Zurzeit soll Prof. Isaac Ben-Israel (74) der Universität Tel Aviv Israel dabei helfen, eine Supermacht in Künstlicher Intelligenz (KI) zu werden. Aus gutem Grund. Im Jahr 2010 hatte der Top-Experte die Regierung davon überzeugt, in Cybersicherheit zu investieren. Er erarbeitete dafür einen Plan – und der ging auf. Israel ist heute weltweit führend bei Cybersicherheit und kann sich mit Ländern messen, die wesentlich größer sind. Prof. Ben-Israel will eine ähnliche Strategie bei KI verfolgen.

Im ersten Teil dieses eXXpress-Interviews erzählt Prof. Ben-Israel, wie das bei Cyber gelungen ist, und warum es ein Vorteil sein kann, ein kleines Land zu sein. Der zweite Teil des Interviews erscheint am Samstag und kreist um KI.

Premierminister Benjamin Netanjahu spricht auf der jährlichen internationalen Cybersecurity-Konferenz in Tel Aviv.APA/AFP/Menahem KAHANA

„Wir unterrichten Cybersicherheit bereits in den Schulen“

Sie haben im Jahr 2011 eine Cyber-Strategie für Israel ausgearbeitet. Heute ist Israel eine weltweit führende Cyber-Supermacht. Nun leiten Sie im Auftrag der israelischen Regierung ein Task Force, die einen Plan vorlegen soll, wie Israel weltweit führend bei KI wird. Verfolgen Sie hier eine ähnliche Strategie wie bei Cyber?

Bei der Umsetzung gilt die gleiche Logik wie im Jahr 2011 für Cyber. Dazu gehörte damals auch das Unterrichten von Cybersicherheit, bereits in Schulen. Man kann nicht erst in den Universitäten beginnen. Es ist wie mit dem Fahren von Autos: Den Führerschein macht man zwar erst mit 17 oder 18 Jahren, aber schon mit sechs Jahren lernt man, wie man in einer Welt mit Autos lebt, die Straße überquert, nach links und nach rechts schaut, auf die Ampel achtet.

In Israel lernt heute zum Beispiel mein achtjähriger Enkel in der Schule, wie er sich in den sozialen Netzwerken verhalten soll, was er zum Beispiel auf Facebook postet. Auch Psychologie spielt eine Rolle: Wie werden Menschen dazu verleitet, ihr Passwort herzugeben? Wir bringen Volksschülern aber nicht bei, wie man Codes schreibt – das lernen sie später in der High School. Zunächst geht es also darum: Wie soll man in dieser Welt leben? Es geht um mehr als nur um Technologie im engeren Sinne.

Ein wesentliches Element ist Bildung, sagt Prof. Ben-Israel. Am besten, man beginnt schon in der Volksschule, nicht erst an der Universität.Getty

„Man kann auch sagen: Ich genieße alles, was in den USA produziert wird“

Israel misst sich in Cybersicherheit mit viel größeren Ländern. War Bildung der Schlüssel, damit auch Israel als kleines Land hier weltweit führend werden kann?

Ja. Es geht aber um mehr als um Bildung, sondern um ein ganzes Ökosystem, das meiner Meinung nach aus mindestens drei Hauptelementen besteht. Das Bildungssystem – von den Grundschulen bis zu Universitäten – ist eines davon. Sie werden es kaum glauben, aber als ich der Regierung im Jahr 2011 den Cyber-Plan vorgelegt habe, gab es weltweit nicht eine einzige Universität, an der man Cybersicherheit studieren konnte! Die Universitäten befanden sich hier im Mittelalter.

Der zweite große Pfeiler ist die Industrie. Wenn man ein echter Akteur bei Cybersicherheit sein will, muss man Lösungen entwickeln. Die Computertechnologie ist eine dominierende Technologie unserer Zeit, mit deren Hilfe wir unser Leben verbessern. Gleichzeitig werden wir von Minute zu Minute abhängiger von Computern, und somit verletzlicher und anfälliger für Cyberangriffe. Man muss möglichst schnell die richtige Technologie entwickeln und sie der gesamten Gesellschaft zur Verfügung stellen. Dafür braucht man Industrie. Es genügt nicht Menschen zu haben, die sich mit Cybersicherheit und KI auskennen. Es müssen auch die nötigen Anwendungen erstellt werden.

2021 ging das israelische Cyber-Unternehmen SentinelOne an die Börse. Dabei nahm es 1,2 Milliarden Dollar bei einer Bewertung von 9 Milliarden Dollar ein. Es wurde der größte Börsengang eines Cybersicherheitsunternehmens.Getty
Die jedes Jahr in Tel Aviv stattfindende internationale Konferenz für Cybersicherheit wird von Prof. Ben-Israel geleitet.APA/AFP/JACK GUEZ

Der dritte Grundpfeiler ist die Regierung, in mehrerer Hinsicht. Ich möchte nur zwei Aspekte hervorheben. Erstens reguliert die Regierung mit Vorschriften, was wir tun dürfen. In der neuen modernen Welt sind einige alte Regeln überholt. Hinzu kommt die Verteidigung. Was für die Zivilgesellschaft gilt, ist für die Verteidigung oft noch wichtiger. Auch dafür braucht es Investitionen.

Es war eine umfassende Strategie. Natürlich können Sie auch sagen: Ich genieße alles, was in den USA produziert wird. Wenn Sie aber selbst hier ein Akteur sein wollen, dann müssen Sie sich mit dem gesamten Ökosystem auseinandersetzen, darunter auch Recht, Psychologie, Sozialwissenschaften. Es geht nicht nur um Informatik und Ingenieurwesen.

