Als der eXXpress die Aktivisten, die seit Anfang September gegen den Bau des Lobau-Tunnels, eines neuen Autobahnknotens und einer achtspurigen Schnellstraße protestieren, besuchte, wurde eines schnell ersichtlich. Nur wenige Aktivisten passen in die rein ideologische Spalte der „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“-Bewegung. Eher ist es ein Zusammenschluss regionaler Bürgerinitiativen gegen den Bau eines Verkehrsknotenpunktes, der in der Lobau wenig Positives für die Bewohner mit sich bringt. Die schöne Natur wird völlig sinnlos zerstört, sagen uns junge Menschen. Viel Lärm um nichts, sagen andere.

Drei Camps auf dem Areal

Freitagmorgen im Nordosten Wiens. An drei Punkten entlang der geplanten Autobahn haben sich die Aktivisten der Initiative „Rettet die Lobau“ sowie Mitglieder von Fridays for Future und anderen Umweltorganisationen verteilt und „angesiedelt“. Fotos dürfen wir nur im legal errichteten, als Dauerdemonstration angemeldeten, Basiscamp machen. Im ersten Camp, das direkt am Knotenpunkt der geplanten Autobahn liegt, wolle man das nicht. In die Erdhügel haben die jungen Menschen Unterbauten, die Stollen ähneln, gegraben, vereinzelt stehen Zelte. Handwerker haben sie leider nicht unter sich, erzählt uns ein junger Mann. Sie würden alles provisorisch errichten und halt immer nachbessern – unordentlich ist es aber nicht, wie wir feststellen.

Im Basiscamp leben zeitweise bis zu 20 Personen.

Der junge Mann mit dem blauen Stirnband führt uns von diesem, illegal errichteten, Camp zum „Basiscamp“, das zehn Minuten Fußweg entfernt ist. Auf dem Weg dorthin treffen wir auf Jutta Malysek, die Initiatorin der Bürgerinitiative „Rettet die Lobau.“ Sie erzählt, die Stadt Wien würde mit dem Bau der Lobau-Autobahn ihre eigenen Ziele „konterkarieren. Wir können nachweisen, dass es zu keiner Entlastung der Südost-Tangente kommen wird. Das ist Humbug. Der Bau der Autobahn erwirkt laut neuesten Berechnungen ein Plus von 60 Prozent beim Ausstoß der Emmissionen in der Region.“ Käme es zu einer Fertigstellung der Autobahn, hätte Wien eine „Schwerverkehrsroute bis nach Danzig in Polen.“ Der Transitverkehr betrage bisher nur acht Prozent des Verkehrsgeschehens in WIen, „aber man kann sich schon vorstellen, was dann kommen wird, wenn der Knotenpunkt von der EU als Teil des Transeuropäischen Verkehrsnetzes gewertet wird – da ziehen dann die LKW-Karawanen durch, da kann das kleine Österreich dann nicht mehr viel machen.“

Generationenübergreifender Zusammenschluss – Jutta Malysek (l) und Lena Schilling (r) gaben ein aufschlussreiches Interview.

Stadt Wien soll mehr in kulturelle Angebote und öffentliche Infrastruktur investieren

Das Geld wäre besser in öffentliche Infrastruktur investiert, mit der man auch quer und abseits der U-Bahn, beispielsweise von Essling nach Hirschstetten, gelangen könne. „Und es fehlt auch ein kulturelles Angebot. Die Menschen hier brauchen keine neuen Asphaltstraßen, sondern mehr zwischenmenschliche Kontakte. Außer zementieren macht die Stadt Wien hier nichts.“  Im Basiscamp wurde eine kleine Zeltstadt errichtet, es gibt Infrastruktur, die Bewohner trinken Kaffee und sitzen auf Bänken und Kisten und unterhalten sich. „Es gibt hier immer was zu tun,“ sagt uns der junge Mann mit dem blauen Stirnband. Die Aktivisten sind freundlich, laden uns ein, zeigen uns ihr Camp. Es sei momentan ein großer Andrang von Medienvertretern, manche würden sogar bei Ihnen im Camp übernachten. Man täte sich schwer, Vertrauen aufzubauen, wolle niht, dass Aussagen verdreht oder ins falsche Licht gerückt werden. Direkt hinter dem Zaun, an dem das letzte Zelt befestigt ist, soll die Autobahn gebaut werden, erzählt uns Malysek. Dort, wo jetzt noch Felder sind, auf denen Gemüse oder Blumen angebaut werden. Für Rehe und andere Tiere, die hier leben, sei dann kein Platz mehr. Auch die Hirschstettner Blumengärten seien stark betroffen. „Wer will in ein Erholunsggebiet, wo es so laut ist und die Luft verpestet ist ?“ Auch seien die hier lebenden Rehe keine geschützte Tierart, diese würden einfach verscheucht und ihnen Lebensraum genommen.

