Christian Klar: Das Schuljahr 24/25 beginnt mit vielen Unsicherheiten!
Der Beginn und das Ende eines Schuljahres wird vom Kalender bestimmt, das Schuljahr beginnt also mit Sicherheit im September und endet im Juni. Aber was passiert dazwischen? Welche Herausforderungen bringt das kommende Schuljahr?
In Wien steigt die Anzahl an Schülern insgesamt, während Anzahl der Kinder mit Deutsch als Muttersprache aufgrund der sinkenden Geburtenrate der Österreicher weiter abnimmt. Es wird also der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund weiter steigen, verstärkt durch die Familienzusammenführung. Das führt zu vielen Herausforderungen: Fehlende Deutschkenntnisse sowie das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen erschweren die Arbeit und das Zusammenleben in der Schule. Schon allein aus diesem Grund würde es mehr Lehrpersonal benötigen. Die Realität ist jedoch eine andere: Pensionierungen, Abwanderungen von Lehrpersonen in andere Bundesländer oder Ausstieg aus dem Lehrberuf sind keine guten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schule.
Der zusätzlich Raumbedarf für eine größere Anzahl an Kindern an öffentlichen Pflichtschulen wurde offensichtlich auch nicht rechtzeitig einkalkuliert. Das Ergebnis sind überfüllte Klassen sowie in aller Eile errichtete Containerklassen in Schulgärten und auf Sportplätzen. Verständlicherweise gibt es hier Widerstand seitens der betroffenen Standorte sowie auch der Bevölkerung.
Neu in Wien sind sogenannte Willkommens-Klassen für Kinder, die quer in unser Schulsystem einsteigen und noch nie in ihrem Leben, unabhängig ihres Alters, eine Schule besucht haben. In einem sechswöchigen Intensivkurs werden sie auf Grundregeln des schulischen Zusammenlebens vorbereitet und danach an Schulstandorte in ihrer Wohnnähe zugewiesen und gemäß ihrem Alter Klassen zugeteilt. Es ist nahezu unmöglich in sechs Wochen ausreichend Deutschkenntnisse zu erwerben, um am Regelunterricht teilnehmen zu können und erschwerend kommt noch hinzu, dass viele dieser Kinder weder Schreiben noch Lesen können. Im Idealfall verfügen diese Schulen daher über Deutschförderklassen und Alphabetisierungskurse, ansonsten werden diese Kinder keine Chance haben, dem Unterricht zu folgen. Darauf, was das für Auswirkungen auf die anderen Kinder hat, gehe ich hier nicht ein. Erwähnen möchte ich noch, dass alle Kinder, die in ihrem Heimatland bereits eine Schule besucht haben, gleich gemäß ihrem Alter in Klassen eingeteilt werden.
Ein immer größer werdender Anteil an Kindern aus anderen Kulturen führt auch zu einer Veränderung des Zusammenlebens: Regeln, Verhalten, den Umgang miteinander und Ähnliches mehr lernen Kinder vor allem von Gleichaltrigen. Haben Neuankömmlinge überhaupt noch die Möglichkeit unsere Kultur und unsere Werte authentisch und vorgelebt im täglichen Miteinander zu erfahren?
Den Schulstart, so wie wir ihn als ganz besonderen Tag kennen, gibt es für viele Gott sei Dank immer noch: Eltern und Großeltern, die für ihr Taferlklasslerkind schon seit Wochen Schultasche, Schultüte und vielleicht Stifte mit eingraviertem Namen bereit haben und überlegen, was ihr Kind am ersten Schultag anziehen wird.
Leider wächst der Anteil jener, für die der Schulstart ihres Kindes keine emotionale Bedeutung hat. Es gibt leider tatsächlich hier geborene Kinder, die kein Deutsch sprechen. Vereinzelt wurden sogar vom Staat bereit gestellte Pagro/Libro-Gutscheine für Bedürftige auf Willhaben zum Verkauf angeboten. Beispiele, die darauf schließen lassen, dass der Unterschied im Bildungsniveau in unserem Land immer größer werden wird. Diese Kluft können unsere Schulen nicht mehr ausgleichen. Das liegt aber nicht an unserem Schulsystem, sondern vor allem am unterschiedlichen Bezug der Betroffenen zu Bildung.
Viele Fragen, die nächsten Monate beschäftigen werden.
Unsere Schüler sind die Gesellschaft von morgen. Wie wird die Gesellschaft von morgen angesichts dieser Voraussetzungen aussehen? Geben wir der Schule angesichts dessen die Bedeutung, die wir ihr geben sollten?
Denken wir aber an die Zukunft unserer liberalen und demokratischen Gesellschaft, können wir zusammenfassen: Aus „Wir schaffen das!“ wurde längst “Schaffen wir das?”. In meinem am vergangenen Freitag erschienen Buch “Was ist los in unseren Schulen” erzähle ich Geschichten aus der Schule, ziehe meine Schlüsse daraus und habe einige Veränderungsvorschläge.
Was ist los in unseren Schulen?: Ein Schulreport
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INFO
Christian Klar (61) ist Schuldirektor in Wien. Zum Schulbeginn erschien sein erstes Buch “Was ist los in unseren Schulen”.
– Lehrer in verschiedenen Schulen
(Hauptschule, jüdische Privatmittelschule, Polytechnische Schule, Pädagogische Hochschule)
– Seit elf Jahren Schulleiter einer öffentlichen Wiener Mittelschule (“Brennpunktschule”)
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