Christian Ortner: Asylgrund Tristesse?
Wer es für eine verrückte Idee hält, dass de facto alle 40 Millionen Einwohner Afghanistans ein Recht auf Asyl in Österreich haben sollen, der ist mit den jüngsten Urteilen eines europäischen Höchstgerichtes nicht vertraut, staunt eXXpress-Kolumnist Christian Ortner.
Manchmal muss man als leidlich vernünftiger Zeitgenosse zum Schluss kommen, dass unser Rechtstaat, den wir mit recht für einen eminente Errungenschaft halten, manchmal Recht schafft, das auch bei Nachsicht aller Taxen die Grenzen des Zumutbaren überschreitet. Geht es nämlich etwa nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), dann haben neuerdings kurioserweise nahezu alle Einwohner Afghanistans (über 40 Millionen) einen jedenfalls grundsätzlichen Rechtsanspruch darauf, nach Österreich (9 Millionen) zu übersiedeln und hier ihr Asyl zu beanspruchen.
Was wie ein juristischer LSD-Trip erscheinen mag, ist rechtlich durchaus fundiert. Anfang dieses Jahres befand der EuGH nämlich, dass schon allein das Frausein in Afghanistan einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Asyl in der Europäischen Union begründen kann, also auch ohne Nachweis irgendeiner individuellen Form der Verfolgung. „Afghanische Frauen müssen als Flüchtlinge anerkannt werden,“ freute sich da etwa die einschlägige deutsche Organisation „Pro Asyl“.
Zeitbombe „Familiennachzug“
Die etwa 20 Millionen Frauen Afghanistans haben demnach also jedenfalls grundsätzlich das Recht, hierherzukommen und die Segnungen unseres Sozialstaates zu nutzen.
Weil aber anerkannte Asylwerberinnen natürlich auch das Recht haben, nach einer bestimmten Frist im Zuge des sogenannten „Familiennachzuges“ Söhne, Väter oder Brüder nach Österreich zu holen, könnte auf diesem Wege eben nahezu die ganze Bevölkerung Afghanistans legal nach Österreich übersiedeln. Denn nahezu jeder afghanische Mann wird ja familiär mit einer Frau verbunden sein, die ihm die Eintrittskarte nach Europa verschaffen kann dank dem EuGH-Entscheid.
Dieses juristische Gedankenexperiment zeigt ein ziemlich großes Problem auf, das in den letzten Jahren den Alltag nicht nur am Wiener Reumannplatz verändert hat: nämlich eine europäische Rechtsprechung, die das Recht auf Asyl immer großzügiger auslegt. Durften etwa früher nur jüngere Asylwerber Eltern und Geschwister im Zuge des Familiennachzugs nach Österreich oder Deutschland holen, so wurde dieses Recht vom EuGH teilweise auch auf erwachsene Flüchtlinge ausgedehnt, eine andere Entscheidung der Höchstrichter hat zur Folge, dass potentielle Bedrohung im Herkunftsland auch dann vor Abschiebung schützen kann, wenn der Asylant schwerste Straftaten begangen hat.
Vor allem das Recht auf Familiennachführung und seine stetige Ausweitung erweisen sich dabei immer mehr als migrationspolitische Zeitbombe, die freilich lautlos detoniert. Denn mittlerweile kommen mehr Menschen auf diesem Weg und damit völlig legal aus den kulturell mehr als problematischen Regionen der Welt zu uns als über das Mittelmeer oder andere Routen illegaler Migration.
Asylgrund Tristesse?
Wie sehr dabei völlig inakzeptable Zustände gleichsam zum neuen normal geworden sind, enthüllte jüngst eher unfreiwillig das „Profil“ in einem Bericht über die unerfreulichen Folgen dieser Zuwanderung. Da lesen wir von einem Migranten namens Idris, der das nordsyrische Raqqa vor drei Jahren verlassen hatte, „dort war er Chauffeur. Die ehemalige Hauptstadt des Islamischen Staates hatten die Kurden zwar schon vor der Terrororganisation befreit, Idris wollte die Familie trotzdem wegbringen aus der Tristesse. Vier Monate war er mit Schleppern über die Balkan unterwegs, angekommen in Österreich erhielt er Asyl.“ („Profil“)
Wir lernen: „Tristesse“ begründet offenbar einen Asylgrund, und die Reise nach Österreich durch mehrere sichere Drittländer ist ebenfalls kein Grund, Asyl zu verwehren – und anschließend die ganze Familie nachzuholen. Alles ganz normal.
Das kleine Problem dabei ist nur: wenn nicht alles täuscht, finden immer weniger Wählerinnen und Wähler dieses neue normal irgendwie normal, ganz im Gegenteil.
Asyl darf nicht jeder kriegen
Doch Politik, die dieses Problem wirklich auch nur ansatzweise lösen will, muss radikal umdenken und versuchen, Asyl wieder zu einem Recht machen, das sehr restriktiv gehandhabt wird. Und sich auf jene beschränkt, die nachweisbar persönlich aus politischen, religiösen oder ähnlichen Gründen verfolgt werden – und die, wie es das Asylrecht ursprünglich ja vorsah, nicht in ein benachbartes sicheres Land fliehen konnten.
Gleichzeitig gehört der Familiennachzug streng an die Fähigkeit des Asylsuchenden gebunden, selbst für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen; oder noch besser die Familien nach dem Wegfall der Fluchtgründe dort zusammenzuführen, wo sie ursprünglich herkommen. Dafür müssen eben die entsprechenden rechtlichen Grundlagen geschaffen werden.
Die rechtliche Grundlage dafür zu schaffen, ganz Afghanistan nach Europa zu transferieren, dürfte hingegen kein sehr smarter Beitrag zur Lösung des Problems sein.
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