Flucht aus der Einsamkeit: Österreicher sind während des Lockdowns auf den Hund gekommen
Geschlossene Lokale, keine Treffen mit Freunden und Familie und nur sehr eingeschränkte Sport-Möglichkeiten – viele Menschen drohten vor allem im ersten Lockdown im März 2020 zu vereinsamen. Tierheime und Experten beschreiben einen regelrechten Hunde-Boom.
Das Interesse an Hunden ist im Corona-Jahr tatsächlich merklich gestiegen, bestätigt der Pressesprecher von Tierschutz Austria, Oliver Bayer: „ Wir haben 2020 von 1600 Tieren 477 Hunde vermittelt. Und auch aktuell zeigt sich, dass die Beratungstermine für Hunde immer über Tage ausgebucht sind, während man als Interessent für eine Katze oder ein Kleintier rasch einen Termin bekommt.“
Offizielle Zahlen bestätigen einen Anstieg an Hunden
Das spiegelt sich auch in den Zahlen der MA60 wider, die 2020 insgesamt 56.313 gemeldete Hunde verzeichnet. Das ist ein Plus von 522 Vierbeinern in Wien innerhalb eines Jahres. Psychologin und Hundeverhaltenstrainerin Mag. Alexandra Wischall-Wagner von „Freud & Hund“ sieht die Aussagekraft dieser Zahl skeptisch: „Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen ihre Vierbeiner nicht angemeldet haben und befürchte, dass die Zahl der Neo-Hundehalter deutlich größer ist. Ich habe pro Woche mindestens zehn Anfragen zu Welpenkursen.“ Den Grund dafür könnte unter anderem im offenbar wieder ansteigenden illegalen Welpenhandel über das Internet liegen. Der Tierschutz Austria-Sprecher erzählt: „Viele Interessenten waren vor allem im ersten Lockdown enttäuscht darüber, dass keine Vermittlung von Hunden stattfindet.“ Folglich wäre der Weg zu einem Hund über das Netz die logische und leider kostengünstige Konsequenz.
Wischall-Wagner ortet bei der steigenden Zahl der Hunde weitere Probleme: „Wir dürfen in den Hundeschulen seit einem Jahr so gut wie keine Gruppenkurse anbieten, obwohl wir im Freien trainieren und Abstände ohnehin immer bestehen. Gerade für die Sozialisierung von Welpen kann das verheerend sein, da sie den richtigen Umgang mit Artgenossen nicht erlenen können. Aber auch die Lockdown-Situation kann unangenehme Folgen nach sich ziehen. „Vor allem Jungtiere müssen den Kontakt zu fremden Menschen und Alltagssituationen kennenlernen, um sie als Erwachsene meistern zu können. Da die Möglichkeiten jedoch sehr eingeschränkt waren, werden diese Hunde Defizite aufweisen und sich im schlimmsten Fall zu Problemhunden entwickeln“, ist sich die Verhaltenstrainerin sicher. Kommen Hunde noch dazu nicht aus einer Zucht sondern aus sogenannten „Puppy-Mills“ (Welpenfabriken), sind Konflikte gerade in der Enge der Großstadt vorprogrammiert.
Keine Unterstützung für Halter von Listenhunden
Ein Thema für sich sind die Listenhunde. In Wien muss jeder Halter von einem Hund der Rassen Bullterrier, Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Mastino Napoletano, Mastin Espanol, Fila Brasileiro, Mastiff, Bullmastiff, Tosa Inu, Pit Bull Terrier, Rottweiler oder Dogo Argentino innerhalb von drei Monaten nach Anschaffung beziehungsweise ab einem Alter von sechs Monaten einen verpflichtenden Hundeführschein ablegen. Problematisch für Halter, die als Unterstützung eine Hundeschule aufsuchen wollten, denn diese mussten ja geschlossen bleiben und nicht jeder kann sich Einzelstunden um rund 75 Euro leisten. Für viele Neo-Hundebesitzer mag es da durchaus zynisch klingen, wenn von Seiten der Stadt Wien darauf verwiesen wird, dass der Besuch der Hundeschule keine zwingende Vorgabe für die Absolvierung des Hundeführscheins ist.
Laut Angaben der MA60 wurden 2020 lediglich 458 verpflichtende Prüfungen abgenommen, im Jahr 2019 waren es 734. Gleichzeitig wurden im Zeitraum 1.3.2020 bis 31.12.2020 467 Strafverfahren wegen eines fehlenden Hundeführscheins eingeleitet, 144 sind bereits rechtskräftig. Die MA 60 betont jedoch, dass es sich ausschließlich um solche Fälle handelt, „bei denen die Verpflichtung zur Absolvierung bereits vor dem Lockdown entstanden war. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Absolvierung noch ohne Probleme möglich gewesen wäre“. Des weiteren verweist man bei der Stadt auf das Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 das normierte, dass alle Fristen, die im Lockdown zu laufen begonnen haben, beziehungsweise noch liefen, ab dem 1. Mai 2020 neu zu laufen begannen.
Stadt Wien droht mit Strafen
Ein wenig anders bewertet Rechtsanwalt Mag. Sascha Flatz die Situation. Der Wiener Jurist hat einige betroffene Listenhundehalter erfolgreich vertreten, denen eben wegen der Nichteinhaltung eine Strafe drohte: „Die Stadt Wien besteht auf die Strafen, was eine Frechheit ist. Das Problem ist ja, dass auch wenn die Frist neu zu laufen beginnt, aufgrund des großen Rückstandes die Menschen den Hundeführschein trotzdem nicht fristgerecht absolvieren können. Zum Glück sind die Richter am Landesverwaltungsgericht Wien klüger und heben diese Strafen dann oft auf.“
Für Listenhundehalter bleiben also nach wie vor viele Fragen offen und zahlreiche von ihnen bewegten und bewegen sich beinahe ein Jahr in einer rechtlichen Grauzone. Etwa wie im Fall einer gesetzlich verordneten Quarantäne verfahren werden müsse und ob dann auch ein nicht Hundeführschein-Absolvent den Listenhund ausführen dürfe. „Wir, als größtes Tierheim Österreichs, haben an die Stadt Wien einen Appell gerichtet, in dieser Zeit Nachsicht walten zu lassen“, so Bayer vom Tierschutz Austria. Auf Nachfrage des eXXpress wurde erklärt, dass die Kontrollen Angelegenheit der Polizei seien.
Hundeschulen dürfen endlich wieder öffnen
Im Tierschutzausschuss wurde am Donnerstag der Antrag von Dietmar Keck (SPÖ), die Hundeschulen zu öffnen, einstimmig angenommen. “Jetzt soll es schnell gehen”, fordert der Tierschutzsprecher.
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