Deutschlands Parteien konzentrieren sich darauf, vorhandenen Wohlstand umzuverteilen und für den Kampf gegen den Klimawandel zu nutzen, sagt der deutsche Ökonom und Bestsellerautor Daniel Stelter im eXXpress-Interview kurz vor der Bundestagswahl. Auf ein Thema werde aber vergessen: „Wie können wir künftigen Wohlstand sichern?“

Die Jahre unter Merkel waren nur vordergründig gut

Stelter sieht Deutschland vor vielen Problemen, die er vor allem der bisherigen Bundeskanzlerin Angela Merkel anlastet: „Die Politik hat nicht erkannt, dass Merkel das Land 16 Jahre lang verwaltet hat, dabei aber Lasten eingegangen ist, die uns noch dauerhaft beschäftigen werden, wie die Eurorettung, die überstürzte Energiewende und den Atomausstieg.“ Mittlerweile bestehe Sanierungsbedarf, eigentlich seien dringend Reformen nötig. „Das hat die Politik aber noch nicht erkannt und sie hat Angst, das auch den Wählern zu sagen.“

Viele Deutsche würden die Jahre unter Merkel als durchaus gut beschreiben. „Vordergründig waren sie das auch“, sagt der Ökonom und Blogger. Nach der Euro- und Finanzkrise erholte sich Deutschland etwa relativ schnell. Einkommen und BIP pro Kopf wuchsen schneller als in anderen Ländern. Doch das basierte vielfach auf nicht nachhaltigen Faktoren, analysiert Stelter: Die Eurokrise wurde nicht richtig gelöst, dafür senkte EZB-Präsident Mario Draghi drastisch die Zinsen, wovon speziell eine exportorientierte Wirtschaft wie jene Deutschlands profitierte. Ein weiterer Faktor war Chinas gute Konjunktur, die aber stark schuldenbasiert ist und sich mittlerweile in einer ersten Schieflage befindet.

Nötige Investitionen müssen nachgeholt werden

Einer von Stelter Hauptkritikpunkten ist aber: Die Politik hat die guten Zeiten nicht genutzt, um in Infrastruktur, Digitalisierung, Bildungssystem und Bundeswehr zu investieren. Die vielen Milliarden, die der deutsche Staat eingenommen hat, flossen hauptsächlich in Rente, Gesundheit, Energiewende, Migration, Fluchtursachenbekämpfung – doch die nötigen Investitionen blieben aus. Nun müssten sie nachgeholt werden, sagt Stelter, der in seinem jüngsten Buch mehrere ambitionierte Reformen für Deutschland vorschlägt („Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“).

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände schätzen, dass Deutschland in den kommenden zehn Jahren allein 450 Milliarden Euro investieren muss, allein jene Investitionen nachzuholen, die in den vergangenen Jahren verabsäumt wurden. Hinzu kommt: Die Erwerbsbevölkerung beginnt zu schrumpfen, es gibt also weniger Arbeit und weniger Wirtschaftsleistung. Fazit: „Wir haben von der Substanz gelebt.“ Die guten Jahre waren nicht Merkels Verdienst, sagt Stelter, sondern jener von Draghi und von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder, der mit der Agenda 2010 Deutschland voran gebracht hat.

Ohne wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kein Klimaschutz

Der im Wahlkampf viel beschworene Kampf gegen den Klimawandel werde die Bürger auf jeden Fall etwas kosten, betont Daniel Stelter: „Unser gesamter Wohlstand basiert auf dem Einsatz von Energie.“ Wenn man sie verteuert, dann „schlägt das durch“. Hier sei Deutschland in einer schweren Situation: Bereits jetzt wandert die deutsche Stahlindustrie nach Frankreich ab, weil es dort billigeren Atomstrom gibt. In Nordschweden wiederum gibt es billige Wasserkraft, weshalb sich auch dort schon Firmen ansiedeln. Deutschland fehlt der Zugriff auf günstige CO2-neutrale Energiequellen. Dafür gebe es in Deutschland nicht genug Sonne und Wind.

Stelters Vorschlag: „Lasst uns mehr grüne Energie importieren – beispielsweise Wasserstoff aus Afrika. Das wäre eine ehrliche Antwort“. Darüber hinaus sollte man primär mehr Geld in die Forschung stecken um jene Technologien zu entwickeln, die die Welt braucht, um CO2 zu sparen. „Das wäre ein echtes Konjunkturprogramm.“ Tempolimits und Subventionen für Lastenfahrzeuge hingegen, über die zurzeit die Parteien viel sprechen, spielten weltweit  kaum eine keine Rolle. „Man macht sich selbst und den Wählern etwas vor.“ Und: „Die Voraussetzung für gute Klimaschutzpolitik ist wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Erhalten wir diese nicht, werden die Wähler den Weg nicht mitgehen. Da haben alle Parteien versagt.“

Die Mittelschicht müsste entlastet werden

Steuererhöhnungen, staatlichen Dirigismus und mehr Planwirtschaft sehen Stelter zufolge vor allem die Parteiprogrammen der Linken und der Grünen vor. „Das ist der falsche Weg.“ Auch von der Reichenbesteuerung erwartet sich der Ökonom nicht viel: „Die Ungleichheitsdiskussion ist in Deutschland populär, aber eigentlich entbehrt sie einer Grundlage.“ Mit Blick auf die faktische Vermögensverteilung sei Deutschland nämlich eines der „gleichsten“ Länder Welt. „Das Vermögen ist bei uns nicht deswegen ungleich, weil die reichen Deutschen so reich sind.“ Sie seien in Wahrheit nicht reicher als die reichen Spanier und Italiener. Das Problem sei eher, dass die breite Masse nicht mehr kriegt.

Zurzeit werde Mittelschicht enorm belastet. Anstatt die Steuern der Reichen zu erhöhen, müsste man sehen, wie man die Mittelschicht entlastet. Das Problem seien hier aber primär die Sozialausgaben, nicht die Steuern. Nötig wäre es daher, das völlig veraltete Steuern- und Abgabensystem gesamthaft umzubauen. Hierbei müsste man auch bei den Sozialabgaben ansetzen.

Am meisten Sorge bereitet Daniel Stelter der breite Konsens der Parteien bei der Klimapolitik: Hier setzten alle vor allem auf Regulierung und Planwirtschaft . Trotz auch guter Ansätze bei den Parteien befürchtet er, Deutschland bekommt eine weitere Koalition des Stillstands.