Der Wunsch nach Veränderung war im Vorfeld der Tiroler Landtagswahl groß. „Es muss sich etwas ändern in unserem Land“ und „so kann es nicht weitergehen“ – all diese Aussagen waren in den letzten Monaten in den Straßen Tirols vermehrt zu hören. Und auch eine zuletzt im Auftrag des ORF durchgeführte SORA-Wahltagsbefragung bestätigte dieses Stimmungsbild: 49 Prozent der Befragten gaben an, dass sich das Land seit der letzten Landtagswahl im Jahr 2018 eher negativ entwickelt hat. Lediglich 14 Prozent waren gegenteiliger Ansicht. Was die Zukunft anbelangt, waren überhaupt 71 Prozent der Meinung, dass das Leben für die junge Generation in Tirol einmal schlechter wird als heute.

Dementsprechend schlecht waren auch die Umfragen für die seit inzwischen 77 Jahren durchgehend regierende Tiroler Volkspartei. Der Umgang mit der Covid-Pandemie (Stichwort: „Alles richtig gemacht!“); das zermürbende Gemengelage aus Krieg, hoher Inflation und wirtschaftlichen Zukunftsängsten; die Aufregung um angeblich zu Unrecht erhaltene Förderung an ÖVP-nahestehende Organisationen; oder das „Hinschmeißen“ (anders kann man diese Panikreaktion wohl nicht bezeichne) von Alt-Landeshauptmann Günter Platter und vieles mehr… ein Absturz der ÖVP unter die machterhaltende 30-Prozentmarke schien so gut wie sicher zu sein. Wahltag ist Zahltag – glaubten zumindest viele….

Um so überraschter waren dann alle, als am Sonntagabend die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten. Nur 10% Verlust, jubelten die einen. Die anderen fragten sich verärgert, wieso die ÖVP angesichts der verheerenden Ausgangslage nicht noch mehr an Zustimmung eingebüßt hat. Allen Umfragen zum Trotz bleibt die Volkspartei aber auch nach dieser Landtagswahl die bestimmende Kraft im Land – mit 14 Mandaten sind die „Schwarzen“ noch immer doppelt so stark wie FPÖ und SPÖ, die jeweils auf 7 Mandate kommen.

Blieb der vorhergesagte Absturz der Volkspartei tatsächlich aus? Nein, wenn man genauer hinschaut. Sie hat sich mit letzter Kraft an der Macht gehalten. Aus meiner Sicht waren zwei Gründe dafür ausschlaggebend:

Die Wahlbeteiligung ist leicht gestiegen (+5%). Einer der Gründe dafür war das von FPÖ-Spitzenkandidaten Markus Abwerzger ausgerufene „Duell um Tirol“. Oberwahlstratege Herbert Kickl erhoffte sich mit diesem kommunikativen Taschenspielertrick einen Mobilisierungseffekt zugunsten der FPÖ. Dieser konnte zwar im überschaubaren Ausmaß realisiert werden, die meisten enttäuschten ÖVP-Wähler sind allerdings zur SPÖ abgewandert. Unterschätzt hat Kickl auch die Gegenreaktion der Volkspartei. Denn mit dem Schreckgespenst eines freiheitlichen Landeshauptmannes konnte auch die ÖVP verstärkt eigene Stammwähler zur Stimmabgabe bewegen. Unterm Strich dürfte diese Strategie deshalb eher ein Eigentor als ein Erfolg für die FPÖ gewesen sein. Auch wenn diese Strategie die Wahlbeteiligung leicht erhöhte, blieben dennoch 35% der Tirolerinnen und Tiroler der Landtagswahl fern (das ist die größte Wählergruppe).

Erschreckend im Zusammenhang mit der Wählermobilisierung und der Wahlbeteiligung ist auch die große Alterskluft zwischen den Wählern. Hier zeigt sich das tatsächliche Desaster bei dieser Landtagswahl für die Volkspartei: Bei den unter 30-jährigen ist die ÖVP Tirol mit lediglich 17% Zustimmung auf den dritten Platz hinter die FPÖ (24%) und SPÖ (22%) abgerutscht. Bei der letzten Landtagswahl 2018 war die Volkspartei hier noch auf Platz 1. Gerade die jungen Tirolerinnen und Tiroler sind mit der Entwicklung ihres Bundeslandes besonders unzufrieden. Demgegenüber haltet die ÖVP bei den über 60-jährigen nach wie vor eine absolute Mehrheit (50%). Wer solche Zustimmungswerte hat, kann sich im politischen Wettbewerb glücklich schätzen. Immerhin sind ältere Wähler die zahlenmäßig größte und treueste Wählergruppe. 28% der ÖVP-Wähler haben als Hauptmotiv angegeben, immer diese Partei zu wählen.

Der enorme Vertrauensverlust der Volkspartei gerade bei den jungen Tirolerinnen und Tiroler ist unter dem Deckmantel des Gesamtergebnisses bislang versteckt geblieben. Und manche in der Volkspartei meinen auch: „Wenn die Jungen älter werden, werden sie sicher auch ÖVP wählen“. Das aber wird nicht so sein. Denn das Wahlverhalten ist keine Frage des Alters, sondern vielmehr ein Generationeneffekt. Werden auf die Anliegen und Probleme der heutigen Jungen vergessen, wird sich dies nicht nur auf das Wahlverhalten von morgen, sondern auch auf das Vertrauen gegenüber der Lösungsfähigkeit von Demokratie auswirken. Die Volkspartei wird dann keine Rolle mehr spielen.

ÖVP-Parteimanager Martin Malaun sagte noch am Wahlabend: „Wir haben die Botschaft verstanden“. Dieser Ankündigung müssen nun dringend Daten folgen. Will die Volkspartei zukunftsfit sein, braucht sie sowohl eine inhaltliche als auch personelle Neuausrichtung. Eine relativ ähnliche Generation von Politikern hat das Handeln der Partei in den letzten Jahren bestimmt. Diese haben sich vor allem damit beschäftigt, gute Leute unserer Gesinnungsgemeinschaft konsequent ins Abseits zu stellen. Der „Neue“ Partei-Chef Anton Mattle sollte deshalb gerade jetzt die Regierungsbildung als Chance für einen Neustart nutzen. Egal wer zukünftig mit der Volkspartei koaliert – es werden immer junge Repräsentanten sein. Gemeinsam mit ihnen auf der Regierungsbank wird die Volkspartei – ob sie will oder nicht – auf jedem Fall alt aussehen. Wir sind jetzt aus dieser Landtagswahl mit einem „blauen Auge“ davongekommen. Um den totalen Absturz über alle Generationen hinweg verhindern zu können, muss die Volkspartei die Erneuerung wagen.

Zum Autor: Der Tiroler Dominik Schrott, MSc war von 2004 bis 2018 in unterschiedlichen Funktionen politisch aktiv – zuletzt als Nationalratsabgeordneter. Er galt von Beginn an als Mitstreiter an der Seite von Sebastian Kurz.