Bernhard Heinzlmaier: Die Rückkehr der Sühnekultur
Wenn sich die Kirche zum politischen Akteur aufschwingt, darf sie sich nicht wundern, wenn sie dann auch so behandelt wird, findet eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier.
Die Sünde ist ein konstitutives Element der meisten Religionen. Ihre Funktion ist es, das Selbstbewusstsein der Menschen zu schwächen, indem sie sich als unvollkommene, schuldhafte Lebewesen wahrzunehmen lernen. Die auf diese Art demoralisierten Individuen, sind leichter zu lenken und zu beherrschen, weil sie sich befleckt, beschädigt, von Makel behaftet fühlen. Ihr Handeln wird unsicher, weil es von der ständigen Angst begleitet wird, einen Fehler zu machen, der furchtbare Strafen zur Folge haben könnte.
Die größte Strafe der katholischen Kirche und des Islam, ist die Höllendrohung, die ewige Verdammnis. Die einzige Möglichkeit, der Verdammnis zu entgehen, ist die Selbsterniedrigung, das jämmerliche sich in den Staub werfen vor dem allmächtigen Gott. Nur er kann die Sünde tilgen, nur er kann das Individuum entschulden.
Dieses Entschuldungsritual wurde von den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts, dem Faschismus und dem Kommunismus, übernommen. Die säkularen Religionen forderten die Individuen auch zur Selbsterniedrigung und Unterwerfung auf, aber nicht vor einer transzendenten Macht, sondern vor der Volks- oder Klassengemeinschaft. Der Sünder musste öffentlich Selbstkritik üben, er musste sichdeutlich sichtbar entblößen, sein Innerstes nach außen kehren, sich dem Urteil der Allgemeinheit überantworten.
Schuld und Sühne gehört nicht in die Politik
Wir leben heute in einem liberalen Verfassungsstaat, in dem in demokratischen Verfahren um die Macht gerungen wird und in Diskursen kontroverse Standpunkte ausgetauscht werden. Um Schuld und Sühne geht es bestenfalls im Beichtstuhl oder vor Gericht, aber niemals in der Politik. Und auch die totalitären Rituale der Selbstanprangerung und der Selbstkritik sind nicht mehr üblich.
Trotzdem verlangt der Präsident der Caritas eine öffentliche Entschuldigung von Sebastian Kurz dafür, weil nun angesichts der SMS-Affäre darüber diskutiert werden muss, wie einige wenige zu höheren Ämtern gekommen sind, während Hunderttausende arbeitslos sind und weil er die Steuerprivilegien der katholischen Kirche in Frage gestellt hat.
Wer zum politischen Akteur wird, wird auch so behandelt
Abgesehen davon, dass die Zeiten des Totalitarismus vorbei sind, in denen öffentliche Selbstkritik zur politischen Kultur gehörte und dass es in der Politik und auch in der Kirche üblich ist, dass wenige in höhere Ämter kommen und auch wenige darüber entscheiden, muss auch eine Religionsgemeinschaft, die sich, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, selbst zum politischen Akteur gemacht hat, zur Kenntnis nehmen, dass sie von Teilnehmern am politischen Wettbewerb auch wie ein politischer Gegner behandelt wird. Beleidigt aus der politischen Rolle herauszutreten, sich in den Pfarrer zurück zu verwandeln und den Bundeskanzler in den Beichtstuhl zu zitieren und zur öffentlichen Selbstkritik aufzufordern, ist nicht einmal unverschämt, es ist einfach lächerlich.
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