Aus afrikanischen Ländern wie dem Sudan, Somalia oder Eritrea machen sich immer mehr Menschen auf den Weg nach Europa. Die Hälfte der 36,6 Millionen Afrikaner, die momentan auf der Flucht sind oder ein wirtschaftlich ertragreicheres Leben suchen, geben als Ziel den europäischen Kontinent an.

UNHCR erwartet bis Ende des Jahres 60.000 Ankünfte

Aufgrund der Corona-Krise waren die EU-Außengrenzen eine Zeit lang nur wenig durchlässig, doch jetzt entlädt sich der angestaute Druck. Dieses Jahr sind bereits über 15.000 Bootsmigranten (Stand 12.Juni) in Europa angekommen, das sind siebenmal so viele wie vor Corona, im Jahr 2019. Die Sprecherin des Flüchtlingshilfwerks UNHCR sagte in einem Gespräch mit der ‚Welt‘, dass diese Zahlen höchstwahrscheinlich nur ein Anfang seien. Viele Menschen wären kurz vor der Überfahrt nach Europa von der Corona-Krise überrascht worden – jetzt, wo die Kontrollen besser sind und die Pandemiebekämpfung effektiver funktioniert, brechen sie auf. Sie schätzt die Ankunft der Bootsmigranten über die zentrale Mittelmeerroute bis Jahresende auf 60.000 Personen.

Abkommen, die das Überlaufen von tausenden Migranten nach Europa verhindern sollten, werden von den Partnerländern nur teilweise eingehalten. Der umstrittene Deal, den Italien im Jahr 2017 mit Libyen geschlossen hatte, scheint nicht mehr zu zählen. Der neue libysche Übergangs-Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba gilt als knallharter Geschäftsmann, vor seinem Amtsantritt war er Manager eines libyschen Fußballklubs. Er hat wenig Interesse am vollständigen Unterbinden der Schlepperei, die, wenn auch illegal und unversteuert, viel Geld ins Land spült.

In Ceuta demonstrierte Marokko Macht

Auch auf Marokkos Gunst ist die EU angewiesen. Das nordafrikanische Königreich gilt als wichtiger Verbündeter in Sachen Außengrenzschutz und hält jedes Jahr hunderttausend Migranten von der Bootsüberfahrt ab. Dafür wird das Land von der EU fürstlich entlohnt – in den letzten zwei Jahren wurden aus Spanien 30, aus Brüssel 140 Millionen Euro nach Rabbat überwiesen. Aus bisher nicht vollständig geklärten Gründen ließ Marokko Mitte Mai in 36 Stunden dann doch mehr als 8000 Migranten über die Grenze nach Spanien durchdringen– viele der Migranten schwammen auf die europäische Seite der Exklave Ceuta. (eXXpress berichtete). Auch kam es zu Stein-Attacken von mehreren tausend Migranten auf spanische Grenzstationen. Dies sollte ein Warnsignal an die EU sein, das marokkanische Königreich nicht zu verärgern und auch die bestehende Abhängigkeit demonstrieren. Zehntausende Migranten leben schon seit Jahren in Marokko – würde das Land die Wege nach Europa nicht blockieren, würden sich auf einmal Massen von Menschen richtung Spanien bewegen – und das südeuropäische Land wäre völlig überfordert.

Erdogan setzte Europa in der Vergangenheit schon öfter unter Druck

Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan demonstriert gerne seine Macht – zuletzt Anfang 2020, als er die griechisch-türkische Grenze für einseitig offen erklärte. Es kam zu angespannten Situationen und militärischem Aufrüsten von beiden Seiten. Die griechische Grenzpolizei berichtete von mindestens 5000 Menschen, die offensichtlich mit Bussen – und aufgrund falscher Versprechungen der türkischen Behörden – an die Grenze gebracht worden seien. An den Grenzübergängen zur EU kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen der griechischen Polizei mit den Migranten, die versuchten, die Grenzstationen zu stürmen.

Draghi pocht auf Umverteilung – auch Österreich lehnt ab

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi setzt sich nun für einen Umverteilungsmechanismus innerhalb der EU ein – Italien könne diese Mighrantenbewegung nicht alleine stemmen. Von den ehemaligen Visegradstaaten Polen und Ungarn gibt es deutliche Absagen, sogar das sonst so flüchtlingsoffene Deutschland sagte dem Vorschlag nicht zu. Auch der österreichische Innenminister Nehammer lehnte die Umverteilung ab – Österreich sei „eines der am meisten belasteten Länder der EU“. Er wolle nicht, dass „ falsche Signale“ ausgesendet würden. Die Rückführungsverfahren müssten effektiver und schneller werden, Asylanträge und Registrierungen eventuell sogar auf Drittstaaten ausgelagert werden.
Es scheint, als wären die Fronten innerhalb der Europäischen Union schon verhärtet, bevor sich das wahre Ausmaß überhaupt gezeigt hat. Wie Spanien, Italien und Griechenland mit den vorzeitigen Absagen der anderen Mitgliedsländern umgehen wird und ob hier wirklich schon das letzte Wort gesprochen wurde, wird sich bald zeigen.

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