Diese drei Ukraine-Mythen entlarvt Trump, noch bevor er im Amt ist
Seit Donald Trumps Wahlsieg kann man linksliberalen Narrativen in Echtzeit beim Zusammenbrechen zusehen. Dies gilt auch für die Außenpolitik: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 galten Gebietsabtretungen an den russischen Aggressor als Tabu – bis jetzt. Eine Analyse von Pauline Voss (Nius).
Trumps künftige Präsidentschaft wirkt sich auf die Debatte über einen möglichen Waffenstillstand aus, bevor Trump überhaupt im Amt ist. Denn er hat angekündigt, den Krieg nach Amtsantritt innerhalb von 24 Stunden beenden zu wollen und die Waffenlieferungen an die Ukraine zurückzufahren. Zudem will er den ehemaligen Generalleutnant Keith Kellogg zum Sondergesandten für die Ukraine und Russland machen, der seit langem für mehr Diplomatie plädiert und laut der Nachrichtenagentur Reuters bereits im Frühjahr einen Friedensplan entwarf, in dem Verhandlungen als Bedingung für Waffenlieferungen an die Ukraine genannt wurden.
Entsprechend positionieren sich führende Köpfe neu. Der langjährige Nato-Generalsekretär und künftige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Jens Stoltenberg hatte am Sonntag gegenüber Table Briefings erklärt: „Wenn die Waffenstillstandslinie bedeutet, dass Russland weiterhin alle besetzten Gebiete kontrolliert, heißt das nicht, dass die Ukraine das Gebiet für immer aufgeben muss.“ Idealerweise solle die Waffenstillstandslinie alle russisch kontrollierten Gebiete einschließen, doch dies sei „in naher Zukunft nicht unbedingt realistisch.“ Im Gegenzug gegen Gebietsabtretungen müsse Kiew Sicherheitsgarantien erhalten.
Ähnlich hatte sich am Tag zuvor der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Sky News geäußert. Im Falle eines Waffenstillstands forderte Selenskyj den Schutz der Nato für die Gebiete, die nicht von Russland erobert wurden: „Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, das wir unter Kontrolle haben.“ Selenskyj ergänzte: „Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete diplomatisch zurückerlangen.“ Bedeutet: Selenskyj ist bereit, auf manche Gebiete vorerst zu verzichten.
Mit Stoltenberg und Selenskyj schwenken zwei bedeutende Stimmen in der Frage der Gebietsabtretungen um. Selenskyj hatte einen – wenn auch nur zeitweisen – Verzicht auf Gebiete zugunsten einer Waffenruhe stets ausgeschlossen. Stoltenberg hatte noch im Juni letzten Jahres in der Welt am Sonntag gesagt: „Frieden kann nicht bedeuten, den Konflikt einzufrieren und einen Deal zu akzeptieren, der von Russland diktiert wird. Nur die Ukraine allein kann die Bedingungen definieren, die akzeptabel sind.“
Der Sinneswandel der beiden Politiker illustriert die Scheinheiligkeit, die die Debatte um den Ukraine-Krieg prägt. Dass es keinen Waffenstillstand ohne Gebietsabtretungen würde geben können, war seit Langem absehbar. Einerseits war der Westen nicht wehrhaft genug – man könnte auch sagen: zu feige – um militärisch gegen Russland vorzugehen. Ächten wollte man den Angriffskrieg dennoch, also verlegte man sich auf die bequemere Variante: Der Westen lieferte Waffen, kämpfen mussten die Ukrainer. Bald zeigte sich, dass dem Westen nicht an einem raschen Sieg der Ukraine gelegen war – zu schleppend kamen die Lieferungen, zu lang zogen sich bei jedem neuen Waffentyp die Diskussionen. Der Westen fürchtete die Wut Putins und wollte den Feind lieber langsam ausbluten sehen, um den Preis, dass auch die Ukrainer einen enormen Blutzoll zahlten.
