Auch bei uns funktioniert Kommunikation nicht mehr, weil die Menschen mit Informationen übersättigt sind und das Reale sich in „Simulationen“ auflöst, in Schaueffekten und Lügengeschichten. In der hektischen und datengetriebenen Hochgeschwindigkeitsgesellschaft gibt es weder Vertrauen in die Gegenwart noch in die Zukunft. Aus einer aktuellen Generationenstudie aus Deutschland erfährt man, dass sowohl die Alten als auch die Jungen von Verlustängsten gepeinigt werden. Die Alten haben Angst, das zu verlieren, was sie sich erarbeitet haben, und die Jungen fürchten, dass ihnen ihre Zukunft gestohlen wird. Dass alleine ist der Grund, warum 20 % dieser Menschen rechte Parteien wählen und nicht Fake News, Propaganda oder Millionenspenden von Elon Musk. Der wird uns von den Eliten nur als Sündenbock vorgeführt, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken.

Während die Freiheit im östlichen Kommunismus ermordet wurde, stirbt sie im liberalen Westen still und leise in einem von PR-Wirtschaft und parteiischen Medien erzeugten destruktiven Sturm der verwirrenden, suggestiven und manipulativen Zeichen. Wir können keine freien Entscheidungen mehr treffen, weil wir nicht mehr Herr unserer Sinne und unseres Verstandes sind. Vielmehr sind wir Spielfiguren von Algorithmen und persuasiven Bildern. Und während uns die Realität im Mediengewitter um die Ohren fliegt, haben wir nur mehr einen Wunsch, den nach einer Zeitmaschine, mit der wir die kommende Legislaturperiode der österreichischen Innenpolitik überspringen können.

Die Herrschaft der sterilen Klasse

Eine Zeit, in der man politische Figuren wie Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger an einer Ampelregierung basteln lässt, ist tatsächlich eine Periode des politischen Nihilismus, haben wir es doch mit Playern zu tun, denen es nur mehr um den Egotrip, um die Selbstbefriedigung geht. Für alles andere fehlt es diesen Leuten an Kompetenz und Seriosität. Die Ampel wird kommen, aber sie wird nichts anderes als eine Zweckgemeinschaft sein, in der sich ein paar Antipolitiker penibel abgetrennte Spielwiesen überlassen, auf denen sie ihre Selbstbesessenheit und Eitelkeit ausleben können. Narzissten werden so auf Kosten des Volkes fünf Jahre lang Macht, Geld und Prestige genießen können.

Anstelle des Besten aus drei Welten wird es die Wiederauferstehung der verstaubten Dämonen der sozialpartnerschaftlichen Vergangenheit geben. Wirft man einen Blick auf die schon kursierenden Ministerlisten, überwiegen dort Namen von Akteuren, die ihr „Arbeitsleben“ in Gewerkschaften, Kammern, Parteien oder parteinahen Institutionen und in Staatsbetrieben verbracht haben. Das wirkliche Leben in der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsökonomie haben sie allesamt vermieden. Das überlässt man lieber den einfachen Menschen, die dort mit einer sich täglich verschärfenden Konkurrenz und zunehmendem Arbeitsdruck konfrontiert sind. Oft hat man den Eindruck, wir werden heute, wie einst zur Zeit der Adelsherrschaft, von einer „sterilen Klasse“ regiert, die selbst ein Leben lang nichts leistet, die Arbeit verachtet und von den Steuern in Saus und Braus lebt, die sie dem menschlichen Arbeitsvieh abpresst.

Unaufrichtigkeit als Stabilitätsfaktor

Die deutsche Ampel ist an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gegangen. Am Ende war der Innendruck zu groß, den ideologisch widerstreitende Positionen erzeugen, die sich nicht dialektisch synthetisieren und damit produktiv aufheben lassen. Wenn eine der Ampelparteien die wirtschaftliche Krise durch mehr Marktwirtschaft, Deregulierung, Steuersenkungen und der Privatisierung von Staatsaufgaben lösen möchte und die anderen beiden Parteien mit dem Ausbau der Staatswirtschaft, Steuererhöhungen und Staatsinterventionismus, dann muss es irgendwann zum Crash kommen. Außer das Regierungsbündnis ist ein Zusammenschluss absoluter Opportunisten, deren politische Programme nur Simulationen, also reine Kommunikation ohne Anspruch auf praktische Verwirklichung, sind.

