Telegram-Gründer warnt: „Was einst Freiheit war, wird zum Werkzeug der Kontrolle“
Pavel Durov schlägt Alarm! Der Telegram-Gründer warnt vor einer digitalen Dystopie, die bereits Realität wird. Das Internet, einst Symbol der Freiheit, droht zur globalen Überwachungsmaschine zu verkommen. „Unserer Generation läuft die Zeit davon, das freie Internet zu retten.“
Telegram-Gründer Pavel Durov darf Frankreich nur in Ausnahmefällen verlassen. Seit Monaten warnt er unermüdlich vor Freiheitsverlust und Zensur im Netz.APA/AFP/Thomas SAMSON
Am 10. Oktober 2025, an seinem 41. Geburtstag, veröffentlichte Durov auf X (früher Twitter) eine Botschaft, die mehr nach Manifest als nach Geburtstagsgruß klang. „Ich werde 41, aber mir ist nicht nach Feiern“, schrieb er. „Unserer Generation läuft die Zeit davon, das freie Internet zu retten, das unsere Väter für uns geschaffen haben.“
Der Gründer der beliebten Messenger-App, die weltweit rund 900 Millionen Nutzer zählt, sieht die digitale Freiheit akut bedroht – durch staatliche Überwachung, Kontrollmechanismen und Einschränkungen der Privatsphäre. „Was einst das Versprechen des freien Informationsaustauschs war, wird zum ultimativen Werkzeug der Kontrolle.“
I’m turning 41, but I don’t feel like celebrating.
— Pavel Durov (@durov) October 9, 2025
Our generation is running out of time to save the free Internet built for us by our fathers.
What was once the promise of the free exchange of information is being turned into the ultimate tool of control.
Once-free countries…
Digitale IDs, Altersprüfungen, Chat-Kontrolle: „Ein dystopischer Albtraum“
Durov nennt Beispiele: In Großbritannien sollen digitale Identitäten eingeführt werden, in Australien ab Ende 2025 verpflichtende Altersprüfungen für Online-Inhalte. In der Europäischen Union wiederum wird das Scannen privater Nachrichten diskutiert – ein Schritt, den er als „gefährlich“ und „dystopisch“ bezeichnet.
„Deutschland verfolgt jeden, der es wagt, Beamte im Internet zu kritisieren. Großbritannien sperrt Tausende wegen ihrer Tweets ein. Frankreich ermittelt strafrechtlich gegen Tech-Führungskräfte, die Freiheit und Privatsphäre verteidigen“, warnt Durov. „Das sind Länder, die einst als frei galten.“
„Während wir schlafen“: Warnung vor einem dunklen Zeitalter
In seinem Post spricht Durov von einem drohenden „dunklen Zeitalter“, das „während wir schlafen“ beginne. Seine Botschaft ist eindeutig: Wenn die aktuelle Generation nicht handelt, könnte sie die letzte sein, „die wirklich Freiheiten besitzt“ – oder, wie er es formuliert, „unsere Generation läuft Gefahr, als die letzte in die Geschichte einzugehen, die Freiheiten hatte – und sie sich nehmen ließ.“
„Man hat uns eine Lüge aufgetischt“, schrieb er weiter. „Man hat uns glauben gemacht, der größte Kampf unserer Generation sei es, alles zu zerstören, was unsere Vorfahren uns hinterlassen haben – Tradition, Privatsphäre, Souveränität, freien Markt und Meinungsfreiheit. Indem wir das Erbe unserer Vorfahren verraten, haben wir uns auf einen Weg der Selbstzerstörung begeben – moralisch, intellektuell, wirtschaftlich und letztlich biologisch.“
Diese Rhetorik passt zu Durovs langjähriger Haltung. Seit Jahren inszeniert sich der gebürtige Russe als kompromissloser Verfechter von Datenschutz und Meinungsfreiheit – und als entschiedener Gegner staatlicher Eingriffe in verschlüsselte Kommunikation.
„Lieber sterben, als Telegram verraten“
Bereits im August 2025 erklärte Durov in einem Beitrag, er würde „lieber sterben“, als Dritten Zugriff auf private Telegram-Nachrichten zu gewähren. Für ihn ist diese Haltung mehr als eine Parole – sie ist Programm. Schon 2018, als Russland Telegram blockieren wollte, antwortete er mit dem Motto: „Privatsphäre ist nicht verkäuflich.“
Verhaftung in Frankreich: Der Wendepunkt
Im August 2024 wurde Durov bei seiner Ankunft in Frankreich festgenommen. Der Vorwurf lautete, Telegram habe zu wenig gegen illegale Aktivitäten auf der Plattform unternommen – darunter Drogenhandel und die Verbreitung verbotener Inhalte.
Nach wenigen Tagen kam er unter Auflagen frei, steht aber weiter unter Beobachtung der französischen Justiz. Seit März 2025 darf er sich zeitweise außerhalb Frankreichs aufhalten, etwa in Dubai.
Durov bezeichnete die Ermittlungen als „legal und logisch absurd“. Für ihn sind sie Ausdruck eines größeren Problems – des wachsenden staatlichen Drangs zur Kontrolle über private Kommunikation.
Zwischen Vision und Selbstinszenierung
Kritiker werfen Durov vor, seine Rolle als „letzter Verteidiger der digitalen Freiheit“ gezielt zu überhöhen. Seine drastische Sprache – etwa die Behauptung, Tausende säßen in Großbritannien wegen Tweets im Gefängnis – sei übertrieben und schwer belegbar.
Juristische Experten betonen, dass Regierungen Maßnahmen wie Chat-Kontrollen oder digitale IDs meist mit dem Schutz von Kindern oder der Terrorbekämpfung begründen. Doch die Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit bleibt hoch umstritten.
Die Realität hinter der Rhetorik
Faktisch ist die Gefahr, die Durov beschreibt, nicht völlig aus der Luft gegriffen. Die EU diskutiert derzeit die Chat-Kontrolle (CSA-Verordnung), die das Scannen verschlüsselter Inhalte ermöglichen könnte.
Großbritannien arbeitet an einer Digital-ID-Initiative, die Datenschutzexperten als potenziell riskant einstufen. Australien will ab Dezember 2025 verpflichtende Online-Altersprüfungen einführen. All das nährt Durovs Sorge, das freie Internet stehe vor einem Wendepunkt – auch wenn seine dramatische Tonlage nicht alle teilen.
Wird Brüssel künftig unsere Nachrichten lesen?
Das Thema bleibt innerhalb der EU brisant. Am 9. Oktober 2025 scheiterte der jüngste Kompromissvorschlag der dänischen EU-Ratspräsidentschaft zur Chatkontrolle erneut. Von einem Ende der Debatte kann jedoch keine Rede sein: Der Entwurf soll überarbeitet und erneut verhandelt werden.
Zuvor hatte es deutliche Kritik gegeben. Die deutsche Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) betonte: „Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein.“ Private Kommunikation dürfe „nicht unter Generalverdacht gestellt“ werden, und der Staat dürfe „Messenger nicht zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen“. Auch CDU/CSU-Vertreter und mehrere Messenger-Dienste wie Signal, WhatsApp und Telegram äußerten scharfe Bedenken.
Der EU-Vorschlag, der seit 2022 diskutiert wird, sieht ein sogenanntes Client-Side-Scanning vor – also eine Durchsuchung von Nachrichten, Fotos und Videos direkt auf den Geräten der Nutzer, bevor sie verschlüsselt werden. Kritiker sehen darin nichts anderes als eine digitale Massenüberwachung durch die Hintertür.
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