Seither stand fest, dass die Ukraine nicht militärisch würde siegen können, weil sie nie in die Lage versetzt wurde, Russland ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Aussprechen durfte man das aber über Monate, Jahre hinweg nicht, ohne als jemand zu gelten, der „Putins Lied singt“. Kaum jedoch stellen die USA den Westen vor eine neue Realität, stehen Stoltenberg und Co. bereit, um zu proklamieren, was bis eben noch tabu war.
Donald Trump entlarvt durch seine außenpolitischen Ankündigungen gleich drei Ukraine-Mythen, noch bevor er im Amt ist:
Mythos 1: „Wer den Krieg einfrieren will, begeht Verrat an der Ukraine“
Im März hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich im Bundestag für Aufsehen gesorgt: „Ist es nicht an der Zeit“, fragte Mützenich in seiner Rede, „dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“
Es folgte ein Sturm der Entrüstung. FDP-Chef Christian Lindner warf Mützenich vor, das Thema für den Wahlkampf zu missbrauchen. Die damalige Grünen-Chefin Ricarda Lang diagnostizierte einen „Rückfall in die alte Russlandpolitik der Sozialdemokratie.“ Der CDU-Politiker Norbert Röttgen urteilte über den Begriff „einfrieren“: „Das klingt so harmlos, aber es wäre das Zugestehen schlimmster Verbrechen, die Russland in den besetzten Gebieten begeht. Als Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich ist das die traurige Sensation der Woche.“ Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte Mützenichs Aussage einen „Sprengsatz“.
Sogar aus der eigenen Partei kam Kritik von Verteidigungsminister Boris Pistorius: Das Wort „einfrieren“ signalisiere, so der Minister im Deutschlandfunk, „man könne einen solchen Krieg – und wir reden ja nicht über einen beidseitigen Konflikt – einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird. Wir wissen aus der Geschichte und aus den Erfahrungen mit Putin, dass das niemals so sein wird.“ Pistorius betonte: „Die SPD ist keine Partei der Putinversteher.“
Noch im März geriet man also in die Nähe eines Putinverstehers, wenn man vorschlug, über ein „Einfrieren“ auch nur zu nachzudenken. So berechtigt die grundsätzliche Kritik an der Russland-Nähe der Sozialdemokraten ist: Wer Mützenichs Forderungen für skandalös hielt, muss begründen, weshalb ähnliche Forderungen aus dem Munde von Stoltenberg keinen Verrat an der Ukraine darstellen. Denn was Trump mutmaßlich plant und was Selenskyj und Stoltenberg am Wochenende anklingen ließen, käme einem Einfrieren des Konflikts recht nahe: Eine womöglich zeitlich begrenzte Einigung, die Russland für eine gewisse Zeitspanne die Herrschaft über ukrainisches Territorium gewähren könnte.
Dass Selenkyj mit seinem Einlenken sein eigenes Land verrät, würde wohl kein deutscher Außenpolitiker zu behaupten wagen. Vielmehr muss der ukrainische Präsident sich an die Realitäten anpassen, die durch die mangelnde Verteidigungsfähigkeit des Westens entstehen. Dies bedeutet aber auch: Wer in der Vergangenheit ein Einfrieren forderte, zeigte damit nicht zwingend mangelnde Solidarität mit der Ukraine, sondern bewertete einfach die realistischen Handlungsoptionen anders als der Mainstream.
Mythos 2: „Die Ukrainer entscheiden, ob es Verhandlungen gibt“
Eine der am häufigsten geäußerten Behauptungen über den Krieg lautet, dass die Ukrainer selbst über die militärische und diplomatische Strategie entscheiden würden. Noch im März hatte etwa der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bei Maybrit Illner behauptet, es werde keine Situation geben, in der „im Bundeskanzleramt, im Élysée-Palast oder im Weißen Haus über Gebiete in der Ukraine nachgedacht wird“. Es seien die Ukrainer, die über Verhandlungen mit Russland entschieden.