Gal Ringel, Mitbegründer und CEO des israelischen Unternehmens „Mine“: Er und zwei zwei weitere junge Israelis, die früher in militärischen Cyber-Einheiten dienten, haben herausgefunden, wie man seinen digitalen Fußabdruck lokalisieren und wieder löschen kann. „Mine“ setzt KI ein, um Nutzern zu zeigen, wo ihre Daten gespeichert sind.APA/AFP/JACK GUEZ

Früher befassten sich nur Geheimdienste mit Cybersicherheit, heute betrifft es die gesamte Gesellschaft

Andere Staaten beschäftigen sich auch mit Cyber – aber vor allem mit Blick auf ihre Geheimdienste und das Militär. War das der Unterschied?

Als wir 2011 mit dem begannen, was wir heute die Cyber-Revolution nennen, beschäftigten sich viele Länder ausschließlich heimlich mit Cybersicherheit und Cyber-Technologie, primär durch Geheimdienste. Damit begannen sie schon in den 1980er Jahren, als Menschen erstmals Informationen in computergestützten Medien speicherten. Geheimdienste entwickelten also Wege, um Computer zu hacken – allerdings streng geheim. Sofern bestimmte militärische Verteidigungseinrichtungen über Einheiten für Cybersicherheit verfügten, durften wir nach Beendigung unseres Militärdienstes nicht offen darüber sprechen. So war das nicht nur in Israel, sondern auf der ganzen Welt.

Es braucht auch eine Cyber-Industrie, wenn man hier weltweit führend sein will.Getty

2011 beschlossen wir, damit aufzuhören und damit hinaus, in die Öffentlichkeit zu gehen. Mittlerweile wurde die gesamte Gesellschaft von Computern abhängig. Wie gesagt: Wir benötigten auch Industrie. Damals gab es keine, bestenfalls kleine Industriezweige, deren Gesamtumsatz etwa 300 Millionen US-Dollar pro Jahr betrug. Im vergangenen Jahr erreichte die Cyber-Industrie in Israel einen Gesamtumsatz von mehr als zehn Milliarden Dollar.

2011 begannen wird mit Startups. Nun, die Gesamterfolgsquote von Startups in Israel liegt bei vier Prozent. Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns liegt bei einem neuen Startup bei 96 Prozent. Einige wurden erfolgreiche Unternehmen, manche sogar Unicorns (Einhörner), die heute einen Wert von mehr als einer Milliarde Dollar haben. Weltweit gibt es etwa 500 Cyber-Unicorns, 150 davon sind in Israel, beinahe ein Drittel, obwohl wir nicht ein Drittel der Menschheit ausmachen.

Professor Isaac Ben-Israel spricht auf der Cyber Week an der Universität Tel Aviv am 21. Juli 2021.APA/AFP/Israel OUT/Gideon MARKOWICZ

Israels Strategie könnte Deutschland schwerer umsetzen, und die USA gar nicht

Kann es auch vorteilhaft sein, ein kleines Land zu sein?

Ein wichtiger Punkt war: Wir haben früh angefangen. Darüber hinaus ging es um das Bewusstsein der Menschen: Wir haben das gesamte Ökosystem – Gesellschaft, Industrie, Regierung, Bildung – einbezogen, damit wir kohärent sein können. Kleine Länder wie Israel können das besonders gut. Bei mittelgroßen Ländern wie Deutschland ist es schwieriger, und die USA sind dafür zu groß. In dieser Hinsicht kann es also ein Vorteil sein, ein kleines Land zu sein.

„Wir sind stärker auf Computer angewiesen, damit steigen auch die Schwachstellen“

Genau so wollen Sie auch bei künstlicher Intelligenz vorgehen?

Ja, gestützt auf die gleichen Prinzipien. Es gilt auch hier: Je mehr Anwendungen wir entwickeln, desto erfolgreicher wird KI sein, desto abhängiger werden wir aber auch von Computern sein und desto wichtiger wird die Absicherung, weil wir angreifbarer werden.

Überall, auch im Gesundheitswesen, werden Menschen stärker auf die Kommunikation mit Computern angewiesen sein. Es wird auch mehr Schwachstellen geben, die von Bösewichten ausgenutzt werden. Die Nachfrage nach Cybersicherheit wird folglich ebenfalls weiterhin steigen.

Prof. Isaac Ben-Israel (74) ist ein israelischer Militärwissenschaftler, General und Politiker. Er war jahrelang Leiter der israelischen Raumfahrtbehörde und ist zurzeit Vorsitzender des Nationalen Rates für Forschung und Entwicklung. Beide Einrichtungen unterstehen dem israelischen Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Raumfahrt.

Ben-Israel diente als Leiter der Militärverwaltung für die Entwicklung von Waffen und der technologischen Industrie. Zwischen 2010 und 2012 war er Chefberater für Kybernetik von Premierminister Netanjahu. In dieser Zeit gründete er das Nationale Cyber-Büro im Büro des Premierministers und rief die Nationale Cyber-Initiative ins Leben. Ben-Israel ist heute Leiter des Programms für Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv, wo er auch die jährliche internationale Konferenz für Cybersicherheit leitet. Zwischen 2007 und 2009 war er Mitglied der Knesset für Kadima.

Ben-Israel ist einer der führenden israelischen Experten für Weltraum-, Cyber- und technologiebezogene Sicherheit. Er hat einen Doktortitel in Philosophie und einen Bachelor in Physik und Mathematik von der Universität Tel Aviv.