Bernhard Heinzlmaier: Der Firnis der Zivilisation ist dünn
Der Mensch bleibt laut Sigmund Freud an das barbarische Triebleben seines Urzustandes gebunden. Er unterwirft sich sittlichen Normen meist nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus Angst vor der Rache der Gemeinschaft. Das gilt auch für Fridays for Future und Co: Sie wollen die Welt nicht verbessern, in Wahrheit sind sie großteils Selbstdarsteller, wie eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier aufzeigt.
„Die Zivilisation ist eine ganz dünne Kruste über einem Vulkan“ hat einst der Philosoph Ernst Cassirer bemerkt. Ganz ähnlich dachte Sigmund Freud, der meinte, dass „das primitive Seelische im vollsten Sinne unvergänglich sei“. Stärker als der Mensch es wahrhaben will, ist er an das barbarische Triebleben seines Urzustandes gebunden, und wenn er sich sittlichen Normen unterwirft, dann nicht aus innerer Überzeugung, sondern aufgrund von sozialen Ängsten, d.h. er handelt nur deshalb „gut“, weil er Angst vor der Rache der Gemeinschaft hat.
Fridays for Future und Co. sind großteils Selbstdarsteller
Daraus zieht Freud den Schluss, dass es in der modernen Gesellschaft mehr Kulturheuchler als kultivierte Menschen gibt. Der Kulturheuchler inszeniert sich öffentlich als Gutmensch, tut aber nur deshalb Gutes, weil ihn die sittliche Norm dazu zwingt. Und selbst die, die gegen Macht und Gesetz revoltieren, machen es häufig für den persönlichen Lustgewinn und den individuellen Vorteil und nicht wegen der Sache selbst.
Aus dieser Perspektive betrachtet können wir davon ausgehen, dass die „Ökomanen“, die unter den Chiffren Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Greenpeace agieren, überwiegend Selbstdarsteller und Wichtigmacher sind, die durch die Dramatisierung und Übertreibung der ökologischen Situation der Welt in erster Linie auf persönliche Erträge abzielen und nicht auf das Wohl der Menschheit, wie sie uns weismachen wollen.
Im Vergleich zu den 1950er Jahren ist unsere Zeit egozentrischer
Schon in den 1950er Jahren hat David Riesman in seinem Buch „Die einsame Masse“ darauf hingewiesen, dass der moderne Mensch außenorientiert und nicht innengeleitet ist. Das bedeutet, dass ihn nicht verinnerlichte moralische Prinzipien zum Handeln veranlassen, sondern die Aussicht auf Anerkennung durch seine soziale Umgebung, nach der er förmlich süchtig ist. Und er hat für seine These eine wunderbar treffende Metapher gefunden, das kleinbürgerliche Leben der amerikanischen Mittelschichten in den Vororten großer Städte. Dort steht ein identisches Reihenhaus neben dem anderen und davor der milieutypische Mittelklassewagen. Wenn nur eine Familie in einer dieser Reihenhaussiedlungen einen höherwertigeren Wagen anschafft, dann geraten alle anderen unter Druck, es ihr gleichzutun.
Im Vergleich zu den 1950er Jahren ist unsere Zeit um ein Vielfaches egozentrischer und außenorientierter. Heute regieren nur mehr Selbstdarstellung und Selbstinszenierung das soziale Leben. Selbst im Arbeitsleben ist das so. Dort kommt es weniger auf die Leistung an, vielmehr wird der Wert des Menschen daran bemessen, wie gut er sich zu verkaufen versteht. Freizeit, Arbeitswelt und Politik sind zu Personality-Shows herabgekommen.
Der Populismus ist zum allgemeinen Modus der Politik geworden. Auch hier steht nicht die Sache im Vordergrund, also die Interessen und Bedürfnisse der Menschen, sondern der kurzfristige Gewinn an Aufmerksamkeit und Sympathie. Wie sonst könnte der Wiener Bürgermeister auf die wahnwitzige Idee kommen, an die um ihre Existenz ringende Ukraine eine Ladung FFP2-Masken zu senden. Hier wurde eindeutig nach dem Motto vorgegangen, bevor ich nichts mache, mache ich irgendetwas. Am Ende bleibt bei den vom Übermaß an Informationen narkotisierten Menschen im diffusen Unbewussten hängen, dass Ludwig etwas gemacht hat. Und das genügt, auch wenn es sinnlos war.
