vielmehr heißen ” homo brutalorensis, möchtegernerensis, trottelensis”