Nach zehn Jahren an der Spitze des Staates verlässt der Siebenbürger Sachse das Amt und wird damit der erste rumänische Staatspräsident, der freiwillig geht. Doch zuletzt war der einstige Hoffnungsträger für viele nur noch eine einzige Enttäuschung – ein Präsident, der jegliche Glaubwürdigkeit verspielt hat.

Seine politische Bilanz wird heute von vielen als Desaster gewertet. Während seiner zehnjährigen Amtszeit, die einst mit großen Erwartungen begann, verlor er zunehmend an Glaubwürdigkeit und politischen Einfluss.

Rumänien hat zum Beispiel im neu veröffentlichten Korruptionswahrnehmungsindex 2024 von Transparency International (TI) gleich schlecht abgeschnitten wie im Vorjahr. 46 von 100 Punkten bedeuten wieder Rang 65. Mittelmäßigkeit prägte das politische Leben der Rumänen unter Iohannis Fittichen.
Doch der eigentliche Tiefpunkt folgte nach dem Ende seiner zweiten Amtsperiode, am 21. Dezember 2024. Ihm wurde vorgeworfen, sein Amt ohne eine rechtlich einwandfreie Grundlage weiterzuführen – ein Vorwurf, der nicht nur aus der Opposition, sondern aus nahezu allen politischen Lagern kam. Vertreter des gesamten politischen Spektrums – von links bis rechts – sahen darin eine möglich illegitime Amtsweiterführung und sprachen von einem Verfassungsbruch. Das ohnehin schwindende Vertrauen in seine Präsidentschaft wurde so endgültig untergraben.

All das hat jedoch nicht nur zur wachsenden Unzufriedenheit im Land beigetragen, sondern auch dazu geführt, dass auch schon die erste Runde der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2024 zu einer regelrechten Protestwahl wurde. Überraschenderweise belegte dabei der charismatische, aber extrem rechte Kandidat Călin Georgescu den ersten Platz.

Iohannis erklärte in seiner Abschiedsrede am Anfang der Woche, dass die Suspendierungsversuche der Opposition ins Leere liefen, da er sein Amt ohnehin in wenigen Monaten niederlegen werde. Eine solche Maßnahme hätte nicht nur den neu angesetzten Präsidentschaftswahlkampf im April 2025 erheblich beeinträchtigt, sondern auch Rumänien international der Lächerlichkeit preisgegeben. Um das Land vor dieser politischen Krise zu bewahren, zog der konservative und wortkarge Iohannis Konsequenzen und trat überraschend zurück.

Călin Georgescu bietet Paroli

Georgescu begrüßte sofort diese Entscheidung und verlangte: „Machen wir mit der Stichwahl weiter.“ In der ersten Wahlrunde hatte er etwa 23 Prozent der Stimmen erhalten und wäre in der Stichwahl gegen die zweitplatzierte Mitte-Rechts-Kandidatin Elena Lasconi seitens ihrer eher ideologielosen USR chancenreich angetreten, die rund 19 Prozent der Stimmen erreichte. Das Verfassungsgericht Rumäniens hat aber die erste Runde annulliert. Die Begründung kam nicht von Berufsrichter, hat aber auch nur eine Minderheit der Bevölkerung wirklich überzeugt.

Das Manöver hat Georgescu jedoch nicht geschwächt – im Gegenteil, es hat ihn gestärkt. Seine Sympathiewerte steigen und er versteht es meisterhaft, sich vom vermeintlichen Verlierer zum strahlenden Gewinner der Volksgunst zu wandeln. Die Opferrolle beherrscht er wie ein Virtuose, und genau darin liegt seine größte Waffe: Er inszeniert sich als Kämpfer gegen das Establishment, pflegt einen vereinfachten aber fast mystischen Diskurs und ist so auf die Sonnenseite seines politischen Lebens – das Volk scheint ihm diese Rolle noch nur allzu gerne abzunehmen. Er bietet seiner Klientell einfach Paroli. Mit Nachdruck. Georgescu ist längst kein Phänomen am Rand mehr.

