Eklat zum Prozess-Start gegen Ibiza-Täter: "Schäme mich für Österreich!"
Spektakulärer Prozess-Start in St. Pölten: Mit Handschellen und Mundschutz wurde Ibiza-Drahtzieher Julian Hessentahler um 9 Uhr dem Richter vorgeführt. Gleich zum Auftakt liefert einer seiner Verteidiger einen Eklat. Er sagte, dass er sich als Anwalt für Österreich “schäme” und attackierte die Ermittler. (eXXpressTV berichtet aktuell). Dem “Ibiza-Detektiv” drohen 15 Jahre Haft. Am Mittwoch wird es noch kein Urteil geben, sagte der Richter.
Jetzt wird es eng für die Hintermänner des Ibiza-Videos: Zur Stunde steht der als Drahtzieher bekannt gewordene Ibiza-Detektiv Julian Hessenthaler in St. Pölten vor Gericht. Ihm wird der Handel mit Kokain vorgeworfen. Die Übergaben sollen laut Anklage nahe Stadt Haag im niederösterreichischen Bezirk Amstetten, in Salzburg und Oberösterreich stattgefunden haben. Und dazu kommen noch Nebenschauplätze, wie die Fälschung eines Führerscheins. Nicht nur mehrere Zeugenaussagen belasten den 40-Jährigen schwer, sondern auch Protokolle von einer Mobiltelefon-Abhörung. Der Angeklagte bestreitet laut Verteidiger die Vorwürfe.
Wie Prozessbeobachter schildern, soll Hessenthaler seelenruhig den Eröffnungsplädoyers gelauscht haben. Seine beiden Anwälte versuchten unterdessen alles, um den Angeklagten als Opfer zu präsentieren. So behauptete einer seiner Verteidiger, dass er sich für Österreich “schäme” und attackierte die Ermittler. Die Zeugen-Aussagen seien widersprüchlich, auch die Zusammensetzung der Soko-Ibiza sei ihm ein Dorn im Auge. Mit einem Urteil wird am heutigen Mittwoch noch nicht gerechnet, weil noch mehrere Zeugen einvernommen werden müssen.
eXXpressTV berichtet aktuell vom Prozess
Zahlreiche Medienvertreter und Kamerateams hatten sich zum Start der Schöffenverhandlung in St. Pölten eingefunden. Auch eXXpressTV ist vor Ort und berichtet aktuell.
Staatsanwalt Bernd Schneider hielt zu Verhandlungsbeginn mit Blick auf das Ibiza-Video fest: “In diesem Prozess hier geht es nicht um dieses Video, es geht um gänzlich andere Vorwürfe.” Die insgesamt 1,25 Kilo Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 70 Prozent sollen 2017 und 2018 nahe der niederösterreichischen Stadt Haag (Bezirk Amstetten), in Salzburg und Oberösterreich zu einem Grammpreis von 40 Euro übergeben worden sein. Damit soll Hessenthaler laut Anklage der Staatsanwaltschaft Wien Schulden beglichen bzw. seine triste finanzielle Situation aufgebessert haben.
Der Privatdetektiv soll das Kokain an einen suchtgiftabhängigen Bekannten weitergegeben haben. Dieser soll die Drogen teilweise gemeinsam mit seiner Geliebten für den Eigenbedarf verwendet haben, ein Teil soll gestreckt und weiterverkauft worden sein. Beide wurden laut Anklagebehörde vor rund einem Jahr wegen Suchtgiftdelikten verurteilt, sie sollen am Mittwoch als Zeugen aussagen. Die Frau habe eine “Lebensbeichte” abgelegt, nachdem bei ihr 133 Gramm Kokain in einem Staubsaugerbeutel gefunden worden waren, sagte der Staatsanwalt. Der Mann habe erst nach seiner Hauptverhandlung zu Übergaben durch den 40-Jährigen ausgesagt, weil seine Mutter zwei Wochen vor seinem Prozess bedroht worden und er verängstigt gewesen sei.
Verteidiger Wolfgang Auer betonte in seinem Eröffnungsvortrag: “Ich kann nur sagen: Ich schäme mich als österreichischer Rechtsanwalt und als Teil des österreichischen Justizsystems, ein derartiges Verfahren erleben zu dürfen oder zu müssen”. Das Verfahren beginne mit Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Es sei “in jeder Art und Weise” ermittelt worden, um den Drahtzieher der Aufnahmen zu finden.