Viele Anrainer sind auf der Seite der Aktivisten

Wir erkunden uns in angrenzenden Wohnsiedlungen, wie Anwohner die Ansiedlung der Aktivisten bewerten. Die Einstellung der Befragten gegenüber den Aktivisten ist durchaus positiv. Mehrere Anrainer sagen uns, dass sie den Lobau-Demonstranten regelmäßig Essen vorbeibringen, eine Frau erzähl uns, sie backe sogar vegane Kuchen für die Demonstranten. Außerdem würden die Aktivisten endlich etwas Leben in die Gegend bringen, am Wochenende mit den Kindern aus der Umgebung Fußballspiele veranstalten und am Lagerfeuer singen.„Die Menschen hier brauchen sowas, das ist ein verbindendes Element, der Kampf gegen die Autobahn“, erzählt uns eine Mutter. Sie wolle trotzdem aus der Gegend wegziehen, bei ihr im Gemeindebau würden bereits schalldichte Fenster eingebaut ewerden. Denn: Die bisher zweispurige Straße soll bald einer achtspurigen Stadtautobahn weichen – erste Baustellen gibt es auch hier bereits. Eine ältere Dame erzählt uns von Bürgerinitiativen von vor 25 Jahren. Damals hätte man den Bau noch verhindern können, weil sich die Menschen in der Umgebung zusammengetan hätten und Unterschriften gesammelt hätten. Auch sie fiebert mit den Demonstranten, hofft, dass der Bau in letzter Minute doch noch verhindert werden kann.

Die Zahlen der Asfinag sind veraltet, sagt Malysek.

Die Sprecherin und Klimaaktivistin Lena Schilling und die Obfrau der Bürgerinitiative geben uns ein Interview vor einem mongolischen Zelt im Basiscamp. Malysek erklärt anhand von aufgehängten Grafiken, es werde seitens der Stadt Wien und der Asfinag mit den Zahlen getrickst: „Die Asfinag rechnet mit KFZ-Anzahlen aus dem Jahr 2005. Aufgrund dieser Daten wird überhaupt erst eine Berechtigung für die neue Autobahn abgeleitet. In den letzten 16 Jahren wurden aber die Öffis ausgebaut und viele Menschen fahren nicht mehr mit dem Auto. Wo ist also die Datenbasis für den Bau?“ Die Autobahn soll 4,5 Milliarden Euro Steuergeld verschlingen, die achtspurige „Stadtstraße“ eine halbe Milliarde. „Das sind 150.000 Euro Steuergeld pro Meter“, so der junge Mann mit dem blauen Stirnband.

Kein Kompromiss: "Autobahnbau ist wie eine Schwangere – manches kann man nicht mehr rückgängig machen"

Er wird dann aber doch etwas allgemeiner. Es gehe nicht nur um die Umweltzerstörung, auch gelte es, „ein patriachales System, das seine Männlichkeit im Bau von Autobahnen manifestiert“, zu bekämpfen. Der Protest der Aktivisten würde auch symbolisch für Sexismus und Rassismus stehen. Die Pressebeauftragte Lena Schilling antwortet auf Nachfrage nicht direkt auf das Statement ihres Kollegens, es gäbe natürlich viele andere Probleme, aber „diese Ungerechtigkeit hier ist real und sie passiert jetzt.“ Die Aktivisten haben nicht vor, ihre Camps zu räumen. Einen Kompromiss „kann es in diesem Fall nicht geben“, eine Autobahn sei wie eine Schwangere, da könne man vieles nicht mehr rückgängig machen, ergänzt Malysek.”Es gibt nicht ‘ein bisserl Autobahn bauen'”.. Wenn der Bau der Autobahn erst einmal passiert ist, seien viele Schäden nicht mehr reparabel. Deswegen gelte es nun standhaft zu bleiben. Bis Ende Februar ist die Dauerdemonstration nun angemeldet, danach werde man weitersehen.

Halten Sie den Protest der Aktivisten für gerechtfertigt?