Wozu braucht es eine EU-Armee, wenn es schon die NATO gibt, fragt ORF-Moderator Martin Thür zunächst die NEOS-Abgeordnete im Europaparlament Claudia Gamon. Nur vier EU-Staaten sind bis heute kein NATO-Mitglied: neben Österreich auch noch Zypern, Irland und Malta. Die restlichen sind ohnehin bereits Teil des Verteidigungsbündnisses.

EU solle sich nicht langfristig von den USA abhängig machen

Gamon, die eine glühende Verfechterin der „Vereinigten Staaten von Europa“ ist, kontert: Gerade der vergangene NATO-Gipfel und die lange Blockade des türkischen Präsidenten Erdogan gegen einen Beitritt Schwedens habe die „Notwendigkeit“ einer solchen Armee verdeutlich. Die Europäische Union müsse selbst „souverän“sein  und solle ihre Sicherheit nicht auf Dauer von der NATO abhängig machen. Europa müsse selbst wirklich verteidigungsfähig sein.

Gamon: „Europa muss selbst verteidigungsfähig sein“Screenshot/ORF/ZiB2

„Es geht um das Prinzip, dass die EU langfristig ihre Sicherheit nicht von den USA abhängig machen kann.“ Zudem verhindere eine EU-Armee Mehrausgaben durch 27 verschiedene Heere und es gebe gemeinsamen Einkauf. Zurzeit zeige sich, dass Probleme entstehen, weil die Staaten unterschiedliche Waffen-Systeme verwenden, die nicht zusammenpassen.

Vereinigte Staaten von Europa sind das Fernziel

Nicht einmal bei „Sky Shield“, das vor Drohnen- und Raketenangriffen schützen soll, ist man sich einig geworden, wendet Thür ein. Frankreich und Italien nehmen etwa nicht teil. Das sei nur ein „Beweis dafür, dass wir mehr in diese Richtung arbeiten müssen“, meint Gamon. „Wir sind noch nicht soweit. Es ist aber ein Weg in Richtung Zukunftsfähigkeit.“ Mehrere Schritte seien nötig in Richtung Vereinigte Staaten von Europa. „Vielleicht fehlt uns manchmal die Fähigkeit, uns ein entscheidungsfähiges Europa vorzustellen.“

Martin Thür: Nicht einmal bei „Sky Shield“ sind sich die europäischen Staaten einig geworden.Screenshot/ORF/ZiB2

Fazit: Gemäß Claudia Gamon gibt es eines Tag die Vereinigten Staaten von Europa mit einer eigenen Armee. „Natürlich wäre Österreich bei einer EU-Armee dabei.“ Was die NEOS-Politikerin nicht ausspricht, sich aber daraus zwangsläufig ableitet: Österreich müsste seine Neutralität zu diesem Zweck klarerweise aufgeben.

Geopolitik-Experte Michael Prinz von und zu Liechtenstein: „Koalition williger Staaten realistischer“

Gamon ist seit Februar 2023 überdies NEOS-Landessprecherin in Vorarlberg und wird bald Mutter. Bei den kommenden EU-Wahlen will sie nicht mehr kandidieren, um sich ganz auf Vorarlberg zu konzentrieren.

Gamon wird bald Mutter und wird sich überdies in die Landespolitik in Vorarlberg verabschieden.Screenshot/ORF/ZiB2

Europas militärische Abhängigkeit von den USA halten immer mehr Politiker auf Dauer für ein Problem. Allerdings sehen nicht alle wie Gamon die Lösung in einer EU-Armee. So meinte etwa der Unternehmer und Experte für Geopolitik Michael Prinz von und zu Liechtenstein im Dezember gegenüber dem eXXpress: „Eine Koalition williger Staaten wäre wohl realistischer als eine europäische Armee unter einem europäischen Staat, den nicht alle wünschen und der auch derzeit nicht realistisch ist.“ Überdies müsse Großbritannien, das nicht mehr der EU angehört, mit im Boot sein. Das sei „unabdingbar“: „Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Polen müssten dabei sein, und eines der größeren Mittelmeerländer, also Italien oder Spanien. Das könnte als Kern gut funktionieren.“

Ein Europa, das stark sei in der Verteidigung, die Grenzen im Osten sichere, und auch auf den Weltmeeren seine Interessen im Handel verteidige, „könnte dann sowohl mit Russland als auch mit den USA handeln“. Michael Prinz von und zu Liechtenstein ist Gründer des in Vaduz ansässigen geopolitischen Beratungs- und Informationsdienstes Geopolitical Intelligence Services und Initiator von „Der Pragmaticus“.