Man sei “nicht imstande gewesen, eine unabhängige Soko mit unabhängigen Polizisten einzurichten”, erklärte der Rechtsanwalt, der von einem “einseitigen Verfahren” sprach. Zu den Aussagen in elf Einvernahmen der Frau, die seinen Mandanten belaste, meinte Auer: “Da stimmt von vorne bis hinten nichts. Da geht es offensichtlich schon darum, Fakten zu schaffen, damit man den Angeklagten belasten kann.” Die Angaben der Frau und des Mannes würden nicht übereinstimmen. Ein Zeuge habe angegeben, er sei unter Druck gesetzt worden, um den 40-Jährigen zu belasten. “Es geht letztlich nur darum: Den Angeklagten zu bestrafen, dass er das Ibiza-Video gemacht hat”, sagte Auer, der Hessenthaler gemeinsam mit Oliver Scherbaum vertritt.
Verteidiger Scherbaum sprach in seinem Eröffnungsvortrag davon, dass die Vorwürfe gegen seinen Mandanten “konstruiert sind, und das auch noch schlecht”. Die Ermittlungen seien mit falschen Angaben befeuert worden. “Dagegen ist jede Netflix-Serie eine Sendung mit der Maus”. Der 40-Jährige sei “aus Rache hineingelegt” worden. Es gehe daher sehr wohl um das Ibiza-Video. Nach diesem Verfahren werde man wissen, ob es in Österreich möglich sei, dass ein Aufdecker von Korruption mit falschen Anschuldigungen aus dem Verkehr gezogen werde, sagte Scherbaum.
Weitergegeben wurden laut Anklage zunächst 250 und dann jeweils 500 Gramm. Weil die erste Übergabe der größeren Menge in Haag stattgefunden haben soll, das zum Sprengel des Landesgerichts St. Pölten gehört, geht der Prozess in der niederösterreichischen Landeshauptstadt über die Bühne.
Neben Suchtgifthandel wird dem 40-Jährigen Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden vorgeworfen. Er soll einen gefälschten slowenischen Führerschein und Personalausweis, die auf den Namen einer Bekannten lauteten, besessen und übergeben sowie bei einer Polizeikontrolle am 7. Mai 2019 in Wien eine gefälschte slowenische Lenkberechtigung vorgewiesen haben. Hier sei jeweils “keine Strafbarkeit gegeben”, verwies Verteidiger Auer u.a. auf das Verbot der Doppelbestrafung.
Im Vorfeld hatten NGOs versucht, Stimmung für den Angeklagten zu machen, um weiterhin sein “Aufdecker-Image” zu wahren – möglicherweise auch, weil weitere Hintermänner jetzt um ihre Anonymität fürchten. “Dass linke NGOs im Prozess gegen Julian H. wegen des Verdachts von Drogendelikten eine ,Einschränkung der Meinungsfreiheit´ befürchten und ihn durch seine Beteiligung an der illegalen Herstellung des ,Ibiza-Videos´ als Whistleblower und Aufdecker verniedlichen, ist eine unfassbare Groteske”, meldete sich Christian Hafenecker, FPÖ-Fraktionsvorsitzender im Ibiza-U-Ausschuss, im Vorfeld zu Wort. “Nur weil Julian H. eine ihnen unliebsame, aber in der Bevölkerung bis zuletzt beliebte und erfolgreiche Bundesregierung durch eine hinterhältige Videofalle mitgestürzt hat, wollen ihm diese Herrschaften offenbar eine Generalamnestie erteilen. Ein derartiges Verständnis von Rechtsstaatlichkeit ist schlichtweg schauderhaft.”
Hessenthaler soll eine Schlüsselrolle im Zusammenhang mit dem Video gehabt haben, das den damaligen FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza im Gespräch mit einer vermeintlichen Oligarchennichte zeigt. Nach Veröffentlichung der Aufnahmen im Mai 2019 verloren nicht nur Strache und Gudenus ihre Jobs, sondern es kam auch zum Bruch der türkis-blauen Koalition. Eine Neuwahl war die Folge.
Seit März sitzt Hessenthaler wegen Tatbegehungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft – nachdem er Mitte Dezember 2020 in Berlin mit Europäischem Haftbefehl festgenommen und in der Folge an Österreich ausgeliefert worden war. Im April hatte er als Auskunftsperson im U-Ausschuss ausgesagt, dass er sich als Opfer voreingenommener und befangener Ermittlungen sehe und mit dem Video nur ein Sittenbild des österreichischen politischen Systems habe zeichnen wollen.
Kommentare