Kommentar Alex Todericiu: Rumänien sucht Präsident
Die kommende Wahl für das Amt des rumänischen Staatsoberhaupts ist noch in weiter Ferne und doch so nah: Seit Tagen sucht das Land neue Präsidentschaftskandidaten. Namen bekannter Rumänen werden erwähnt, die Medien mischen sich massiv ein. Da das Wahlfiasko die Gesellschaft in einen Zustand der Anomie versetzt hat, sucht das Land mehr denn je nach Führung.
Am 16. Dezember 1989 begann in Timișoara im rumänischen Banat die „Revolution der jungen Leute“ welche zum Sturz des Diktators Nicolae Ceaușescu führte. 35 Jahre danach ist in Rumänien erneut eine spontane, emotionsgeladene Volksbewegung im Gange ausgelöst durch die vor weniger als zwei Wochen behördlich abgesagten Präsidentschaftswahlen. Diese Bewegung wird mehrheitlich von jungen Wählern getragen. Dazu gehören nicht nur die Enttäuschten, die in Rumänien ihren Wohnsitz haben, sondern auch die vielen wahlberechtigten Jugendlichen in der Diaspora, die nicht zögern, stolz ihre tiefe nationalistische Ader zu zeigen.
Die kommende Wahl für das Amt des rumänischen Staatsoberhaupts ist noch in weiter Ferne und doch so nah: Seit Tagen sucht das Land neue Präsidentschaftskandidaten. Namen bekannter Rumänen werden erwähnt, die Medien mischen sich massiv ein. Da das Wahlfiasko die Gesellschaft in einen Zustand der Anomie versetzt hat, sucht das Land mehr denn je nach Führung. In Bukarest gibt es weder eine neue Regierung nach den am 1. Dezember 2024 abgehaltenen Parlamentswahlen noch wurde das Datum der wiederholten Wahl für das höchste Staatsamt festgelegt. Damit verbunden ist auch die vom Verfassungsgericht angeordnete Verlängerung des Mandats des Staatspräsidenten Klaus Werner Iohannis über die 5-jährige Frist der rumänischen Konstitution hinaus was ebenfalls zu Dissens in Bukarest führt. Selbst Ilie Bolojan, Vorsitzender der PNL (National-Liberale Partei), in deren Namen Iohannis vor zehn Jahren erstmals für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte, meint dazu: „Die Entscheidung basiert auf der Verfassung, ist jedoch interpretierbar.“ Auch die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu, die noch bis zum 20. Dezember 2024 im Amt ist, hätte sich laut Beschluss des Verfassungsgerichts darum kümmern können. Wahrscheinlich gilt selbst in Bukarest: Gut Ding will Weile haben. Die pro-westlichen Parteien im neuen Bukarester Parlament, die knapp unter zwei Drittel der Sitze innehaben, verhandeln – und könnten sich bis Mitte kommender Woche einigen oder auch nicht, berichten lokale Medien.
Präsidentenprofil zwischen Sein und Schein
„Rumänien ist derzeit fragiler denn je, das Land ist sowohl von innen als auch von außen bedroht“, schrieb auch Elena Lasconi an Donald Trump – und sie hatte recht. Die Präsidentschaftskandidatin der linksliberalen Partei USR (Union zur Rettung Rumäniens) hatte am Tag der Stichwahl einen offenen Brief an den amerikanischen Präsidenten geschickt. Ihr Kontrahent Călin Georgescu war der rechtsradikale und parteiunabhängige Kandidat, mit dem sie in der Stichwahl nicht konkurrieren konnte. Doch was muss ein geeigneter neuer Kandidat alles wissen? Viele seiner Wähler haben kein Verständnis davon, wie der Staat funktioniert und wie komplex die institutionelle Architektur aussieht. Aber sie glauben, dass dieser Mann das gut kann. Viele wissen nicht, womit sich der Präsident eigentlich beschäftigt. Sie denken nicht darüber nach, welche Befugnisse der Präsident in Rumänien tatsächlich hat. Sie glauben, dass mit Georgescu eine Art Heilsbringer kommen wird, der alles richten kann. Doch der – noch nicht gefundene – Kandidat müsste auf Augenhöhe mit Georgescu erfolgreich konkurrieren können, falls dieser wieder antreten darf. Das klingt einfach, ist es jedoch nicht. Der in Bukarest bekannte Soziologe Mirel Palada meint dazu: derzeit nahezu unmöglich. Laut seinen Umfragen scheint Georgescu kaum besiegbar zu sein. Nach der Wahlabsage tritt der Ex-Kandidat häufiger in Diskussionssendungen mit der beliebten Moderatorin Anca Alexandrescu auf. Ihre Einschaltquoten brechen alle bisherigen Rekorde. Politische Langeweile scheint noch nicht zurückgekehrt zu sein.
