Mit massiven Vorwürfen gehen polnische Medien und Oppositionsparteien nun an die Öffentlichkeit: Sie behaupten, einen kriminellen Handel gewaltigen Ausmaßes mit Arbeitsvisa von Seiten der polnischen Behörden aufgedeckt zu haben. In polnischen Konsulaten in Afrika, Asien sowie in mehreren arabischen Ländern sollen demnach Schmiergeldzahlungen geflossen sein, um Visaanträge zu beschleunigen oder überhaupt zu genehmigen.

Weiterreise nach Deutschland – dank illegaler polnischer Visa

So berichtet etwa die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ von 600.000 (!) verkauften Visa. Dem Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform zufolge sollen in polnischen Konsulaten allein innerhalb von 30 Monaten in Afrika und Asien 250.000 polnische Arbeitsvisa ausgestellt worden sein. Der Politiker nannte seine Quellen aber nicht.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der regierenden PiS steht unter Druck.APA/AFP/Emmanuel DUNAND

Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, hätte dieser handfeste Skandal weitreichenden Folgen für den gesamten Schengenraum – auch für Deutschland und Österreich. Mit den ausgestellten polnischen Visa erhalten die Migranten nämlich Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für die gesamte EU. Meistens sollen die afrikanischen und asiatischen Migranten auf Basis ihres polnischen Visums auch weitergereist sein, nach Deutschland etwa.

Inder zahlten bis zu 40.000 Dollar für Mehrfachvisa

Besonders begehrt sollen Mehrfachvisa gewesen sein, mit denen Arbeitsmigranten nach Mexiko und in die USA reisen können. Um in ihren Besitz zu gelangen, sollen Menschen in Indien etwa an Zwischenfirmen bis zu 40.000 Dollar gezahlt haben.

Oppositionspolitiker Donald Tusk wirft der regierenden PiS Heuchelei im Kampf gegen illegale Migration vor.APA/AFP/Wojtek Radwanski

Die polnische Staatsanwaltschaft hat sich bereits eingeschaltet. Sie ermittelt bereits gegen sieben Personen wegen Korruptionsverdachts. Drei der Verdächtigen sollen bereits festgenommen worden sein, sagte der stellvertretende Chef der Abteilung für Organisierte Kriminalität und Korruption, Daniel Lerman. Die Vergabe von mehreren hundert Arbeitsvisa wurde untersucht, etwa in Indien, den Philippinen, Singapur, Hongkong und Taiwan.

Das dürfte laut den Vorwürfen der Opposition und der Medien allerdings nur die Spitze des Eisbergs sein.

Selbstmordversuch von Vize-Außenminister Wawrzyk, dem mutmaßlichen Drahtzieher

Pikant: Ende August war der für konsularische Angelegenheiten zuständige Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk (55) entlassen worden. Zur gleichen Zeit wurde seine Abteilung von der Antikorruptionsbehörde CBA durchsucht. Gemäß Berichten des Portals Onet und der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ soll Wawrzyk der Drahtzieher hinter dem System gewesen sein, das über Zwischenfirmen funktionierte, die für hohe Geldsummen polnische Visa anboten.

Wawrzyk soll nach einem Selbstmordversuch in ein Spital eingeliefert worden sein.

Mit einem Grenzzaun gegen den Migrantensturm aus Weißrussland punktete Warschau.

Regierungspartei kurz vor Parlamentswahl unter Druck

Oppositionspolitiker Tusk warf der regierenden PiS Heuchelei vor. Die Regierungspartei versucht nämlich gleichzeitig mit einer harten Haltung gegen die EU-Asylpolitik zu punkten. Die Vorwürfe kommen für sie zur Unzeit: Am 15. Oktober findet in Polen die Parlamentswahl statt.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski weist jede Schuld von such. Bei der Visaaffäre gehe es lediglich um „eine dumme und wahrlich kriminelle Idee einiger Leute, von denen die allermeisten nichts mit dem Regierungsapparat zu tun haben“.