KTM-Chef Stefan Pierer sieht das europaweite Corona-Mangement kritisch: „Europa ist insgesamt bei der Bekämpfung massiv im Hintertreffen. Europa wird so zuletzt aus der Krise kommen.“ In Österreich wie in Deutschland ortet er die Schwachstellen unter anderem beim Föderalismus: „Die Bayern sehen die Lage anders als die Herren in Westfalen und Sachsen. Das ist zu kleinteilig gedacht“, sagt Pierer gegenüber dem Industriemagazin in einem ausführlichen Interview. Im Übrigen sei eine europaweit weitgehend analoge Verwaltung der Situation nicht gewachsen – „da möchte ich Österreich nicht ausnehmen“.

Politik soll auf Eigenverantwortung setzen, fordert Pierer

Was das Impfen betrifft, sollte man auf Freiwilligkeit setzen: „Ich bin überzeugt, dass man keine Menschen zum Impfen zwingen kann.“ Auch sonst hält Pierer Eigenverantwortung für ein erfolgsversprechendes Rezept: „Geben Sie den Menschen Verantwortung und ausreichend Gelegenheit zum Testen, dann klappt das Containment.“ Auch sein eigenes Unternehmen mit weltweit 10.000 Beschäftigten habe die Krise so gemanagt: „Es sind einfache Dinge, die uns helfen: Hygiene, Distanz und Masken. Mit dieser Strategie sind wir die vergangenen zehn Monate perfekt durchgekommen. Wir haben derzeit zwölf Fälle bei 5000 Mitarbeitern in Österreich.“

Allen Unkenrufen zum Trotz denkt der KTM-Chef, dass Eigenverantwortung auch in Österreich funktioniert. Pierer vertraut dabei auf die Lenkungseffekte wirtschaftlicher Anreize: „Winkt ein Friseurbesuch, strömen die Menschen in die Teststationen. Zwangsmaßnahmen bewirken eher das Gegenteil.“

KTM musste schon widriges Gelände durchqueren. Heute gehört KTM zu den weltweit führenden Herstellern von Sportmotorrädern.APA/AFP/FRANCK FIFE

Grundsätzlich hält Pierer den zurzeit beschrittenen österreichischen Weg „mit kleinen, überschaubaren Schritten“ für richtig: „Wir nähern uns ja im Prinzip dem schwedischen Kurs an.“ Im Rückblick scheint ihm „eine Mischung aus dem schwedischen Weg, wo man die Leute von Beginn an in Verantwortung bringt, und den österreichischen Maßnahmen die richtige Mixtur“ zu sein. Das permanente Auf- und Zumachen in Zentraleuropa habe hingegen nichts gebracht.

Zu seiner Spende an die ÖVP steht er übrigens. Die Frage, ob er neuerlich spenden würde, beantwortet er mit „Ja“.

Mit Corona stieg die Nachfrage

Für KTM war das Corona-Jahr ein ausgesprochen erfolgreiches. Zurzeit freut sich Pierer über ein Budget, „das zweistellig über dem letzten Jahr liegt. Corona hin oder her, wir fahren volle Kraft.“

Gleich zu Beginn der Corona-Krise packte Pierer die Gelegenheit beim Schopf: „Für mich war bald klar, dass das motorisierte Zweirad durch Corona eine verschärfte Nachfrage erfahren hat. Der Trend zum Abstand hat uns voll in die Karten gespielt. Öffentliche Verkehrsmittel sind gesundheitlich verdächtig, die Reisemöglichkeiten wurden abgestellt. Im Freizeit- und Sportbereich hat das Elektrofahrrad stark profitiert, in Nordamerika hat das Segment des Gelände-Motorrads stark zugelegt.“

Beim Austrian Junior Cup suchte KTM im Dezember 2020 nach dem MotoGP Star von morgen.Thomas Ketzer / Motorradreporter

Die Digitalisierung kommt bei KTM bereits zu tragen: „Jedes unserer Motorräder wird nach dem Verkauf digital freigeschaltet. So können wir auf täglicher Basis den weltweiten Absatz zum Endkunden verfolgen.“ Auch bei der E-Mobilität, einem „boomenden Markt“, mischt KTM mit: „Im Jahr 2025 plane ich im Bereich Elektrofahrrad mit einer halben Milliarde Euro. Dazu kommen sicher noch 200 Millionen Euro aus dem Bereich Mofa, Moped, Roller und Motorräder der Führerscheinklasse A1.“

Die elektrifizierten Zweiräder werden in Österreich produziert werden: „Das Elektromobilitäts-Zentrum für das Zweirad wird gerade für 16 Millionen Euro in Salzburg hochgezogen.“ Mattighofen werde der Standort für die Serienproduktion sein.

Pierers Hauptsorge in Österreich: der Arbeitskräftemangel

KTM setzt aber noch ungebrochen auf den Verbrennungsmotor, und hier rechnet Stefan Pierer mit einem weltweiten Wachstum im zweistelligen Bereich. „Da habe ich eine klare Planung: Ich möchte hier in den nächsten fünf Jahren Kawasaki überholen und weltweit Nummer drei werden. Die Rechnung haben wir noch offen.“

Der erhoffte Aufschwung steht aber in Österreich noch vor einem Hemmnis: dem Mangel an geeigneten Arbeitskräften. „Wir suchen in Österreich dringend 300 Leute.“ Ein Problem: „Seit Kinder unter bestimmten Umständen mit einem oder mehreren ‚Nicht Genügend‘ aufsteigen können, gibt es keine Schulabbrecher mehr. Die haben früher oft den Weg zu uns gefunden. Jetzt fehlen uns die Lehrlinge. Wir wollen ungefähr 100 neue Lehrlinge aufnehmen, aber das ist immens schwierig.“

Die Pierer-Gruppe soll in Zukunft familiengeführt bleiben. Pierers Sohn Alex ist bereits Vorstandsmitglied der Pierer Industrie AG (zu 61,9 Prozent an der KTM Industries AG beteiligt), Berufsfotograf Clemens sitzt ebenfalls im Aufsichtsrat.

Die KTM AG (vormals KTM Power Sports AG) ist ein weltweit tätiger Motorrad- und Sportwagenherstelller. Die Ursprünge reichen zurück in eine 1934 gründete Schlosser- und Autowerkstätte in Mattighofen. 1954 begann die Serienproduktion von Motorrädern. In den 1980er Jahren geriet das Unternehmen in wirtschaftliche Nöte und schlitterte schließlich in die Insolvenz. Als es Stefan Pierer 1991 gemeinsam mit dem Finanzspezialisten Rudolf Knünz um knapp vier Millionen Euro erwarb, verkaufte es rund 6000 Geländemaschinen im Jahr. Unter Pierer wurde die Motorradsparte als KTM-Sportmotorcycles GmbH neugegründet. 2020 erzeugte KTM 270.000 Motorräder. Seit 2012 ist KTM der größte Motorradhersteller Europas und gilt als Weltmarktführer im Bereich der Geländesport-Motorräder.