Maßgebliche europäische Politiker vertrauen anscheinend nicht mehr dem US-Atomschirm („nukleare Teilhabe“). Seit dem Kalten Krieg haben die USA mit ihm eines demonstriert: Sie sind in der Lage, bedrohte NATO-Mitgliedstaaten ohne eigene Nuklearwaffen – wie Deutschland – mit ihren Atomwaffen zu schützen. Im Jahr 1955 waren deshalb die ersten flugzeuggestützten Nuklearwaffen in der damaligen BRD stationiert worden.

Frankreich und das Vereinigte Königreich besitzen Atomwaffen, die aber nicht dem Schutz anderer NATO-Staaten dienen. Diese beiden NATO-Staaten wollen damit feindliche Mächte von Angriffen auf das eigene Territorium abschrecken.

Bisher setzt Frankreich seine Atomwaffen zum Selbstschutz ein. Könnte sich das künftig ändern? Im Bild: Staatspräsident Emmanuel Macron.APA/AFP/Ludovic MARIN

Was aber, wenn sich Deutschland und andere NATO-Staaten nicht mehr auf Washington verlassen können? Die SPD-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl Katarina Barley sprach das nun offen aus: „Angesichts der jüngsten Äußerungen von Donald Trump ist darauf kein Verlass mehr“, sagte sie dem „Tagesspiegel“.

SPD-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl Katarina Barley (r.) mit Kanzler Olaf Scholz (l.) kann sich eine EU-Atombombe vorstellen.APA/AFP/Tobias SCHWARZ

Donald Trump will säumige NATO-Staaten im Stich lassen

Der republikanische Präsidentschaftskandidat hatte am Wochenende angekündigt, im Falle einer Wiederwahl säumige Nato-Bündnispartner nicht länger zu schützen, auch nicht vor einem russischen Angriff. Bekanntlich haben fast alle NATO-Staaten die nötigen Vorgaben betreffend die eigene Landesverteidigung in den vergangenen Jahrzehnten nicht eingehalten. Donald Trumps Botschaft an sie: selber schuld!

Deutschlands Bundeskanzler Konrad Adenauer (Bild) war bereits im Zweifel, ob die USA im Fall des Falles wirklich einen nuklearen Weltkrieg riskieren werden. Doch er hoffte zumindest auf eine abschreckende Wirkung.ullstein bild/ullstein bild via Getty Images

Doch was bedeutet das für die nukleare Teilhabe, auf die deutsche Bundeskanzler seit Konrad Adenauer (CDU) immer gesetzt haben? Auf die Frage, ob die EU eigene Atombomben brauche, antwortete die SPD-Politikerin: „Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann also auch das ein Thema werden.“

Wenn säumige NATO-Staaten angegriffen werden, können die USA nichts tun, sagt Donald Trump (Bild).

Soll die EU über Atomwaffen wachen?

Atomwaffen dienen der Abschreckung. Nach den beiden Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945, bei denen mehr als 210.000 Menschen starben, wurden Atombomben nie mehr in einem Krieg eingesetzt. Dennoch müsste im Falle einer EU-Atombombe eine Frage zweifelsohne geklärt werden: Wer ist eigentlich befugt, den roten Knopf im Fall des Falles zu drücken? Frankreich? Deutschland? Ein Brüsseler Bürokrat? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen? Oder am Ende doch wieder die USA?

Die EU-Staaten werden die Befugnis, den roten Knopf zu drücken, wohl eher nicht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überlassen.REUTERS/Yves Herman

Sicher ist: Es scheint eher unwahrscheinlich, dass die EU-Staaten diese Befugnis irgendeinem EU-Beamten überlassen werden. Wahrscheinlicher ist dann wohl, dass andere NATO-Staaten mit eigenen Atomwaffen aufrüsten werden – zu ihrem eigenen Schutz und eventuell zu dem ihrer Nachbarn. Oder es bleibt alles wie bisher bei den USA…