Tatsächlich ist Deutschland ein Land, in der die Verbindlichkeit von politischen Zusagen größer ist als in Österreich. Dies hängt wohl mit der protestantischen Ethik zusammen, die den Menschen eine größere moralische Selbstverpflichtung abverlangt, als dies im situationselastischen und akkommodablen österreichischen Katholizismus der Fall ist. Das hat zur Folge, dass man es im Alpenland mit Wahlversprechen nicht so ernst nimmt. Das wird ganz offen zugegeben.

So hat vor gar nicht so langer Zeit Sigi Maurer, die Klubobfrau der Grünen, auf die Kritik, dass die Grünen von einem ihrer fundamentalen Wahlversprechen abgewichen seien, ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet, dass dieses nur eine „zugespitzte Aussage im Wahlkampf gewesen wäre“. Damit hat man dem österreichischen Wähler mit Brief und Siegel bestätigt, was dieser ohnehin schon längst geahnt hat, dass die Versprechen der Parteien vor den Wahlen nicht das Geringste mit dem zu tun haben, was sie dann nach den Wahlen wirklich tun.

Das Abgeben einer Stimme für eine Partei ist in Österreich die reinste Lotterie. Man kann Glück haben und die gewählte Partei hält ihre Versprechen oder sie hält sie nicht, was eher das Übliche ist. Die Unaufrichtigkeit der österreichischen Politik, in Kombination mit dem allgemeinen landestypischen moralischen Schlendrian, ist aber auch ein großer Stabilitätsfaktor. Denn die Parteien können sich fast jeden Wortbruch erlauben. In der Regel wird er von der Bevölkerung, die gerne schon beim Mittagstisch an einem Gläschen Veltliner nippt, mit einem verständnisvollen Lächeln zur Kenntnis genommen. Viele Österreicher sind deshalb auch tolerant bei der großen Korruption, weil sie selbst alle Schlawiner sind. Pfusch am Bau, Entwendung von Schreibmaterialien aus dem Büro oder ein kleiner Betrug mit der Haushaltsversicherung sind die kleinen Unredlichkeiten, die zur österreichischen Alltagskultur gehören. Deshalb hat man auch Verständnis für Großgauner René Benko. Denn ob man ein großer oder ein kleiner Gauner ist, hängt einzig und alleine von den Möglichkeiten ab, die einem offenstehen.

Die Stärke der Austro-Ampel ist ihre Schwäche

Die Austro-Ampel, die jetzt langsam Konturen annimmt, wird stabil sein und ihre fünf Jahre durchdienen. Zusammenhalten wird sie die Überlebensnot dreier ertrinkender Parteien und die österreichische Zuneigung zur Durchschnittlichkeit. Unbewusst gönnt das österreichische Wahlvolk vor allem den Mediokren den Platz am Trog, weil diese so sind, wie sie selbst. Die Wähler neiden ihnen lediglich, dass sie nicht selbst, vom Zufall begünstigt, in ein Ministeramt Einzug halten konnten. Denn durch Leistung wird man in der österreichischen Politik nur in Ausnahmefällen etwas. Das wissen die Leute. In der Regel ist es die Zugehörigkeit zu einer Beutegemeinschaft, in die man sich hinein antichambriert hat. Man dient sich nach oben, ganz nach dem alten Spruch „mit dem Hut in der Hand, kommt man durchs ganze Land“, manchmal bis an die Staatsspitze. Soziologisch nennt man diesen Aufstiegsmodus „Aufstieg durch Anpassung“.

Und damit sind wir zurück bei Jean Baudrillard. In der österreichischen und der deutschen Politik gibt es keinen Zusammenhalt mehr, keine Utopien, keine großen Zukunftsentwürfe, keine mutigen kollektiven Ideen. An ihre Stelle ist ein kleinbürgerliches, politisches Intrigantentum getreten, das sich in mühevoller Kriecharbeit hinaufgedient hat und plötzlich von der launischen Geschichte auf die hell ausgeleuchtete Bühne der Spitzenpolitik gestoßen wurde. Dort steht sie nun, die Durchschnittlichkeit, gleichermaßen verstört wie das Elektorat, das ihr gegenübersteht. Durchschnittlichkeit trifft auf Durchschnittlichkeit, Konformismus auf Konformismus, Mutlosigkeit auf Mutlosigkeit, Furcht vor der Freiheit auf Furcht vor der Freiheit. Aber schnell gewöhnt man sich aneinander und nörgelt sich missmutig durch die Legislaturperiode. Deshalb bleibt alles beim Alten, obwohl alle fünf Jahre gewählt wird. Bis in alle Ewigkeit.