Fast drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie resümiert Kanzler Karl Nehammer (ÖVP): Es sei eine „mehr als harte Zeit“ gewesen. „Entscheidend ist, Fehler zu analysieren und aus den Erkenntnissen lernt, sie künftig zu vermeiden.“ Darum gehe es nun. „Nur wer nichts arbeitet kann keine Fehler machen. Aber der größte Fehler wäre nicht zu handeln.“ Alle Entscheidungen seien unter dem Grundsatz getroffen „Menschenleben zu retten. Das war die oberste Prämisse.“ Aber: „Wir hatten keine Glaskugel.“

Drei Tage vor Weihnachten präsentierte die Regierung die Aufarbeitung der Corona-Zeit, es sei „die größte sozialwissenschaftliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie“, sagte Alexander Bogner, Projektleiter und Soziologe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der unterstrich: „Die Politik hat keinen Einfluss genommen und hat uns frei arbeiten lassen.“

„Würden mit dem Wissen von heute viel anders machen“

Nehammer erklärte: Nun sei es wichtig, „die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen“. Richtig sei es gewesen, „alles zu unternehmen, um so viele Menschen wie möglich zu retten. Richtig war es, die Spitäler vor einer Überforderung zu bewahren und alle nötigen Ressourcen für weitere Operationen bereit zu stellen. Richtig war es, darauf zu achten, dass die kritische Infrastruktur nicht zusammengebrochen ist.” Es habe etwa immer genügend Polizisten und Techniker geben müssen.

Dann räumt der Kanzler ein: „Was würden wir heute anders machen? Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen. Als Politiker müssen wir mit viel mehr Bedacht unsere Worte wählen, wenn wir uns an die Bürger wenden. Mit dem Wissen von heute werden wir künftig alles daran setzen, dass eine Spaltung der Bevölkerung so nicht mehr stattfinden soll, wie wir sie erlebt haben.“

Vor allem dort, wo kein Konsens herrscht, solle man die Worte bedächtig wählen. Auch sollte man künftig den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Beratung und politischer Entscheidung deutlich machen. Überdies: Alle gesellschaftlichen Gruppen waren betroffen. Das sei eine besondere Schwierigkeit gewesen.

Kommunikation muss transparenter werden, Maßnahmen besser erklärt werden

Maßnahmengegner und -befürworter seien aufeinander losgegangen. Dabei hätte es darum gehen müssen: „Wir alle gegen das Virus.“ Und: „Wir haben zu wenig darauf geachtet, den Menschen neue Entscheidungen zu erklären. Diese Transparenz wird künftig nötig sein bei der Kommunikation.“

Wichtig sei auch: Man könne so eine Pandemie nur gemeinsam meistern. Es sei eine der größten Bewährungsphasen der Zweiten Republik gewesen. Nehammer empfahl den Bürgern auch, den Bericht zu lesen, der eine interessante Innenansicht beinhalte. In Kürze sei er auf der Homepage des Bundeskanzleramtes verfügbar.

Blick weiten: Es geht nicht nur um Epidemiologie

Bogner meint im Rückblick: „In der Corona-Krise war das Vertrauen der Bevölkerung in Medien, Wissenschaft und Regierung zunächst hoch. Vertrauensverluste drohen, wenn breite, ergebnisoffene Debatten fehlen, politische Maßnahmen nicht gut kommuniziert werden und Medien, Wissenschaft und Politik den Eindruck erwecken, in Symbiose zu leben.“ Das habe man auch in Österreich erlebt.

Zünftig sollte man den anfänglich engen Blick weiten. Die langfristige Wahrnehmung der rein epidemiologischen Aspekte habe es etwa der Bildungspolitik erschwert, ihren Blickwinkel einzubringen. Vielfältige Perspektiven haben gefehlt. Auch interdisziplinäre Beratungsgremien können die Politik nur dann auf die vielen Facetten einer Krise aufmerksam machen, wenn sie über die Problem auch grundlegend reflektieren können und nicht nur Fakten liefern.

Schlecht: Impfpflicht mit Alternativlosigkeit begründet

Bei der Impfpflicht fehlte eine entsprechende Kommunikation und Begründung. Die Regierung berief sich nur auf Sachzwänge, und lieferte keine Erklärungen für diese geplante Maßnahme. Bogner: „Man hätte eine ergebnisoffene Kontroverse mir Pro- und Contra-Argumenten moderieren sollen. Die gab es nicht im Vorfeld der Entscheidung und auch nicht im zuge der Beschlussfassung im Nationalrat.“

Die Wissenschaft wird vor allem dann abgelehnt, wenn sie im Verdacht steht, zu sehr von der Politik kontrolliert zu werden. Die enge Verflechtung von Wissenschaft und Politik nährt also die Wissenschaftsskepsis.

Schulschließungen waren „große Belastung“

Daten-Auswerte-Tool wurde geschaffen, um den Zugang zu Gesundheitsdaten zu verbessern, berichtete Katharina Reich, die Direktorin für öffentliche Sicherheit. Die Krise habe die Bürger sehr belastet, vor allem als noch der Ukraine-Krieg hinzu kam. Manche hätten sich allein gelassen gefühlt. Als krisensicher habe sich der Sozialstaat erwiesen.

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) räumte ein: „Die Schulschließungen waren zweifellos eine große Belastung für Schüler, Eltern und Lehrer. Mit dem Wissen von heute, würden wir mehr Zeit investieren, um diese Schließungen besser und verständlicher zu erklären und könnten durch die Erfahrungen besser beurteilen, ob und wie lange sie notwendig sind.“

Die wichtigsten Empfehlungen des Berichts

Das Verständnis für Forschung und Lehre solle bereits an Schulen vermittelt und künftig besser kommuniziert werden, unterstreicht auch der 175 Seiten lange Bericht. So könne man der generellen Wissenschaftsskepsis entgegenwirken, auf die man in allen Bildungsschichten trifft.

Weitere Empfehlungen des Berichts sind:

Die Politik solle ihre Entscheidungen nachvollziehbar begründen. Entscheidungs- und Beratungsgremien sollen fachlich vielfältig besetzt, flexibel und transparent sein. Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe sollen attraktiver gemacht werden.

Den Medien wird konstruktiver Journalismus nahegelegt. Auch in Zeiten der Krise solle er lösungsorientiert sein und nicht ausschließlich Extreme darstellen und Ängste schüren. Die Medien sollten dem Dialog dienen.

Den Bürger sollten sich um einen offenen, respektvollen Umgang miteinander und füreinander in der Krise bemühen. Spricht: Mehr miteinander als übereinander reden.

Umfassender Aufarbeitungsprozess

Am 4. Mai 2023 hat der Ministerrat auf Anregung von Bundeskanzler Karl Nehammer die Durchführung eines Prozesses zur Aufarbeitung der Corona-Zeit beschlossen. Das Projekt wurde federführend von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) betreut. Es umfasst zwei wesentliche Teile: Zum einen wurden in insgesamt fünf sozialwissenschaftlichen Fallstudien wesentliche Kernaspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit der Pandemie untersucht, zum anderen wurde ein Dialogprozess aufgesetzt, um die Bevölkerung in repräsentativer Weise in die Aufarbeitung einzubinden.

Die Regierung hält fest: Kaum ein anderes Land hat auf sozialwissenschaftlicher Ebene – unter Einbindung der Bevölkerung – einen derartigen Aufarbeitungsprozess durchgeführt.