Orwells „Big-Brother“-Angstmacher
Es war ein gesellschaftspolitischer Fehler des Verfassungsgerichts, die Wahlen so konfus zu stoppen. Da das Gericht seine Begründung mit einer angeblichen ausländischen, russischen Einflussnahme verband, ohne der Öffentlichkeit bislang gerichtsfeste Beweise vorzulegen, haben nun viele das Gefühl, dass es bei diesem Vorgehen vordergründig um die „Angst (des Volkes) vor dem russischen Bären“ ging. Polizeirazzien richten sich in ganz Rumänien gegen Personen, die nach der Absage der Stichwahl in sozialen Medien gelästert hatten; einige davon sollen auch Drohungen ausgesprochen haben. Diverse Einschüchterungsversuche gegen rumänische TV-Medien, die nicht so kritisch über Georgescu berichtet haben, werden gemeldet. Der Staat sollte jedoch auf Orwell’sche „Big-Brother“-Angstmacher-Szenarien verzichten und nicht nur Georgescu, sondern allen einmal zugelassenen Kandidaten fürs höchste Amt mit mehr Selbstvertrauen begegnen.
Elon Musk reagierte auf X auf die Nachricht über die Annullierung des rumänischen Urnengangs mit dem inzwischen in Rumänien berühmten Satz: „What the heck?“ Er trifft einen Punkt. Wie konnte es wirklich so weit kommen? Viele Rumänen sind schockiert darüber, dass in kürzester Zeit in dem sonst so stabilen Land ein derartiges Chaos ausbrechen konnte.
Versuch den Volkswillen zu leugnen
Der Souveränist Georgescu bewundert nicht nur den russischen Diktator Wladimir Putin, sondern auch Donald Trump, den er oft in seinen TV-Auftritten erwähnt. Doch auch Lasconi, die seit 2020 Bürgermeisterin einer kleinen Stadt in Rumänien mit weniger als 30.000 Einwohnern ist, hält offenbar viel vom kommenden US-Präsidenten – sowie von sich selbst: „Sie sind ein wahrer Führer des Volkes, so wie ich“, schrieb sie an Trump.
Sie distanzierte sich in ihrem Schreiben gleich zweimal naiv-ehrlich vom Einfluss des amerikanischen Milliardärs George Soros in Rumänien. Zuvor hatte nämlich Donald Trump Jr. nach der Annullierung der Wahlen auf X geschrieben: „Wow, schaut euch an, was in Rumänien passiert! (…) Ein weiterer Versuch der Soros-Marxisten, das Ergebnis zu fälschen und den Willen des Volkes zu leugnen…“. Die Kandidatin antwortete also indirekt dem Sohn, indem sie dem Vater schrieb. Merkwürdig.
Russlands hybrider Krieg
„Wladimir Putins Angriff auf die rumänischen Wahlen ist ein weiteres Beispiel für den hybriden Krieg, den er gegen unsere europäischen Verbündeten und Partner führt“, erklärten am 16. Dezember 2024 vier US-Senatoren beider Parteien und Mitglieder des Committee on Foreign Relations in Washington. „Als starker NATO-Verbündeter unterstützen wir Rumänien in seinem Kampf um die Integrität seiner Wahlen. Wir verurteilen Putins Manipulation der von der Kommunistischen Partei Chinas kontrollierten Plattform TikTok, um Rumäniens demokratischen Prozess zu untergraben.“
Die Lotterie der Kandidaturen in Rumänien ist eröffnet. Die Rechnung kann jedoch nicht ohne den Wirt gemacht werden. Nun bleibt abzuwarten, wer das Gewinnerlos zieht und ob damit Konsens wieder einkehrt – in der Hoffnung des Volkes, der Millionen Wähler im In- und Ausland (in der Diaspora leben heute über 4 Millionen Rumänen), dass ihnen 2025 tatsächlich erlaubt sein wird, frei und souverän zu wählen.
Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater
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