Eva Schütz: Blinde Flecke und rote Dreiecke – die Verharmlosung des linken Antisemitismus
Die letzte Woche war nicht nur in den Sozialen Medien (allen voran auf der Plattform „X“) sondern auch in den klassischen Medien geprägt von einem Thema: Eine Gruppe offensichtlich betrunkener Partygäste auf der norddeutschen Ferieninsel Sylt gröhlte die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu Gigi D’Agostinos Partyhymne L’amour toujours in eine Handykamera. Auf dem Video, das später über Social Media seinen Weg ins Internet gefunden hatte und viral ging, war außerdem ein junger Mann zu sehen, der im Takt den „Hitlergruß“ zeigte und einen „Hitlerbart“ imitierte. Ein Szenario, das, egal wie betrunken die jungen Herrschaften auch gewesen sein mögen, zurecht eine breite Welle der Empörung hervorrief. Derartige Gesten haben in einer aufgeklärten Gesellschaft keinen Platz und es ist wichtig und richtig, das auch an- und auszusprechen. Vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz abwärts, über die umstrittene Innenministerin Nancy Faeser sowie zahlreiche Promis bekundeten öffentlich ihr Entsetzen. Auch Gigi D’Agostino selbst äußerte sich dazu. Eine derart klare Haltung würde man sich auch gegen linken Antisemitismus wünschen.
Das rote Dreieck
Weitaus weniger prominent, aber nicht minder problematisch trug sich zeitgleich aber noch ein anderer Vorfall zu, der weder in den klassischen noch in den Sozialen Medien vergleichbaren Niederschlag fand: Das Institut für Sozialwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität wurde von „Pro-Palästina“-Demonstranten besetzt, die dort nicht nur ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza und ihre Ablehnung gegenüber Israel kundtaten, sondern auch offen Sympathie mit der Terrororganisation Hamas bekundeten. So wurden zum Beispiel sogenannte „Hamas-Dreiecke“ im Institut gefunden. Für all jene, die nicht wissen, was ein Hamas-Dreieck ist: Der Islam-Experte Ahmad Mansour sagte der BILD dazu folgendes:
„Das Dreieck wurde seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober in Videos benutzt, um Israelis zu markieren, die kurz danach angegriffen werden. Das ist hochmilitärisch und hochterroristisch. Es erinnert sehr stark an Videospiele, funktioniert deswegen gut. Sie versuchen, ihre „Heldentaten“ mit Jugendkultur-Elementen zu verherrlichen und das ist eines davon.“
Aktivismus oder Terror-Unterstützung?
Der Umgang der Universitätspräsidentin Julia von Blumenthal mit diesen Leuten war vor dem Hintergrund dieser Aktionen gelinde gesagt zurückhaltend. Die im weiteren Verlauf erfolgte Räumung sei, so Frau von Blumenthal, auf Anweisung „von ganz oben“ geschehen. Damit könnte sie offenbar unter anderem den Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gemeint haben, der dies zwar bestreitet, der allerdings klar verurteilende Worte zu dem Vorfall fand. Während Aktionen dieser Art in vielen deutschsprachigen Medien fast schon verniedlichend als „Aktivismus“ betitelt werden, fällt mir für Leute, die derartige Symbole skandieren ein ganz anderer Begriff ein: Terror-Sympathisanten. Denn klar ist nämlich auch: Wer Hamas-Symbole wie das rote Dreieck verwendet, der weiß ganz genau, wofür diese stehen und bringt damit seine Unterstützung dafür zum Ausdruck. Im Angesicht dieser Umstände dürfte man sich wohl zurecht erwarten, dass der Vorfall ähnliche Reaktionen auslöst, wie das Sylt-Video. Natürlich wäre die logische Konsequenz ein Statement des Bundeskanzlers, gefolgt von empörten Videostatements von Prominenten und breitflächige Berichterstattung im deutschsprachigen Raum – richtig? Falsch. In den bundesweiten Nachrichten war der Vorfall bestenfalls eine Randerscheinung, ebenso sucht man vergebens im X-Feed des Bundeskanzlers nach deutlichen Worten oder überhaupt einem Statement dazu. Und was sagen die sonst so wortgewaltigen Prominenten und Influencer? Nichts! Einigermaßen verblüfft fragt man sich: Warum? Ein Teil der Antwort darauf dürfte wohl sein, dass es in dem Fall nicht Rechte oder Nazis waren. Der Vorfall trug sich auch nicht auf Sylt zu und die Täter trugen auch keine Ralph Lauren Pullis oder Louis Vuitton Taschen über die Schulter. Epizentrum war das Institut für Sozialwissenschaften einer Universität in Berlin, wo sich wohl eher das linke Klientel tummeln dürfte und die handelnden Akteure waren keine Nazis, Rechten oder „Rich Kids“, sondern vor allem Personen aus dem linken bis linksextremen Spektrum.
