KHM-Geschäftsführer Paul Frey im eXXpress-Interview: "Wir rechnen mit Erholung bis Ende 2023, Wien als Standort wird attraktiv bleiben"
Paul Frey, Geschäftsführer des Museumsverbands Kunsthistorisches Museum (KHM) spricht im Interview mit dem eXXpress über die diesjährigen Museums-Highlights, wie man die Corona-Zeit zum Investieren in die Zukunft genützt hat und über die Vorzüge und Grenzen des digitalen Museums.
Österreichs Kunstmuseen ziehen normalerweise Touristen aus aller Welt an. Wie hat sich Corona auf Sie, als Österreichs größter Museumsverband, ausgewirkt?
Es war ein schmerzliches Jahr. Im Jahr 2019 besuchten insgesamt 1,8 Millionen Gäste unsere Museen, 80 Prozent davon kamen aus dem Ausland. Das reiche Mäzenatentum der Vergangenheit, das wir ausstellen, lockt viele Gäste. Bei uns gibt es alles, was Habsburg von 1450 bis 1800 gesammelt hat. Die Erholung der Fernmärkte wird allerdings noch dauern. Unsere Businesspläne sehen vor, dass wir Ende 2023 wieder dort sind, wo wir Ende 2019 waren. Manche sind skeptischer. In Wahrheit weiß man es nicht.
"Wien wird als Standort attraktiv bleiben"
Vor Beginn der Pandemie sind die Tourismuszahlen in Wien noch permanent gestiegen.
Über ein Jahrzehnt, bis Ende 2019, sind wir über den Zahlen des Wien-Tourismus gewachsen. Auch Jänner und Februar 2020 waren noch Rekordmonate. Mittlerweile erreichen uns wieder viele Anfragen, vor allem aus den für uns wichtigen Fernmärkten USA und Japan. Wien wird als Standort attraktiv bleiben. Weltweit rechnet man bis 2023/24 mit einer Erholung. Manchen Erscheinungen des globalen Massentourismus wird man anders begegnen, was nicht nur ein Nachteil ist.
"Wir investieren jetzt antizyklisch"
Wie meinen Sie das?
Ich denke, dass Städte wie Venedig sehr unter dem Massentourismus gelitten haben. Beim Wien-Tourismus wurden gute Maßnahmen ergriffen, um die Stadt breiter aufzustellen. Und auch wir haben einiges vor: Zurzeit wird eine Gebäudeinfrastruktur des 19. Jahrhunderts für Anforderungen des 21. Jahrhunderts eingesetzt. Da wollen wir besser werden. Wir investieren jetzt antizyklisch. Gerade wenn nicht so viele Gäste da sind, investieren wir für die kommenden Jahre.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir wollen die historische Architektur von gewissen Funktionen, für die sie nicht geeignet ist, freispielen, etwa im Eingangsbereich. Die Kassen im Kunsthistorischen Museum sind für einen großen Publikumsansturm nicht geeignet. An Regentagen müssen die Menschen draußen stehen. In der Erinnerung der Gäste mischen sich die Gemälde eines Rubens oder eines Bruegel mit den Bildern vom Warten an der Kasse, vom Trinken eines Cafés im Museum, und vom Lächeln der Kollegen an der Kassa. Ein Museumsbesuch ist ein Gesamterlebnis. Die „Customer-Journey“ beginnt auf der Website.
Apropos Website: Haben Sie in puncto Internet im Corona-Jahr aufgerüstet?
Wir waren schon vorher fit, haben aber unser Angebot erweitert. Seit Corona erleben wir einen enormen Zustrom zu digitalen Formaten. Unsere Donnerstag-Abend-Talks wurden sehr gut angenommen und ebenso Online-Live Führungen im Haus. Hier haben sich die Zahlen vervielfacht. Das digitale Museum wird nicht verschwinden.
"Das digitale Museum wird nicht verschwinden"
Was bietet das digitale Museum, das man im analogen nicht findet?
