Christian Ortner: Das Zwentendorf der Migrationspolitik
Wenn Richter einen souveränen Staat wie Italien daran hindern können, Asylverfahren jenseits seiner Grenzen durchzuführen, dann stimmt mit diesem Rechtsstaat etwas nicht, findet exxpress-Kolumnist Christian Ortner.
Es war ein, sagen wir einmal, eher sehr holpriger Start eines ambitionierten Projekts. 36.000 Asylwerber pro Jahr will die italienische Regierung unter der Führung von Georgina Meloni auf hoher See abfangen, in ein funkelnagelneues Lager in Albanien schaffen und dort darüber entscheiden, ob sie Recht auf Asyl in Italien haben oder gleich wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, ohne jemals Bella Italia betreten zu haben.
Rechnung ohne Richter gemacht
Leider hat Frau Meloni die Rechnung ohne die italienischen Höchstgerichte gemacht, die sie in den letzten vier Wochen bereits zweimal gezwungen haben, jeweils eine Handvoll Asylwerber aus Ägypten und Bangladesch pronto aus Albanien nach Italien zu bringen, das europäische Recht sähe das so vor.
Gut möglich, dass das hunderte Millionen teure Lager in Albanien für die italienische Migrationspolitik das wird, was Zwentendorf für die hiesige Energiepolitik war – eine Investitionsruine der Sonderklasse.
Immer mehr Regierungen in der EU hoffen trotz dieses mehr als mühsamen und teuren Prozederes unverdrossen, derartige Lager außerhalb der Union seien eine Art Wunderwaffe im Kampf gegen die illegale Zuwanderung und die damit verbundenen Probleme, nicht zuletzt dem massiven Erstarken migrationskritischer Parteien.
Zu wenig, zu langsam
Nun ist die Idee ja grundsätzlich nicht falsch, aber man braucht schon sehr viel Fantasie, um sich davon ein für die Bevölkerung spürbares Eindämmen der Zuwanderung aus problematischen Kulturen zu erwarten.
Schon allein aus Gründen der Größenordnung: 2023 wurde in der Europäischen Union rund eine Million Asylanträge gestellt. Das Lager der Italiener in Albanien soll Platz für maximal 3.000 Personen bieten, die für maximal einen Monat bleiben sollen und von denen ein Teil ja Asyl gewährt und damit nach Italien weiterreisen wird.
Es wäre auch naiv anzunehmen, dass es Staaten in Afrika oder der arabischen Welt gibt, die nennenswertes Interesse an derartigen Lagern haben, weshalb ja auch alle derartigen Pläne bisher gescheitert sind; mit Ausnahme eines kleinen Komplexes in Ruanda, den die Briten erst finanziert haben und jetzt, ohne dass ein einziger Asylwerber dort je abgestiegen wäre, wieder schließen lassen. Auch so ein migrantisches Zwentendorf, sozusagen.
Symbolpolitik, sonst nix
Gelänge es selbst wider Erwarten, mehrere Lager wie das in Albanien zu errichten – mehr als eine eher symbolische Maßnahme wird das nie werden.
Und zwar allein schon deswegen, weil die derzeit meistbenützte Migrationsroute nach Europa weder über das Mittelmeer führt noch über den Balkan, sondern hochlegal auf dem Weg der Familienzusammenführung funktioniert.
Und wenn gleichzeitig der Europäische Gerichtshof (EuGH) de facto allen afghanischen Frauen ohne Einzelfallprüfung Recht auf Asyl gewährt, dann konterkariert das die allfällige günstige Auswirkung von Asylzentren auf insgesamt wenig kohärente Art. Ein kleines Leck zu stopfen und dabei ein größeres zu verursachen, ist vielleicht überschaubar sinnvoll. Wobei es in diesem Zusammenhang einmal ganz sinnvoll wäre, der Frage nachzugehen, wie es kommen kann, dass ein souveräner Staat wie Italien nicht darüber entscheiden kann, wo er Migranten einer Kontrolle unterzieht. Die meisten Menschen haben dafür eher wenig Verständnis, und dafür habe ich durchaus Verständnis.
Vorbild Polen
Aber vielleicht geht es Italiens Premierministerin Meloni und all den anderen Regierungen, die solche Lager für eine Lösung halten, ja eh nur um Symbolik – eine Symbolik, die den von den Folgen der Migration verärgerten Wählern sagen soll, ihre Beschwerden werden ernst genommen.
Offensichtlich erhoffen diese Regierungen, sich damit um die wirklich harten und wirksamen Methoden zur Begrenzung der Migration herummogeln zu können, also zum Beispiel einem temporären Aussetzen des Rechts auf Asyl, wie das ausgerechnet der liberale polnische Regierungschef Donald Tusk angekündigt hat. Auch ein restriktiverer Familiennachzug gehört in diese Kategorie ebenso wie Pushbacks an der Außengrenze der Union. All das ist rechtlich heikel, politisch nicht unumstritten und wird deshalb nicht großflächig eingesetzt, stattdessen werden halt jetzt acht Mann von der italienischen Kriegsmarine bilderstark über die Adria verfrachtet.
Grabschen, jagen, mobben
Kevin Kühnert, jüngst zurückgetretener SPD-Politiker und offen schwul, hat kürzlich erklärt, »natürlich ist der Großteil der Muslime in meinem Wahlkreis nicht homophob. Aber die, die es sind, schränken meine Freiheit ein und haben kein Recht darauf.«
Und sein grüner Politikerkollege Cem Özdemir ergänzte, auf seine eigene Tochter Bezug nehmend: »Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden.« Auch die jüngste Jagd auf Juden in Amsterdam darf in diesem Kontext erwähnt werden. Da ist schon einiges zusammengekommen in den letzten Jahren.
Wenn zwei linke Politiker, einst Bannerträger der Willkommenskultur, so etwas sagen, dann weiß man, was die Sorgen der Wähler sind. – An denen Show-Lager in Albanien eher wenig ändern werden.
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