George Simion, kaum Beinfreiheit

Auch der nationalistische Politiker George Simion, Vorsitzender der Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) und Vizepräsident der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), feierte den Rücktritt von Präsident Iohannis als Erfolg seiner Bewegung. An seine Anhänger gewandt, erklärte er auf Facebook: „Das ist euer Sieg! Jetzt machen wir mit Runde zwei weiter.“ Darunter ist zu verstehen: Die gestrichene Stichwahl des Vorjahres sollte wiederholt werden. Somit keine Neuwahl. Ob das auch so kommt, bleibt höchst unwahrscheinlich.

Simion hat sich als Vertreter eines radikalen rumänischen Nationalismus positioniert, mit einem einzigen Ziel: die Stärkung der nationalen Identität. Seine AUR, einst eine politische Außenseiterbewegung, hat sich in treibendem Tempo zu einer ernsthaften Machtoption entwickelt – eine Partei, die das politische Establishment des Landes ins Wanken bringen möchte.
Doch hinter der Fassade der goldenen Einigkeit (AUR bedeutet auf rumänisch “Gold”) brodelt es. Simion mag das lächende Antlitz der Bewegung sein, doch die „Brüder“ in seinen eigenen Reihen gönnen ihm seinen Einfluss nicht bedingungslos. Beinfreiheit? Fehlanzeige.

George Simion pflegt inzwischen einen gemäßigteren Diskurs; verbale Entgleisungen sind bei ihm seltener geworden. Offenbar hat der rumänische Abgeordnete erkannt, dass es sich eigentlich immer lohnt, die EU- und NATO-Mitgliedschaft seiner Heimat zu verteidigen. Fast salonfähig könnte man sagen. Oder drastischer: bedrohlich nahe an echter Macht. Und Simion scheut sich nicht, politische Verantwortung zu übernehmen – selbst nachdem sein Präsidentschaftswahl-Ergebnis im Vorjahr hinter den Erwartungen seiner Anhänger zurückblieb. Er schaffte es nur 4ter zu werden. Damals fehlte ihm noch die volle Zugkraft seiner eigenen Partei. Jetzt jedoch steht er mit gestärktem Rückhalt an der Schwelle zur nächsten politischen Eskalationsstufe. Seine Baustelle – Zukunft: vermutlich die Präsidentschaftswahlen Anfang Mai 2025.

Der Interimsstaatschef und sein Außenminister

Laut rumänischer Verfassung übernahm Ilie Bolojan (geb. 1969), der Senatsvorsitzende und Chef der konservativen Partei PNL (Mitglied der EVP), das Amt des Interimspräsidenten.

Der frühere Bürgermeister von Großwardein (Oradea) in Siebenbürgen soll laut gut informierten Quellen in Bukarest eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, dass Iohannis letztlich zurücktrat. Denn im Falle eines Amtsenthebungsverfahrens hätte Bolojan dem Langzeitpräsidenten nicht garantieren können, dass die Parlamentarier der eigenen konservativen PNL – einst auch Iohannis’ Partei – nicht doch für die Suspendierung gestimmt hätten. Die beiden galten ohnehin nie als Parteifreunde.

Bolojan selbst, ein volksnaher Politiker, der im Vorjahr mit überwältigender Mehrheit zum Kreisratsvorsitzenden (Parlamentspräsident) von Bihor in Siebenbürgen wiedergewählt wurde und zuvor zwölf Jahre Bürgermeister der Kreishauptstadt Oradea (180.000 Einwohner) war, hatte unter Iohannis nie ein Regierungsamt erhalten, nicht einmal ein Staatssekretariat – und das, obwohl er landesweit die besten Wahlergebnisse für die PNL erzielte.

Bolojan pflegte gekonnt und bereits als Lokalpolitiker internationale Kontakte. Seine Gespräche mit Maia Sandu, der Staatspräsidentin der Republik Moldau, weckten schon vor Jahren das Interesse der rumänischen Presse. „Moldau ist nicht allein. Wir stehen gemeinsam im selben Kampf für eine bessere Zukunft“, sagte der Interimspräsident als er nun, am ersten Tag seines Mandates, mit Maia Sandu telefonierte.

