Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat es schon mehrmals unterstrich: „Österreich wird komplett auf die russischen Gas-Lieferungen verzichten”, oder „Österreich ist auf einem guten Weg aus der Abhängigkeit vom russischen Gas“. Ende Juni kritisierte sie: Österreichs Unternehmen seien bei den Maßnahmen zum Ausstieg „noch nicht weit genug und nicht schnell genug“.

Gänzlich Anderes hört man nun von Alfred Stern (58), dem Vorstandsvorsitzenden der OMV: Österreichs OMV will auch weiterhin russisches Gas importieren, hält der Top-Manager gegenüber der „Financial Times“ fest. Auch im bevorstehenden Winter wird Österreichs Energiekonzern daher den größten Teil seines Gases aus Russland beziehen. Der Vertrag mit Gazprom läuft im Übrigen bis 2040.

Seit September 2021 ist Alfred Stern CEO der OMV.APA/AFP/JOE KLAMAR

„Solange Gazprom liefert, werden wir weiterhin diese Mengen beziehen“

Die OMV hat auch 18 Monate nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine nicht vor, aus dem langfristigen Liefervertrag mit der russischen Gazprom auszusteigen, der im Jahr 2018 unterzeichnet worden war. Russisches Gas unterliegt ja auch bis heute keinen westlichen Sanktionen. „Solange Gazprom liefert … werden wir weiterhin diese Mengen von Gazprom beziehen”, sagte Stern im Interview mit der „Financial Times“.

Ob man die EU-Sanktionen auch auf russisches Gas ausweiten solle, sei eine Frage, die von der Politik gefällt werden müsse, unterstrich Kern. Allerdings warnt er, dass der Wegfall bestimmter Quellen zu Preissteigerungen führen wird. Aus OMV-Sicht ist die Sache auf jeden Fall klar: „Als Industrieunternehmen sind wir verpflichtet, diese Quellen so lange zu nutzen, wie sie rechtlich zulässig sind.“

Die „OMV-Zentrale“ in WienAPA/ALEX HALADA

Zeitweise mehr als eine Milliarde Euro pro Monat an Russland

Die OMV hat im vergangenen Jahr 62 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Sie beliefert etwa 30 Prozent des österreichischen Gasmarktes. Größter Anteilseigner ist die österreichische Regierung. Bereits der vergangene Winter widerlegte Gewesslers Ankündigung: Das Unternehmen hat zeitweise mehr als eine Milliarde Euro pro Monat für russisches Gas an den Kreml gezahlt.

Bis heute wurden keine Sanktionen auf russisches Gas verhängt, weil es für viele Volkswirtschaften nach wie vor von zentraler Bedeutung ist. Deutschland und die Tschechische Republik haben ihre russischen Gasimporte in der Zwischenzeit dennoch auf Null reduziert, Österreich und Ungarn hingegen nicht.

Die petrochemische Industrieanlage im Besitz der OMV am Stadtrand von WienEducation Images/Universal Images Group via Getty Images

Neue Verträge mit Norwegen und LNG-Terminals in den Niederlanden

Im vergangenen Monat, nachdem die Loslösung von Russlands Gas nicht stattgefunden hat, kritisierte Leonore Gewessler: Es werde nicht genug getan. Sie forderte die heimischen Energieunternehmen auf, konkretere Fortschritte bei der Reduzierung der russischen Gasimporte zu erzielen.

Deutschland und Tschechien haben sich von Putins Gas verabschiedet – Österreich auch, hatte Gewessler zunächst angekündigt.

Diese Kritik lässt Stern nicht gelten. Entschieden weist er die Behauptung zurück, die OMV habe nichts getan. Mittlerweile hat das Unternehmen weitere Verträge abgeschlossen und sich damit Lieferungen aus Norwegen sowie von LNG-Terminals in den Niederlanden gesichert. „All dies hat uns Zugang zu nicht-russischem Gas verschafft, das mehr als genug ist, um unsere Kundenverpflichtungen zu erfüllen“, unterstreicht Stern.

Tatsächlich waren russischen Lieferungen im vergangenen Jahr sehr unzuverlässig. Sie schwankten stark und machten zwischen 20 und 70 Prozent der monatlichen Gasimporte der OMV aus.

Mega-Projekt mit Rumänien: „Bedeutender Beitrag zu Europas Versorgungssicherheit“

Überdies hat die OMV soeben zwei Milliarden Euro genehmigt, um das Neptun Deep-Gasfeld im Schwarzen Meer in einem 50-50-Joint-Venture mit der rumänischen Romgaz bis 2027 in Betrieb zu nehmen. Das Projekt wird 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas auf den europäischen Markt bringen. „Damit wird Rumänien zum größten Erdgasproduzenten in der EU und die OMV zu einem der größten Gasproduzenten in Europa“, sagte Stern gegenüber der Financial Times. „Ich denke, das ist ein bedeutender Beitrag zur europäischen Versorgungssicherheit.“

Überdies habe die OMV habe bei der Bewältigung der aktuellen Energiekrise insgesamt „einen außerordentlich guten Job“ gemacht. Aufgrund des Vertrags mit Gazprom („take or pay“) habe aber Russland die Oberhand darüber, wie viel Gas die OMV von Gazprom kaufe oder nicht. Dieser Vertrag sei aber „marktüblich“. Er hat eine Laufzeit bis 2040

Im kommenden Jahr könnten die russischen Gaslieferungen nach Österreich durch die Beendigung des bestehenden Transportvertrags zwischen Russland und der Ukraine allerdings dauerhaft unterbrochen werden.