1/2 Wenn die TU-Präsidentin meint, es sei ein neuer Stil, dann hat sie völlig recht. Ich werde keinen Antisemitismus, Hass und Hetze an unseren Universitäten dulden. Ich werde das nicht durchgehen lassen. Jüdische Studentinnen und Studenten müssen angstfrei studieren können.
— Kai Wegner (@kaiwegner) May 24, 2024
How dare you?
Noch ein Beispiel gefällig? Nicht, dass ich dieses Format mit besonderem Interesse verfolgt hätte, aber ich erinnere mich gut an die Anti-Israel-Demonstrationen, die den Eurovision Song Contest begleitet haben. An der Spitze stand hier niemand geringerer als die vormals als Initiatorin der Klimaproteste von Politik und Medien gleichermaßen vergötterte Greta Thunberg, eingewickelt in ein traditionell-palästinensisches Tuch. 2019 noch „Person of the Year“ des berühmten Magazins „Time“, gewährte Thunberg nun im schwedischen Malmö (für Jüdinnen und Juden aufgrund des hohen Anteils an Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern mittlerweile fast schon eine No-Go Area) tiefe Einblicke in ihre Gesinnung. Gottseidank fragten da nicht nur die meisten vernunftbegabten Menschen „How dare you?“, sondern auch die Polizei vor Ort – und führte sie daraufhin prompt ab. Die Reaktionen auf den offen zur Schau gestellten Israel-Hass Thunbergs in der linken Aktivistenszene: verhalten bis inexistent. Auch keine internationalen Reaktionen von Amts- und Verantwortungsträgern, die sie bis vor kurzem noch auf sämtlichen großen politischen Bühnen dieser Welt hofiert haben. Aber zumindest gab es eine Welle der Empörung von Social Media Influencern, wie es auch bei rechten Umtrieben immer der Fall ist, oder? Wieder nicht! Lediglich für die Medien, die sie als „Klimaaktivistin“ groß gemacht haben, war das Thema zu groß, um es ganz zu ignorieren. Zähneknirschend wurde der Vorfall in die Berichterstattung aufgenommen, aber nicht ohne in einer zweiten Welle darüber zu berichten, dass auch Gretas Mutter einst Teilnehmerin am Songcontest war. Süß!
Der linke Antisemitismus
Die Vorfälle bei den Anti-Israel Demos und der Umgang damit offenbaren eine verhängnisvolle Ambivalenz der Linken. Denn einerseits sind gerade sie es, die keine Gelegenheit auslassen, um gegen Rassismus und Antisemitismus und vor allem gegen rechts „aufzustehen“ (von letzterem geht ja alles Übel dieser Welt aus). Andererseits wird nun immer offensichtlicher, dass auch die politische Linke selbst ein massives Problem mit Antisemitismus hat. Er entstammt einer pervertierten und konstruierten Form des Antikolonialismus und in vielen Fällen auch des Antikapitalismus. Und das ist um nichts weniger gefährlich als jede andere Form des Antisemitismus. Das besonders perfide daran ist, dass er sich gerne als noble Geste der Solidarität mit den „Unterdrückten“ gegenüber den „Unterdrückern“ verkleidet. Hört man aber genau zu, welche Parolen dort teilweise gegröhlt werden, wird schnell klar, worum es wirklich geht: Hass auf Israel und Juden zu verbreiten. Die genannten Beispiele stehen dabei nur exemplarisch für eine Welle an linkem Antisemitismus, der sich insbesondere seit dem Terroranschlag vom 7. Oktober und der Antwort Israels darauf wie ein Krebsgeschwür in Europa verbreitet. Politik, Medien und Gesellschaft sollten nicht aus ideologischen Gründen ihre Augen davor verschließen, sondern das Problem mit derselben Vehemenz und Entschlossenheit bekämpfen, wie sie es auch auf der rechten Seite tun. Wer mit zweierlei Maß misst, macht sich unglaubwürdig.
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