Wer solchen Beteuerungen bis jetzt Glauben schenkte, weiß spätestens seit dieser Woche: Die Entscheidung über den Ukraine-Krieg wird in den USA gefällt, und nur dort. Sobald das Land als Schutzmacht wegbricht oder nur damit droht, steht die Ukraine blank da.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz frohlockt bereits, weil er einen Ukraine-Wahlkampf wird führen können. Auf X schreibt er am Wochenende: „Am 23. Februar entscheidet sich, welcher Kurs sich durchsetzt: Friedrich Merz will der Nuklearmacht Russland ein Ultimatum stellen. Ich kann da nur sagen: In Fragen von Krieg und Frieden braucht es keinen unberechenbaren Oppositionsführer, sondern einen kühlen Kopf.“ Sollte es nach Trumps Amtsantritt rasch zu einem Deal mit Russland kommen, könnten europäische Truppen nötig werden, um den Grenzverlauf zu sichern – Scholz könnte dann im Wahlkampf mit der Angst der Deutschen spielen, deutsche Soldaten in die Ukraine zu schicken.
Scholz verfolgt also, wenn er über die Ukraine spricht, ebenso innenpolitische Interessen wie Donald Trump, der seinen Wählern ein Ende des Kriegs versprach. Statt um die Verteidigung westlicher Werte oder der territorialen Integrität der Ukraine geht es dem Westen am Ende vor allem um seine eigenen Interessen. Das ist absolut berechtigt – und würde doch ohne Trumps Vorstoß weiterhin von Plattitüden hehrer Moral verschleiert werden.
Mythos 3: „Solange Putin nicht verhandeln will, besteht keine Chance auf diplomatische Lösungen“
Wie zu Hochzeiten der Klima- oder Corona-Berichterstattung, so brachte auch der Ukraine-Krieg eine Reihe an Experten mit sich, die die Debatte stark prägten. Zu ihnen zählt auch der Militärexperte Christian Mölling. Noch im März bezeichnete er die Diskussion über ein Einfrieren des Konflikts gegenüber dem Magazin Stern als „unredlich“: „Der russische Präsident Wladimir Putin hat aber sehr deutlich gemacht, dass er kämpfen will, gerade weil seinem Gegner die Munition ausgeht. Man wundert sich, warum Putin offenbar nicht zugehört wird. Stattdessen geben in Deutschland einige ihren Hoffnungen und Wünschen den Status politischer Optionen, die noch dazu wissenschaftlich untermauert seien. Dabei haben sie nichts mit den politischen und militärischen Realitäten zu tun.“
Unter den zahlreichen Argumenten, die gegen Verhandlungen angeführt worden sind, war dieses besonders verbreitet: Solange Putin keine Signale der Verhandlungsbereitschaft sende, sei Diplomatie fruchtlos. Trump setzt dieser Logik nun seine Politik des Dealmaking entgegen. Sein Sondergesandter Kellogg, so ist anzunehmen, wird beide Parteien unter Druck zu setzen versuchen: Der Ukraine wird er mit dem Ende der Waffenlieferungen drohen, Russland mit dem massiven Aufstocken der Lieferungen. Ob dieses Konzept aufgeht, ist freilich nicht abzusehen.
Was Trump jedoch schon heute gelingt: eine vollkommen eingefrorene Debatte aufzutauen und für Beweglichkeit zu sorgen. Inwiefern dies am Ende der Ukraine nutzen wird, lässt sich noch nicht bewerten. Dass ihr das langsame Ausbluten schadet und der Kampf der Ukrainer ohne ein erkennbares Kriegsziel mit steigender Opferzahl aussichtsloser erscheint, ist allerdings offenbar. Auch ist es unwahrscheinlich, dass Trump sich von Putin so leicht einschüchtern lassen wird wie etwa Scholz – legte er es doch in seiner ersten Amtszeit etwa auf eine offene Rivalität mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un an.
Trump sorgt also nicht nur für neue politische Optionen, er öffnet vor allem den Debattenraum für Ansätze, die zuvor unter dem Bann des Tabus standen. Die Diskussion über den richtigen Umgang mit dem Aggressor Russland hat so gesehen gerade erst begonnen.
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