Kolumne Christian Ortner: Der Defekt der Demokratie
Österreichs Schuldenberg wird langsam zu einem wirklich bedrohlichen Problem. Die Politik weiß zwar, wie es gelöst werden könnte, aber nicht, wie sie danach wieder gewählt wird, befürchtet eXXpress-Kolumnist Christian Ortner.
Der österreichische Staat wird heuer nach den offiziellen Berechnungen des Finanzministeriums rund 123 Milliarden Euro ausgeben, aber nur 103 Milliarden einnehmen; das als Budgetloch bekannte Defizit beträgt daher zwanzig Milliarden Euro oder rund zwanzig Prozent des “Umsatzes” der Republik. (Die in der öffentlichen Debatte immer genannten drei, vier Prozent Defizit von der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes sind letztlich weniger aussagekräftig als dieser Wert, weil dem Staat glücklicherweise ja nicht die ganze Wirtschaftsleistung als Finanzierungsquelle zur Verfügung steht).
Regierung beamt Problem in die Zukunft
Bei jedem Unternehmen, bei jedem Privatmann, bei jeder Familie würde ein derartiges Missverhältnis von Ausgaben, die um zwanzig Prozent über den Einnahmen liegen, als dramatisches Problem verstanden werden, das nach sofortiger Reparatur verlangt. Jeder weiß: eine derartige Schieflage ist nicht lange durchzuhalten. In einer solchen Situation muss entweder hart gespart oder aber die Einnahmen erhöht werden; am besten beides zusammen.
Der Staat freilich hat den Vorteil, die gewaltige Lücke durch neue Schulden schließen zu können; jedenfalls, solange die Geldgeber noch Geld geben.
Das Problem wird dadurch freilich bedauerlicherweise nicht kleiner, sondern ganz im Gegenteil durch die zu bezahlenden Zinsen sogar noch größer, weil es eben in die Zukunft verschoben wird, anstatt gelöst zu werden.
Welche Folgen das mit sich bringt, hat der große liberale Ökonom Milton Friedman einmal sehr klug so formuliert: “Man muss immer die Ausgaben des Staates unter Beobachtung halten, denn sie sind die wahren Steuern. Dafür bezahlt man immer, entweder in Form von Steuern oder von neuen Schulden und Inflation.”
Das stimmt natürlich, und genau deshalb wird die nächste Regierung, egal, wer sie anführt, nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder Ausgaben und Einnahmen wieder auszubalancieren, oder aber noch ein paar Jahre deutlich über unseren Möglichkeiten leben – und das Problem dadurch so groß werden lassen, dass es irgendwann außer Kontrolle gerät, was dann für die Bürger wirklich ernsthaft unangenehm werden dürfte. Griechen erzählen gerne, wie sich das dann anfühlt. Spoiler: nicht besonders gut.
Weiter wie bisher, koste es, was es wolle
Leider ist zu befürchten, dass sich die nächste Regierung relativ unabhängig von ihrer personellen und parteipolitischen Zusammensetzung eher für die zweite Variante – “weiter wie bisher” – entscheiden wird, bestenfalls mit vermutlich eher bescheidenen Kurskorrekturen, aber weit entfernt von einer wirklichen Sanierung.
Hauptursache dieser Fehlentwicklung ist die Angst vor dem Wähler und der Wählerin. Jeder politisch Verantwortliche weiß: Wer den Wählern die Wahrheit zumutet und auch die damit verbundenen finanziellen Aufwendungen, kann sofort beginnen, Reisen für den nahenden Ruhestand zu planen.
Der Klassiker auf diesem Gebiet ist natürlich die Pensionsproblematik. Jeder weiß, dass unser System so nicht länger haltbar ist und die Leute entweder später in Pension gehen oder aber die Pensionen geringer ausfallen werden müssen – aber genau niemand mit realistischen Chancen auf das Kanzleramt macht sich das als politische Forderung zu eigen. Weil jedem Politiker bewusst ist, dass man sich so sein politisches Grab schaufelt.
Wir haben es hier leider mit einem grundlegenden Problem der Demokratie zu tun: Die Möglichkeit, dass sich die Bevölkerung praktisch beliebig große Ausgaben herbeiwählen kann, wenn ihr eine von der Angst vor dem Machtverlust geschüttelte politische Klasse das anbietet, anstatt sich mit aller Gewalt dagegen zu stemmen.
Geld aus dem Helikopter
Nun ist Österreich sicherlich nicht die einzige Demokratie, die dieses Problem hat, aber hierzulande hat die Neigung der Politik, dem Wähler jeden auch noch so geringfügigen ökonomischen Schmerz zuzumuten, besondere Ausmaße angenommen. Die ganze Republik hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass der Staat bei jeder Unpässlichkeit seiner Bürger die Helikopter aufsteigen lässt und von dort solange Geld auf das Problem schüttet, bis kein Jammer mehr zu hören ist. Tendenziell hat es das schon seit Langem gegeben, aber mit der Corona-Pandemie hat diese Unart neue Dimensionen angenommen – heute haben wir es daher mit einer Art von ökonomischem Long Covid zu tun.
Dass der Staat heuer um zwanzig Prozent mehr ausgibt, als er einnimmt, ist nicht nur, aber weitgehend Folge dieser Politik der Wähler-Ruhigstellung mittels Helikoptergeld.
Eine Regierung, die mit diesem Unfug entschlossen Schluss macht, wäre im Interesse des Landes und seiner Bürger – ist aber leider weit und breit nicht in Sicht.
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