Plagiatsjäger über Uni-Arbeiten & Fall Zadic: Die Inhalte "san wuascht"?
Warum Österreich 20 Jahre Qualitätssicherung verschlafen hat – oder wollte. Ein Gastkommentar von Plagiatsjäger und Titelprüfer Stefan Weber.
Mit der Debatte um die akademischen Texte der Ministerinnen Susanne Raab und Alma Zadić richten wir endlich unseren Fokus auf die Qualität heimischer Abschlussarbeiten: Bei genauem Hinsehen findet man Plagiate in Susanne Raabs Diplomarbeit sowie zahllose bloß aus der Literatur umgeschriebene Sätze in Alma Zadićs Doktorarbeit, mit und ohne Quellenangaben. Es geht nun nicht mehr nur um die Frage: Hat hier jemand gemogelt? Es geht jetzt auch um folgende grundlegende Fragen: Ist das das akademische Niveau, das wir haben wollen? Ist es Wissenschaft, wenn man nur Texte anderer ein wenig umschreibt, und dies Satz für Satz? Und darf man womöglich in Österreich, was man in anderen Ländern nicht darf?
Problem 1: Keine klaren Regeln, vor allem bei Juristen
Wir brauchen nur einen Blick ins Nachbarland zu werfen: Deutschland hatte im Februar 2011 den „Guttenberg-Schock“ zu verkraften: Eine nahezu komplett plagiierte juristische Doktorarbeit des damals beliebten Verteidigungsministers, der als Merkel-Nachfolger gehandelt wurde. Eineinhalb Jahre später sprach die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Klartext und verabschiedete neue Leitsätze für gute wissenschaftliche Praxis. Ich zitiere nur zwei Regeln: “In wissenschaftlichen Veröffentlichungen muss der Leser erkennen können, inwieweit der Autor sich jenseits des Allgemeinkundigen auf Ergebnisse und Formulierungen Dritter stützt.” “‘Blindzitate’, d.h. die ungeprüfte Übernahme der Zitate Anderer, verstoßen grundsätzlich gegen die Standards der Wissenschaft.”
Ich habe zur Sicherheit bei der Vorsitzenden der Vereinigung nachgefragt: Diese Regeln gelten auch für Studierende. Nun ist es kaum denkbar, dass diese und 13 weitere angeführte Zitierregeln nicht auch in Österreich gelten. Ausbuchstabiert wurden diese Regeln von den heimischen Fachgesellschaften jedoch bis heute nicht. In die Standard-Lehrbücher – besonders resistent sind hier die “Abkürzungs- und Zitierregeln“ aus dem Manz-Verlag – fanden die neuen Regeln bis heute keinen Eingang. Und dies nach knapp zehn Jahren! Aber nicht nur die österreichischen Juristen würden endlich klare Zitierregeln brauchen. Alle Lehrenden, Forschenden und Studierenden sollten einem Verhaltenskodex für die Wissenschaft unterworfen werden, wie es ihn an den meisten internationalen Universitäten mitunter seit Jahrzehnten gibt.
Problem 2: Keine Bindung von Förderungen ans Ombudssystem
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im Jahr 2019 die Neuauflage des Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ beschlossen, eines Werks, das bis ins Jahr 1998 zurückgeht. Österreich hat nichts dergleichen, ein “Praxisleitfaden” hierzulande bleibt ein vager Fließtext ohne Verbindlichkeiten, der versucht, gute wissenschaftliche Praxis mit Forschungsethik zu verbinden.
Aber noch viel dramatischer: Alle Hochschulen und außerhochschulischen Einrichtungen in Deutschland müssen (!) die Richtlinien des Kodex rechtsverbindlich (!) umsetzen, um weiter Fördermittel der DFG erhalten zu können. Das System des sanften Drucks auf die Institutionen dient ausnahmslos der Bewusstseinsbildung und der Qualitätssicherung. In Österreich gibt es nichts in diese Richtung. Das österreichische Pendant zur DFG, der FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) gibt weder einen Kodex heraus, noch macht er die Zuweisung von Fördermitteln von der Implementierung eines Systems zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (GWP) abhängig. Der FWF bewilligt rund 240 Millionen Euro Steuergeld pro Jahr für Österreichs Forschung.
Warum gab es in Österreich nie eine Debatte, ein System wie in Deutschland zu etablieren?
Problem 3: Eine völlig zahnlose ÖAWI
Keine ausbuchstabierten Zitierstandards wie in Deutschland, England oder Amerika. Keine Bindung von Zahlungen aus Forschungsfördertöpfen an ein funktionierendes GWP-Ombudssystem. Und drittens eine komplett zahnlose Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI), die sich laut Website immer noch vorbehält, Fälle, die älter als zehn Jahre sind, nicht zu behandeln. Dabei wurde die Verjährung von Plagiaten kurz nach der Causa Aschbacher noch in letzter Minute aus dem Entwurf der Universitätsgesetz-Novelle gekippt. Für die ÖAWI war dies freilich kein Anlass, ihre Statuten zu überdenken. Steuergeld ist dort sinnvoller investiert: etwa in eine an den Plagiatsjäger gerichtete Klagedrohung.
Es ist längst klar, dass wir eine Alternative zur ÖAWI brauchen. Wieder genügt der Blick ins benachbarte Ausland (wobei klarerweise betont werden muss: auch dort ist vieles andere nicht besser): In Deutschland gibt es seit 1999 den “Ombudsman für die Wissenschaft”. In Presseaussendungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist immer wieder von Sanktionen nach festgestelltem wissenschaftlichen Fehlverhalten zu lesen, wenn auch von recht bescheidenen. Aber gab es eine solche Pressemitteilung überhaupt jemals in Österreich?
Was ist los in Österreich?
Die Universitäten sind “autonom”. Aber die Qualitätssicherung wird offenbar nicht zufriedenstellend von den autonomen Unis geleistet. Der Weg von der „Autonomie“ zum gemütlichen Schrebergarten der Indifferenz und Nivellierung nach unten ist kein weiter.
Woher dieses geringe Interesse an der Qualitätssicherung der Inhalte und an Regeln, Kontroll- und Sanktionsmechanismen, die es in anderen Ländern längst gibt? Warum keine klaren Zitierregeln wie in Deutschland, warum kein Kodex wie international üblich, warum kein Sanktionssystem bei Nicht-Implementierung? Kann es sein, dass Zitierregeln hierzulande wie Cookies-Banner oder DSGVO-Normen gesehen werden? Letztere nerven tatsächlich, erstere sind ungemein wichtig und die Basis dafür, dass in der Wissenschaft eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Arbeiten anderer stattfinden kann.
Ich glaube mittlerweile, dass man es sich in Österreichs Wissenschaftslandschaft einfach bequem eingerichtet hat. Es ist wie mit der Medienförderung: Ohne großen Skandal schaut niemand genau hin. Und so kommt es zu Verwerfungen, zu zunehmenden Klagen, dass immer öfter die Falschen berufen werden und zu Forschungsanträgen, die vorwiegend die Trendwörter von Ausschreibungstexten paraphrasieren.
Ein Ausbildner sagte zu meiner Arbeit einmal, dass ich auf verlorenem Posten sei, denn: „Die Inhalte san wuascht.“ Vielleicht überlegen wir uns einmal, ob dieses typisch österreichische Dogma wirklich schlau ist und das Land weiterbringt.
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