Unter den Mandanten von Ralf Höcker sind nach dessen eigener Auskunft viele „Politiker, Professoren, Unternehmer, deren Meinung irgendjemandem nicht gefällt und die man deswegen vernichten will.“ So vertritt er zum Beispiel Marie-Luise Vollbrecht, eine Doktorandin, die an der Berliner Humboldt-Universität darlegen wollte, warum es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Nach dem Protest von Aktivisten hat die Uni ihren Vortrag abgesagt.

Aktivisten setzen das Umfeld ihrer Opfer unter Druck

„Frau Vollbrecht hat verstanden, dass es um ihren Ruf, ihre berufliche Existenz und ihre Stellung in der Gesellschaft geht und keineswegs nur darum, ob sie diesen Vortrag halten darf“, erzählt Höcker im Interview mit der NZZ. Das sei oft so. „Ich habe immer wieder erlebt, dass diese Leute mit einem totalen Vernichtungswillen operieren.“ Sie wollen die Existenz Andersdenkender zerstören.

Alexander von Humboldt (1769 bis 1859) würde wohl im Grab routieren, wenn er wüsste, wie die nach ihm benannte Universität auf Angriffe gegen die Meinungsfreiheit reagiert.APA/dpa/Maurizio Gambarini

Dabei setze die „Cancelei“, wie sie der Star-Anwalt nennt, „beim Umfeld des Opfers an. Arbeitgeber, Kooperationspartner, Kunden werden unter Druck gesetzt, sich zu distanzieren. In einer Kettenreaktion soll einer nach dem anderen kippen. Das ist immer die Absicht der Aktivisten.“ Im Falle von Vollbrecht habe die Universität „aus Feigheit“ eingelenkt: „Die Uni-Leitung hat Angst vor einer Handvoll kreischender Aktivisten, die auch ihr Transphobie vorwerfen könnten. Dabei können einem solche Vorwürfe nichts anhaben. An Universitäten und in Verbänden regiert jedoch die nackte Angst vor den Aktivisten. Man glaubt: Wenn wir uns nicht distanzieren von dieser Person, dann sind wir als Nächste dran.“

Man muss eine Gegenöffentlichkeit schaffen

Näher besehen seien die Aktivisten aber „Scheinriesen“. Ralf Höcker verwendet hier eine Metapher aus der Augsburger Puppenkiste: „Je näher man kommt, desto kleiner wird der Riese. Und so ist es auch mit den Aktivisten. Aus ihnen kann man argumentativ schnell Zwerge machen. Sie machen einen Riesenlärm und bekleben Leute mit Etiketten, die auf -ismus enden. Sachargumente haben sie fast nie.“

Veranstaltungen mit Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling wurden schon abgesagt, weil ihre Aussagen zu Geschlechtern „transphob“ seien.

Höckers erste Gegenstrategie: „Wir suchen zuerst den Schulterschluss im Umfeld“. Im Falle des Medizin-Professors Paul Cullen, der nicht mehr Vorlesungen über Diabetes halten sollte, weil den Aktivisten seine Ansichten zur Abtreibung nicht passten, wurde „eine studentische Gegenbewegung“ gebildet, die sich für ihn einsetzte. Es gehe darum, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.

Der wichtigste Tipp: Cool bleiben, mit Sachargumenten kontern

Höckers wichtigster Tipp für die Opfer der Cancel Culture: „Man darf auf keinen Fall in Panik geraten, sondern soll sitzen bleiben, die Angriffe aushalten und so lange warten, bis dem Gegner nichts Neues mehr einfällt. Irgendwann ist jede Geschichte zu Ende erzählt, wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Das Dümmste sind Schnellschüsse“. Und: „Man kann gut auf Sachebene diskutieren und muss nicht diese ängstliche Cancelei betreiben.“

Kritik übt der Medienanwalt im NZZ-Interview auch an der Hypersensibilität bestimmter Minderheiten: „Ich habe auf einer privaten Veranstaltung kürzlich den Kabarettisten Kay Ray auftreten lassen. Kay Ray kann fast nirgendwo mehr auftreten, weil er konsequent Witze über alle macht, auch über Muslime, Behinderte und Transpersonen. Das soll er und das soll jeder von uns tun dürfen. Denn unsere Rechte enden nicht da, wo die Gefühle anderer beginnen“. Verletzte Gefühle würden zum „Totschlagargument“. Er bleibt dabei: „Unsere Rechte enden erst da, wo die Rechte anderer beginnen.“