Ein Urteil, das sprachlos macht: Evelyn T. reiste als Teenager freiwillig zum IS, heiratete einen radikalisierten Dschihadisten, lebte in der IS-“Hauptstadt” Raqqa, bekam dort ein Kind – und wurde nun am Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation verurteilt. Die Strafe: zwei Jahre bedingt, drei Jahre Probezeit, Psychotherapie und Deradikalisierungsprogramm. Noch am selben Tag wurde sie enthaftet.

Was für ein Kontrast zum Grasser-Urteil!

Dabei wäre laut Gesetz ein Strafrahmen von bis zu zehn Jahren möglich gewesen. Doch das Gericht erkannte zahlreiche mildernde Umstände an: Evelyn T.s junges Alter zur Tatzeit, ihr reumütiges Geständnis – und die acht Jahre, die sie in einem syrischen Gefangenenlager verbrachte. Der Vorsitzende meinte, man sehe mit entsprechender Betreuung „eine gute Zukunftsprognose“.

Ein bemerkenswerter Kontrast: Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser muss nach einem 15 Jahre langen Verfahren vier Jahre unbedingt ins Gefängnis – wegen Untreue beim milliardenschweren Buwog-Verkauf im Jahr 2004, vor mehr als 20 Jahren. Zwar will er sich nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden – seine Strafe muss er dennoch antreten.

Natürlich: Die beiden Fälle sind juristisch kaum vergleichbar. Doch der Unterschied lässt viele Beobachter ratlos zurück – und wirft brisante Fragen zur Linie unserer Justiz auf.

Ex-Finanzminister Grasser (Bild) muss hinter Gitter – für ein Delikt, das 21 Jahre zurückliegt und das er bis heute bestreitet.APA/ROLAND SCHLAGER

Vom IS-Kalifat zurück nach Österreich

Mit 14 geriet sie in islamistische Kreise. Mit 16 flog sie ihrem Ehemann, dem späteren IS-Kämpfer „Abu Luqman al-Afghani“, hinterher. Zwei Mal versuchte sie, über Istanbul nach Syrien zu reisen – beim zweiten Mal gelang es. In Raqqa lebte sie laut eigener Aussage „wie eine Gefangene“, durfte das Haus nur vollverschleiert verlassen, „Internet war verboten“. 2017 gebar sie einen Sohn, floh mit ihrem Mann vor dem IS und geriet in kurdische Gefangenschaft.

Nach fast acht Jahren im Lager „Al-Roj“ wurde sie im März 2025 mit ihrem Kind nach Österreich zurückgeholt – und direkt verhaftet. Die U-Haft dauerte aber nur knapp über einen Monat.

Frauen und Kinder im Camp Roj: Die Gefangenen hier werden verdächtigt, dem Islamischen Staat (IS) anzugehören.APA/AFP/Delil SOULEIMAN

Emotionaler Prozess – Schulklasse musste draußen bleiben

Die Verhandlung fand unter massiver Bewachung statt – maskierte JEG-Beamte, Verfassungsschützer und Polizei sicherten den Prozess. Evelyn T. erschien in schwarzem Blazer mit offenem Haar – äußerlich erinnerte nichts an die frühere IS-Anhängerin. Der Zuschauerraum war so voll, dass sogar eine Schulklasse abgewiesen wurde.

„Ich danke für diese zweite Chance“, sagte die Angeklagte unter Tränen nach dem Urteil. Ihr Mann, mit dem sie einst nach Syrien reiste, wurde in den Irak überstellt und soll dort mittlerweile zum Tode verurteilt worden sein.

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