„Der Krieg in der Ukraine wird mit der totalen Niederlage Russlands enden!“ Diese unheilvollen Worte richtete Igor Girkin, Kampfname “Strelkow” (der Schütze), vor wenigen Tagen in einer Videobotschaft an seine 560.000 Follower auf dem Messengerdienst Telegram. Sein Zusatz: “Eine Niederlage hätte nicht nur dramatische Folgen für diejenigen, die im Kreml sitzen, sondern für uns alle.”

Der Kreml habe beim Ukraine-Krieg versagt

Girkin ist ehemaliger Offizier des russischen Geheimdienstes, der sich 2014 den prorussischen Separatisten in Donezk und im Donbass (Ostukraine) anschloss. Er dürfte wohl die prominenteste Stimme aus einer Gruppe russischer Kriegs-Blogger sein, die den Kreml immer schärfer für sein „Versagen“ in der Ukraine kritisieren. Girkin und seine Mitstreiter stehen für ein neoimperialistisches Neurussland (“Noworossija”), in dem die Ukraine integraler Teil Russlands ist. Die jüngste Gegenoffensive der ukrainischen Armee stößt ihnen daher besonders sauer auf. Girkin fordert sogar die sofortige Ablöse des russischen Verteidigungsministers und Putin-Vertrauten, Sergei Shoigu.

Fordert den Kopf des russischen Verteidigungsministers, Igor GirkinAFP

Niederlage durch Generalmobilisierung verhindern

Nach den jüngsten Gebietsverlusten in der Ukraine haben jetzt auch weitere Kriegs-Blogger ihren Unmut geäußert. Für sie gibt es nur noch einen Weg, die Ukraine militärisch zu besiegen: die Generalmobilmachung. “Die totale Mobilisierung ist, um es ganz offen zu sagen, unsere einzige Chance, eine vernichtende Niederlage zu vermeiden”, schrieb etwa Andrej Morosow, der mit Hunderttausenden Followern ebenfalls große Popularität in der russischen Blogger-Szene genießt. Sein Zusatz: “Es läuft richtig beschissen”.

Kritik an Kreml als Ventil für russische Bevölkerung

Dass solche Kommentare vom Kreml geduldet werden, ist nach Meinung von Experten insofern bemerkenswert, als in Russland Kritik am Krieg mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Pawel Luschin, ein unabhängiger russischer Militärexperte, glaubt, dass die Blogger deshalb “unangetastet” bleiben, weil sie einem Teil der russischen Bevölkerung ein Ventil bieten, um ihrem Ärger über den seit fast sieben Monaten dauernden Krieg in der Ukraine Luft zu machen. Bei den Kriegs-Bloggern handelt es sich zumeist um Armee-Veteranen mit guten Kontakten zu den russischen Streitkräften.

Seit Tagen diskutieren die Militär-Analysten über das „Wunder von Charkiw“, sprich die gefinkelte Rückeroberung der Millionenstadt im Nordosten der Ukraine durch die ukrainische Armee. Viele sprechen von einer „genialen Kriegslist“ der ukrainischen Militärführung, die angeblich eine Großoffensive in der Südprovinz Cherson, einer anderen Kriegsfront des Ukraine-Kriegs, vorgetäuscht habe. Der US-amerikanische Militärexperte Michael Kofman und das Washingtoner Institute for the Study of War widersprechen aber dieser Theorie. Laut Kofman startete die Ukraine zwei Großoffensiven, eine auf Charkiw und eine in der Region Cherson. Wegen des Angriffs im Süden seien die Russen gezwungen worden, schleunigst Truppen in die Provinz Cherson zu verlegen. Das aber habe Russland an der Front bei Charkiw geschwächt. Es zeigt auch, dass Putins Feldzug an einer fatalen „Überdehnung der Kräfte“ leidet, so Kofman. Deshalb rufen die russischen Kriegs-Blogger Putin auf, die Generalmobilmachung der russischen Armee zu starten.