Rumänien reagiert blitzschnell auf Iohannis’ Abgang und den akut im Gange befindlichen Paradigmenwechsel auf der internationalen Bühne einer sich multipolar und für viele schockierend entwickelnden Welt. Es entsendet am Wochenende seinen kompetentesten Minister zur Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), um zu verstehen, zu erklären und die, wahrscheinlich nicht wenigen, Fragen zu beantworten – dort, wo er auch für die Stärkung der Resilienz der Republik Moldau plädieren wird.

Zugleich wird Außenminister Emil Hurezeanu, langjähriger Botschafter in Berlin und Wien, die Gefahr der hybriden Pläne der Russischen Föderation sowie die Bedeutung von Gegenmaßnahmen gegen diese Aktionen hervorheben, wie aus einem Kommuniqué seines Amtes in Bukarest hervorgeht. Unter „Gegenmaßnahmen“ versteht man in Bukarest vermutlich mehr als nur die schlichte Absage der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2024.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren, und das Risiko, mit einer schweren Krise konfrontiert zu werden, ist real”, so Bolojan in seiner ersten Rede als Interimspräsident am 13.02. als er nicht scheute auch das heikle Thema der gescheiterten Wahlen direkt anzusprechen: „Die Wahl ist das Fundament der Demokratie, und die Gewährleistung von Wahlen, die nicht infrage gestellt werden, ist ein wichtiger Schritt, damit die Rumänen ihr Vertrauen in die Institutionen zurückgewinnen”. Ein Jahrzehnt lang kannten die Rumänen nur die gähnende Leere von Klaus Werner Iohannis Auftritte und siehe da, der neue ad-hoc Präsident aus Siebenbürgen spricht Klartext in Bukarest.

So tickt der Zeitgeist

Rumänien steht am Wendepunkt: Es gibt kein Aufschieben mehr, keine Möglichkeit, auf Zeit zu spielen. Denn Bukarest ist – wie Wien auch – eine Stadt der Kulissen. Vordergründig glänzt die Fassade ohne Tiefe, während sich im Verborgenen die wahre Essenz ohne Schein verbirgt.

„Ich sende allen Rumänen eine unmissverständliche Botschaft: Wir werden faire und transparente Wahlen haben!“, so der neue erste Mann im Staat. Doch viele Kenner der politischen Szene in Bukarest stellen sich bereits die naheliegende Frage: Wird Ilie Bolojan am 4. Mai als konservativer Kandidat selbst antreten wollen? Ein Macher wie Bolojan kommt nicht „umsonst“ nach Bukarest – seine Ankunft deutet auf wesentlich mehr hin als bloße konservative Partei – Routine.

Nach Ostern, während der Wahlkampf mit Glockengeläut tobt, fällt dann bei den neuen „alten Wahlen“ die Entscheidung: Behält Rumänien standhaft seinen demokratischen Kurs bei oder steuert Bukarest auf eine Zukunft zu, in der Wahlen (falls diese überhaupt stattfinden) nur noch eine Fassade ohne Fundament sind – errichtet zum Schein und zur Täuschung?

Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater

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Kommentare

  • chris s sagt:

    Mit großem Vergnügen habe ich den Artikel von Herrn Todericiu gelesen. Seine scharfsinnige Beobachtungsgabe, gepaart mit einer feinen Prise Ironie, macht ihn zu einem Autor, dessen Texte wirklich unterhalten. Doch eine Frage drängt sich mir auf: Warum richtet er seine messerscharfe Kritik ausschließlich auf Rumänien? Auch Österreich bietet reichlich Stoff für seine ironisch-satirische Betrachtung – sei es das politisch endlose Karussell, die Widersprüche zwischen Bürokratie und Fortschritt oder der ewige Tanz zwischen Gemütlichkeit und Innovationsdrang.
    Lieber Herr “Rumäne” Todericiu, lassen Sie Ihre Feder weiterfliegen! Das Thema – Österreich wartet auf Sie – mit all seinen Absurditäten und herrlichen Widersprüchen. Ein Blick aus Ihrer Perspektive könnte so manche eingefahrene Sichtweise auflockern…
    Mit erwartungsvoller Neugier,