Kommentar Alex Todericiu: Botschafter in Wien wird Außenminister in Bukarest
35 Jahre nach Beginn der rumänischen Revolution zerfleischen sich die Rumänen politisch selbst – doch es gibt einen überraschenden Lichtpfad.
Die Rumänen sind weder EU-Gegner noch Ablehner des NATO-Bündnisses. Sie sind keine Dulder von Diktaturen, Putin-Versteher oder Verehrer, auch keine Faschismus-Nostalgiker. Ebenso wenig sind sie Ausländerhasser oder LGBTQ-Feinde. Doch aus Zorn und dem Vertrauensverlust gegenüber ihrem Vaterland – das viele heute als einen unverschämten Wächter im Schatten wahrnehmen – könnten sie all dies vergessen oder ignorieren und falsch, wenn auch souverän, wählen. So hätte es bei den abgesagten Wahlen vom 6. bis 8. Dezember 2024 passieren können, wie viele vermuteten. Ob sich bei einer Wahlwiederholung, die wahrscheinlich schon bis Ostern 2025 stattfinden wird, etwas ändern wird, bleibt zu hoffen.
Die nahezu festgefahrene politische Patt-Situation entzweit das Volk und verursacht große Schmerzen. Doch selbst kleine Stellungsvorteile sollten politisch schnell genutzt werden. In diesem Sinne brachte die kurz vor Weihnachten neu aufgestellte Regierung in Bukarest unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu von den Sozialdemokraten das „Königsgambit“. Und wer könnte für diese Mission besser geeignet sein als der rumänische Botschafter in Wien, Dr. Emil Hurezeanu?
Hurezeanu, 69-jährig, der bereits 1981 als Herder-Stipendiat in der Bundeshauptstadt war, erhielt im Oktober 1983 politisches Asyl in Deutschland. Als Anwalt, Publizist und Politikwissenschaftler ist er mehrsprachig, kosmopolitisch, elegant, gebildet und charmant – die ideale Person auf dem diplomatischen Parkett der EU. Zunächst war er Botschafter in Deutschland und bis vor wenigen Tagen war Wien sein zweites Zuhause – insgesamt ein Jahrzehnt lang. Er brachte Rumänien näher an den Schengen-Raum und trug entscheidend zur Meinungsänderung Österreichs bei, die schließlich zur Aufhebung der Blockade gegen die Aufnahme in den Raum des freien EU-Personenverkehrs führte.
Sein Staatspräsident, dessen Mandat bereits abgelaufen ist, versucht nun mit Hurezeanu die Ängste des Westens zu beruhigen, die sich vor allem darauf beziehen, dass Klaus Werner Iohannis seit dem Ablauf seines Mandats, am 35. Jahrestag der rumänischen Revolution, als illegitimes Staatsoberhaupt wahrgenommen wird. Dies ist zumindest die Überzeugung der illiberalen Parlamentsminderheit in Bukarest, die etwa 40 Prozent der Sitze innehat.
"Diese Wut ist vollkommen berechtigt"
Klaus Werner Iohannis, ebenso wie Hurezeanu aus Hermannstadt (Sibiu) in Siebenbürgen stammend, bleibt mit Hilfe des Verfassungsgerichts im Amt. Dessen Urteil wirkt wie ein Persilschein für sein fragwürdiges Verhalten bei den abrupt abgesagten Wahlen und die damit verbundene Weiterführung seines Mandates. Im Land herrscht derzeit politischer Kannibalismus im Namen der Demokratie. Die Parteien streiten erbittert. Eine der vier pro-westlichen Parteien im neuen Parlament fordert das sofortige Ende der Amtsführung von Klaus Werner Iohannis nach einem Jahrzehnt als Staatspräsident.
35 Jahre nach ihrer Revolution zerfleischen sich die Rumänen politisch selbst. Ähnlich erlebte das Land die Jahre nach Weihnachten 1989, als Diktator Nicolae Ceaușescu hingerichtet wurde und das Volk seine „Freiheitsration“ erhielt – wie einst das Brot, pflegte man damals zu sagen. Es war eine schlimme Zeit, in der grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Strom und Heizung streng kontrolliert und zugeteilt wurden.
Der Sieg der „Revolution der Jugendlichen“ am 21. Dezember 1989 forderte einen hohen Blutzoll und nahm verschlungene Wege. Die Stimme des heutigen Außenministers Hurezeanu war damals für viele wie ein Lichtpfad. Vom Mikrofon des Senders RADIO FREIES EUROPA in München ließ er den tragischen Klang seines rumänischen Volkes und dessen Opfer durch die Welt hallen. „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“, soll ein Girondist 1793 auf dem Schafott aber gesagt haben.
Die 89er-Generation scheint nun begonnen zu haben, die soziale Solidarität, die sie einst im Kampf für die Freiheit genoss, aufzugeben. Diese Solidarität galt oft als das höchste Gut ihrer Revolution. Die Freiheit von 1989 wirkt heute für viele Rumänen so dosiert und begrenzt wie einst ihr Brot.
Der rumänische Politikwissenschaftler und Journalist Sorin Cucerai erklärte vor einigen Tagen im Online-Medium „Republica“ in Bukarest, dass das hohe Wachstum der wirtschaftlichen Mittelschicht seines Landes darauf zurückzuführen sei, dass immer mehr Menschen aus der einstigen Armutsbevölkerung ein Einkommensniveau erreichen, das sie in die Mittelschicht aufsteigen lässt. Die gebildete Schicht mache jedoch nur noch eine Minderheit innerhalb der wirtschaftlichen Mittelschicht aus. Dennoch genieße nur sie umfassende soziale Anerkennung und Prestige.
Cucerai führt den osteuropäischen Illiberalismus auf soziale Ungerechtigkeit zurück und schlussfolgert: „Die Wut auf den wirtschaftlich Gleichgestellten, der jedoch zusätzlich mit sozialem Prestige ausgestattet ist, wird heute von skrupellosen Politikern und – wie man sieht – auch von den Russen ausgenutzt. Diese Wut ist vollkommen berechtigt.“
Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater
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