Für die Macher des Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen sind die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Gletscher-Mumie “Ötzi” ein werbetechnischer Super-GAU. Immerhin weiß die ganze Welt seit Jahrzehnten wie der Iceman, der 1991 zufällig entdeckt worden war, vor knapp 5000 Jahren ausgesehen hat. Dafür haben die niederländischen Künstler-Zwillinge Adrie und Alfons Kennis gesorgt, die in den 1990-er Jahren die Mumie nach damaligem Stand der Wissenschaft rekonstruierten.

Seitdem begeistert die 1,60 Meter große Ötzi-Figur mit der Schuhgröße 38 die Besucher-Massen im Bozener Museum. 300.000 Fans pilgern jedes Jahr nach Südtirol, um den “Iceman” zu sehen. Und sie sehen: einen weißhäutigen Jäger und Sammler mit nacktem Oberkörper und Lendenschurz. Volles, zum Zopf gebundenes Haupthaar und einen sympathischen Blick. Wie man sich so einen Ur-Bauern von der Alm halt vorstellt – Marke mitteleuropäischer Zausel.

Das Duplizieren

Doch alles ein Irrtum: Ötzis Ahnen stammten wie die Vorfahren aller Bewohner der Region aus Anatolien, sie sahen aus wie dunkelhäutige Türken. Fand kürzlich ein internationales Forscherteam anhand von DNA-Analysen heraus. Hierzu waren der Mumie Proben aus dem Bereich des linken Hüftknochens entnommen worden. Und noch etwas kam dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit heraus: Auch die Haarpracht der Ötzi-Rekonstruktion dürfte Wunschdenken entsprochen haben. Der Mann aus dem Eis hatte genetisch eine starke Veranlagung zur Kahlköpfigkeit.

Kurzum: Er sah wohl völlig anders aus, als er auf Millionen von Tassen, T-Shirts, Kappen und sonstigen Souvenirs bislang dargestellt wurde. Muss das jetzt alles eingestampft und die berühmte Figur im Museum aktualisiert werden? Rein wissenschaftlich betrachtet, vermutlich schon, aber: Sie sei “auf dem damaligen Stand der Forschung” und auf Grundlage von 3D-Scans und CT-Aufnahmen der Mumie und ihres Skeletts entstanden. Der Schädel entspreche daher der Originalform, die Größe von 1,60 sei korrekt, die Schuhgröße 38 stimme mit der des realen Ötzis überein. Durch die neuen Erkenntnisse habe die Rekonstruktion nicht an Wert verloren: Gene könnten nicht 1:1 verraten, wie ein Mensch ausgesehen habe. Zudem müsse eine Veranlagung wie die zur Kahlköpfigkeit nicht zwingend Realität werden. “Aber wer möchte, darf sich unseren Ötzi ruhig mit Glatze vorstellen”, sagte Museumsdirektorin Elisbetzh Vallazza kürzlich dem “Spiegel”.

Geändert wird jedenfalls nichts an Ötzi, wie ihn alle kennen.

Ötzi auf anatolisch: So könnte er ausgesehen haben
5000 Jahre alte Mumie des Gletscher-Mannes.