Kolumne Eva Schütz: Mitte-rechts mit neuer Chance!
Die Mehrheit der österreichischen Wählerschaft liegt im politischen Spektrum rechts der Mitte. Nun bekommt diese Parlamentsmehrheit eine neue Chance, auch in der Regierung abgebildet zu werden. Blickt man auf die Nationalratswahlergebnisse der vergangenen Jahre, so hatten ÖVP und FPÖ stets eine Mehrheit im Nationalrat. Konstant lagen beide Parteien seit 2008 zusammen über 50 Prozent der Wählerstimmen – niemals knapp, sondern immer deutlich. Mit dem Rücktritt von Karl Nehammer erhält diese Mehrheit nun eine neue Möglichkeit.
Christian Stocker, der (überraschend) neue ÖVP-Chef, öffnet die Tür für ein blau-schwarzes Regierungsbündnis. Was noch vor wenigen Tagen als undenkbar galt, wird nun Realität: Die ÖVP stimmt Verhandlungen mit Wahlsieger Herbert Kickl und seiner FPÖ zu. Auch wenn es sich um eine 180-Grad-Wende handelt (sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen musste eine anspruchsvolle Pirouette hinlegen), setzt die ÖVP damit ein klares Zeichen: die Anerkennung demokratischer Prinzipien. Sie zeigt, dass sie den Wählerwillen respektiert und einen Wahlsieger nicht kategorisch als Koalitionspartner ausschließt. Dieser Sinneswandel hat zwar Zeit gebraucht, ist aber zu begrüßen, da eine Neuauflage von ÖVP und FPÖ – diesmal in umgekehrter Reihenfolge, FPÖ-ÖVP – nun in greifbare Nähe rückt.
Der Schwenk der ÖVP bedeutet auch eine Rückkehr zu einer stärkeren bürgerlichen Politik. Nehammer Ruck weit in die Mitte und der inhaltliche Aderlass in einer Ampelkoalition mit den Neos und einer stark linken SPÖ ist für die ÖVP toxisch geworden. Einige Kräfte, wie der Wirtschaftsbund und der Bauernbund, haben diese Gefahr (fast zu spät), erkannt und nach dem Absprung der Neos die Reißleine gezogen. Diese neu geschaffene Chance sollten beide Parteien jetzt ernsthaft nutzen. Vergangenes sollte rasch aufgearbeitet werden, damit die Verhandlungen zügig beginnen können. Die Schnittmengen zwischen beiden Parteien sind groß, was darauf hoffen lässt, dass es nicht zu einem zweiten Gezerre wie bei den Ampelgesprächen der letzten Wochen und Monate kommt. Die Zeit drängt, und die Herausforderungen sind bekannt.
Wenn beide Seiten es ernst meinen und bei Dissenspunkten tragfähige Kompromisse finden, kann die Regierung bei gutem Willen schnell stehen. Blau und Schwarz – damals türkis – haben bereits unter der Regierung Kurz I gezeigt, dass Reformen angegangen und das Regierungsprogramm zügig umgesetzt werden können. Dies vor allem unter einer positiven Grundstimmung im Land, die weit über das Lager rechts der Mitte hinausreichte. Daran sollten sie anknüpfen und darauf aufbauen.
Scheitert auch Blau-Schwarz, geht es komplett zurück an den Start. Dann sind Neuwahlen unausweichlich. Das könnte durchaus spannend werden. Kickl wird für die FPÖ erneut gesetzt sein, aber in der ÖVP und in der SPÖ können wir mit neuem Spitzenpersonal rechnen. Stocker ist ein treuer Parteisoldat, dem fehlt jedoch die Strahlkraft in einem Wahlkampf und Babler wird kein zweites Mal eine SPÖ in die Wahl führen. Dann wird die Neuwahl das „3-K-Duell“ um das Kanzleramt. Mit Kickl, Kurz und Kern.
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