Hintergrund war die Klage zweier afghanischer Frauen, die zunächst vor den österreichischen Verwaltungsgerichtshof gezogen waren. Im ersten Fall ging es um eine 1995 geborene afghanische Staatsangehörige. Nachdem ihr Vater sie habe verkaufen wollen, sei sie mit ihrer Mutter in den Iran geflohen, gab sie vor den österreichischen Behörden an. Nach einem Aufenthalt in Griechenland, wo sie als 14-Jährige heiratete, reiste sie 2015 nach Österreich ein, wo ihr Ehemann lebte, und stellte dort einen Antrag auf Asyl.

Bei der anderen Person handelte es sich um eine 2007 geborene afghanische Staatsangehörige, die nie in Afghanistan gelebt hatte. Sie stellte 2020 einen Antrag auf Asyl in Österreich. Ihr Bruder, der ebenfalls aus Afghanistan stammt, hatte dort bereits den Status als subsidiär Schutzberechtigter. In diesem Antrag machte sie geltend, sie sei aus dem Iran geflohen, wo sie mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern gelebt habe. Da keine von ihnen einen Aufenthaltstitel gehabt habe, habe sie die Schule nicht besuchen dürfen und ihre Mutter habe nicht arbeiten dürfen. Sie wolle in Freiheit leben und die gleichen Rechte wie Männer haben.

Österreich lehnt Asylgrund ab

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entschied, dass die Geschichte der ersten Frau nicht glaubwürdig sei und die zweite Frau in Afghanistan keiner tatsächlichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei. Das Amt versagte ihnen also den Flüchtlingsstatus, aber sprach beiden Personen einen subsidiären Schutz zu. Dagegen zogen die afghanischen Frauen vor Gericht. Das österreichische Verwaltungsgericht legte den Fall schließlich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Der EuGH entschied nun am Freitag insbesondere über die Frage: Können die zahlreichen Diskriminierungen, denen Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind, zusammen betrachtet werden und bilden diese eine Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention? Das Gericht urteilte: Ja. Die diskriminierenden Maßnahmen seien „aufgrund ihrer Intensität und ihrer kumulativen Wirkung“ als „Verfolgung“ anzusehen, heißt es im Urteil des EuGH.

Für das Gericht kann eine „Verfolgungshandlung“ somit auch eine Anhäufung von mehreren diskriminierenden Maßnahmen sein. Darunter fallen etwa das „Fehlen jedes rechtlichen Schutzes vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“, Zwangsverheiratungen, die Verpflichtung der Frau, ihren Körper vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen, die Beschränkung des Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen, das Verbot oder die Beschränkung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die Verwehrung des Zugangs zu Bildung, das Verbot, Sport auszuüben und die Verwehrung der Teilhabe am politischen Leben. Dies würde „durch ihre kumulative Wirkung“ die Menschenwürde beeinträchtigen.

Als Folge dieser Entscheidung müssen nun alle afghanischen Staatsbürgerinnen, die einen Asylantrag stellen, in den europäischen Staaten als Flüchtlinge anerkannt werden, unabhängig davon, wie sich ihre individuelle Situation darstellt. In Afghanistan leben derzeit über 20 Millionen Frauen. Interessant natürlich auch, ob diese anerkannten Flüchtlinge dann im Zuge des Familiennachzugs ihre Männer, vor denen sie Schutz beantragen, nachholen dürfen.