Die Inszenierung der Politik funktioniert immer schlechter
Doch die Inszenierungen der Politik gehen immer mehr ins Leere. Vor allem die Jugend glaubt den von PR-Experten fremdbestimmt gelenkten politischen Schaustellern und auch den Medien nicht mehr. 80% der unter 30 Jahre alten Österreicher sind überzeugt, dass die politischen Parteien keine Ahnung von ihrem Leben haben und 70% vertrauen auch den Medien nicht mehr. Sowohl der Politik als auch den Medien wird vorgeworfen, dass es ihnen nicht mehr um die Wahrheit geht, sondern einzig um die Manipulation des Wahlvolkes.
Dass die überwiegende Zahl der Medien nicht mehr um Objektivität bemüht ist, sondern einer ideologischen Agenda folgt, ist in den letzten Wochen mehr als offensichtlich geworden. Da wurde über die Entlastung von Ex-Kanzler Kurz durch die Aussagen der Marktforscherin Beinschab und den dadurch erfolgten Zusammenbruch der von der WKStA konstruierten Bestimmungstäterschaft gar nicht oder verdreht berichtet und der mutmaßliche Kokain-Großhändler, der aus reiner Geldgier die Ibiza-Posse inszenierte, der Heinz-Christian Strache zum Opfer fiel, wird, wie einst der Massenmörder Unterweger, von der linken Mainstreampresse als Justizopfer inszeniert. Offensichtlich erliegt die linke Medienbourgeoisie besonders leicht dem Charme von Kriminellen. Vielleicht faszinieren sie Rulebreaker und Nonkonformisten deshalb so, weil sie sich selbst ein ödes angepasstes und unterwürfiges Leben aufgezwungen hat. Das Anhimmeln von Gaunern hat offenbar entlastende Wirkung für die von ihrem grausamen Über-Ich gequälten linken Lohnschreiber.
Im neobarbarischen Zeitalter zählt nur das "Richtige" zu sagen
Um wieder zum Anfang zurückzukommen, zum Zivilisationsverlust. Dieser zeigt sich nicht nur bei linken Chefredakteuren, die zwar nicht mehr wie die barbarischen Anführer der Urhorde ihre Widersacher physisch vernichten, sondern in moderner sublimer Art ihre soziale Reputation zu zerstören versuchen, indem sie diese bei der Polizei verleumden. Auch die aggressiven linken Twitter-Rotten, die sich im permanenten Kriegszustand befinden und jeden, der sich nicht so ausdrückt und nicht so denkt, wie sie es für richtig halten, hetzen, bis die Verfolgten sich von selbst in den Abgrund des kommunikativen Nichts stürzen, um dort für immer zu verschwinden.
Im neobarbarischen Zeitalter kommt es nicht mehr darauf an, was die Menschen tun, alleine zählt was sie sagen. Die aktuelle Auseinandersetzung in den gespaltenen Gesellschaften Mitteleuropas ist zum Glück ein oft lächerlicher Krieg der Worte.
In der Ukraine ist der Krieg nicht eine Schlacht der Zeichen, sondern ein reales Gemetzel, dem wirkliche Menschen massenhaft zum Opfer fallen. Egal ob symbolischer Krieg oder realer, überall dort, wo sich aufgrund von anomischen Ereignissen die sittlichen Beziehungen lockern und die soziale Kontrolle abnimmt, dort fallen die Menschen in barbarisches Treiben, entgleiten völlig dem zivilisatorischen Usus, und regredieren zu primitiven Seelen, die „Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Rohheit begehen, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte“ (Sigmund Freud).
Beide Kriege, der populistische Krieg der Worte unter akademischen Wohlstandsbürgern in Mitteleuropa und der hundertmal schlimmere reale Krieg in der Ukraine sind Angelegenheiten von histrionischen Eliten und nutzen nur diesen. Die normalen Menschen haben ausschließlich Nachteile durch sie. Wie die Geschichte lehrt, sind sie, egal was passiert, am Ende immer die Verlierer.
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