Die Aura des Originals ist mit den jetzigen technischen Möglichkeiten nicht ersetzbar. Der unmittelbare Moment, in dem Sie als Gast mit dem Museumsobjekt in Kontakt treten, und wo sie sich etwa fragen: „Was hat die Saliera mit meinem Leben in diesem Moment gerade zu tun?“ – den kann das Internet nicht bieten. Digital kann ich aber Content anreichern, Informationen geben, die ich analog nicht in der Fülle zur Verfügung stellen kann. Mit einer Online-Bilddatenbank kann ich etwa Querbezüge erstellen: Sie können dann auf unsere Website etwa ähnliche Tizians miteinander vergleichen, ob sie sich nun in der National Gallery, im Louvre oder im Kunsthistorischen Museum befinden. Die Besucher können sich über Plattformen ihre eigene Galerie zusammenstellen. Man kann sich Breughels Turmbau so stark aufpixeln, dass sich einem die als Pünktchen gemalte Unterhose auf einer Wäscheleine erschließt. Analog geht das nicht.
Interessanterweise vergrößert das alles nur die Lust, die Originalwerke zu sehen. Das digitale Museum nimmt Ihnen nicht die Lust und die Freude am Museumsbesuch. Das ist eine eindeutige Erfahrung von uns. Die User, die uns täglich auf Instagram oder über andere Online-Formate folgen, bedrängen uns. Ob aus Michigan oder Deutschland, sie können es nicht erwarten, uns wieder zu sehen und wollen endlich wieder kommen.
Hier wird durch das digitale Museum eine Bindung aufrechterhalten?
Das ist eine ganz große Chance der digitalen Kommunikation, dass ich mit Menschen weltweit in Kontakt treten kann.
Sie haben für die kommenden Monate bereits einiges vor.
In der Kaiserlichen Wagenburg gibt es momentan „Coronas Ahnen. Masken und Seuchen am Wiener Hof 1500 – 1918“ zu sehen. Das ist sehr spannend. Man sieht, wie am Wiener Hof früher mit Seuchen umgegangen worden ist, mit der Pest etwa und anderen Epidemien. Ab Mitte Mai kommt die partizipative Ausstellung „Höhere Mächte“ und bis Ende Juni läuft noch die Azteken-Ausstellung im Weltmuseum Wien. Der Höhepunkt erwartet unsere Gäste aber im Herbst mit Tizian im Kunsthistorischen Museum.
Momentan sind die Einheimischen die einzige Zielgruppe
Wie wollen Sie vermehrt Einheimische anlocken?
Momentan sind sie die einzige Zielgruppe, die ins Museum kommen kann. Wir haben zusätzliche Angebote für Senioren, Kinder und junge Erwachsene. Wir versuchen Menschen, die nicht zum Stammpublikum gehören, abzuholen. Das ist aber besonders schwierig, gerade in der Pandemie. Denn zurzeit versucht jeder, seine alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen. Es bedeutet einen erhöhten Kommunikationsaufwand, neue Zielgruppen anzusprechen.
Ist zeitgenössische Kunst für Sie ein Thema?
Ein großes Thema. Im Theseus-Tempel im Volksgarten zeigen wir zeitgenössische Kunst. Allerdings tun wir das immer in Rückkoppelung mit unseren Sammlungen. Viele zeitgenössische Künstler besuchen unsere Ausstellungen und lassen sich davon inspirieren. Zeitgenössische Künstler gehen aber nicht nur zu zeitgenössischer Kunst, sie suchen auch die Rückkehr zu den alten Meistern.
Corona-Hotspots gab es in Museen bisher nicht.
Museumsbesuche sind auch in Corona-Zeiten sehr sichere Aufenthaltsorte aufgrund unserer Luftaustauschraten und der enormen Raumgrößen. Wir haben den 20-Quadratmeter-Abstand pro Gast locker eingehalten, und erfüllen auch sonst alle Verordnungen. Die Menschen verteilen sich sehr gut. Wir haben hier Vorteile gegenüber kleinen Geschäften und werden wie der Handel behandelt.
Paul Frey, geboren 1974, studierte Rechtswissenschaften in Wien. Zunächst war er Assistent am Institut für Österreichische und Europäische Rechtsgeschichte an der Uni Wien, später arbeitete er unter anderem in einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft und als Vorstandsassistent bei der Anker Versicherung. Seit 2007 ist Paul Frey Geschäftsführer des KHM-Museumsverbands.
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