Er ortet einen “Anschein der Befangenheit”, der von zweiter Instanz – das Urteil gegen Kurz ist nicht rechtskräftig – geklärt werden soll. Gleich zu Beginn seiner eilig einberufenen Pressekonferenz stellte Stocker klar, dass “die folgenden Aussagen nicht als Kritik an der Justiz im Allgemeinen und der Rechtssprechung im Speziellen” zu verstehen seien. Er stellte die Frage in den Raum, ob Radasticzs die Öffentlichkeit über den Diziplinarentscheid informieren hätte müssen. “Wahrscheinlich nicht. Hätte er sollen? Meiner Meinung nach schon.”

Denn die Disziplinarstrafe stehe in direktem Zusammenhang mit der Befangenheitsanzeige, die Kurz’ Verteidigung gleich am ersten von über zehn Verhandlungstagen, an deren Ende am Freitag letztlich eine achtmonatige bedingte Haftstrafe für den Ex-Kanzler stand, einbrachte. Kurz wollte einen Richterwechsel, da Radasztics aufgrund angeblicher Kontakte zum ehemaligen Grün-Abgeordneten Peter Pilz nicht objektiv sei. Es gebe weder eine persönliche Beziehung noch ein Vertrauensverhältnis zu Pilz, entgegnete dem der Richter im Oktober.

Nun ist ohnehin das OLG am Zug

Tatsächlich war die Strafe zu Prozessbeginn schon mehrere Monate alt. Radasztics wurde in zwei Sachverhalten disziplinarrechtlich verurteilt, beide gehen auf seine Zeit als Staatsanwalt zurück. Er ermittelte ursprünglich gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und betreute dann bis 2019 jahrelang das Eurofighter-Verfahren. Einerseits hat er Grasser nicht über ein abgebrochenes Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert, andererseits teilte er dem damaligen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz die Existenz einer Weisung im Eurofighter-Akt mit, so das Urteil des OLG Graz.

Nun stelle sich Stocker die Frage: “Hätte das Verfahren einen anderen Verlauf genommen, wenn man das vor Prozessbeginn gewusst hätte?” Jedenfalls erwecke Radasztics’ Verhalten “den Anschein von Befangenheit. (…) Es macht einen Unterschied, ob das zu Beginn transparent offengelegt wird, oder es die zweite Instanz klären muss”. Und von letzterem geht Stocker aus. Kurz’ Anwalt Otto Dietrich gab ebenso wie Bernhard Bonellis Anwalt Werner Suppan direkt im Anschluss an den Urteilsspruch bekannt, Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe einzubringen. Damit muss sich nun das OLG befassen.