Kolumne Christian Ortner: Wird das Jahr ‘24 wie einst ‘68, nur andersrum?
Während in den USA nach dem Mordversuch die Wiederwahl Trumps nahezu sicher ist, weht auch in Europa der Zeitgeist immer mehr von rechts und gegen die etablierten Linken, und zwar trotz der jüngsten Wahlergebnisse, meint eXXpress-Kolumnist Christian Ortner und vermutet, 2024 könnte als Wendejahr wie einst 1968 in die Geschichte eingehen.
In einem Land, in dem eine grüne Volksvertreterin allen Ernstes im Parlament behauptet, es sei wichtiger, dass junge Menschen lernen, „wie man ein Gulasch kocht als wie Aktien funktionieren“ (Eva Blimlinger aus Anlass der Bildungsdebatte Anfang Juli), darf man sich eigentlich über gar keine Erscheinungsform ökonomischer Unvernunft mehr wundern. Wo das Rezept zum Wohlstand schlechthin weniger zählt als das Rezept für eine Zubereitung von Rindfleisch mit Paprika, ist diesbezüglich alles möglich.
Wie zum Beispiel auch, dass ein langgedienter ORF-Redakteur eine Sendung über den Sieg linker Parteien in Großbritannien und Frankreich jüngst mit der Formulierung anmoderierte: „Was bedeutet linke Wirtschaftspolitik heute, welche Vorteile und Gefahren bringt sie mit sich?“
Links hat noch nie funktioniert
Vorteile? Gefahren? Das hätten wir eigentlich schon seit Jahrzehnten dank einschlägiger Empirie geklärt: Vorteile bringt eine linke Wirtschaftspolitik ungefähr so viele wie ein Schlaganfall, und Gefahren birgt sie mehr als genug, um ein Land zuverlässig gegen die Wand zu fahren. Hingegen verzeichnet die Geschichte der – sagen wir – letzten hundert Jahre keinen einzigen Fall, in dem die dauerhafte Anwendung linker Wirtschaftspolitik zu Wohlstand und Prosperität geführt hätte.
Deshalb erstaunt ja auch das Wahlergebnis in Frankreich und England auf den ersten Blick. Beide Länder haben in ihrer Geschichte mit linker Wirtschaftspolitik genügend Erfahrung, die insgesamt ungefähr so erfreulich war wie jene, Opfer eines Wohnungseinbruchs geworden zu sein.
Aus diesem Grund ist es auch naheliegend, dass für die Wahlergebnisse nicht so sehr der Wunsch nach einer linken Wirtschaftspolitik ausschlaggebend war, sondern eher, die Rechten zu verhindern (Frankreich) und die seit vierzehn Jahren regierenden Konservativen loszuwerden (Großbritannien).
Politische Scheinblüte
Daraus gleich eine Renaissance des Sozialismus in Europa zu basteln, erscheint etwas kühn – nicht zuletzt angesichts des Umstands, dass in Frankreich die Partei von Marine Le Pen die mit Abstand meisten Stimmen gewinnen konnte – und ihr Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 dadurch nicht eben unwahrscheinlicher geworden ist.
Am anderen Rheinufer hingegen ist die völlig umnachtete Politik der Regierung von Olaf Scholz in Berlin nach wie vor bester Garant für den weiteren Aufstieg der Rechtspartei AfD – einen europäischen Linksruck stellt man sich irgendwie anders vor.
Denkbar ist viel eher, dass das Jahr 2024 – oder eines der zwei, drei nachfolgenden Jahre – von künftigen Historikergenerationen als Einschnitt beschrieben wird ähnlich dem von 1968, also der Beginn einer neuen politischen Ära mit anderen dominierenden Erzählungen und den daraus resultierenden Verschiebungen der politischen Tektonik in Europa.
Das Bikini-Syndrom
Denn trotz der jüngsten Wahlgänge ist die Wende des Zeitgeistes in nahezu ganz EU-Europa weiterhin im Gange, legt man das Stimmverhalten der Bürger zugrunde. So wie 1968 ein tendenziell linker, gesellschaftlich emanzipatorischer und gegen die kleinbürgerliche Nachkriegsordnung gerichteter Zeitgeist die Dominanz übernahm, ist nun ein neuer Konservativismus, die partielle Rückbesinnung auf das Nationale, die Abwendung von exzessiver Ökopolitik, das Zurückdrängen übertriebener Wokeness und die Rückabwicklung eines Teils des 1968er-Erbes zu beobachten. Nicht nur im Freibad kehrt das Bikinioberteil, das ja ab 1968 als obsoletes Relikt patriarchalischer Denke verpönt war, wieder flächendeckend zurück, auch im Denken breiter Teile der Bevölkerung.
Nicht zuletzt könnte 2024 als „Anti-1968“ in die Geschichte eingehen als jenes Jahr, in dem erstmals mehrheitsfähig wurde, dass die europäische Migrationspolitik der letzten zehn Jahre ein grober Fehler war, der dringend behoben werden muss. Auch und besonders in Frankreich, wie der massive Stimmenzuwachs der Lepenisten ja mehr als deutlich gezeigt hat und das Linksbündnis bereits jetzt, kurz nach der Wahl, zerbröselt.
Mit einer vermeintlichen Sehnsucht nach einer „linken Wirtschaftspolitik“ dürfte das hingegen eher wenig zu tun haben.
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