Ministerpräsident Viktor Orban warnte gegenüber dem Radiosender Kossuth vor einer Eskalationsspirale im Ukraine-Krieg. Doch das sei „kein Videospiel“. Aussagen von Politikern hätten Konsequenzen, sie führten zu Hunderttausenden von Witwen und Waisen sowie zu zerstörten Städte. Bei der kommenden EU-Wahl müssten unbedingt Kräfte, die für Frieden sind, gestärkt werden.

Die EU wird unter Josep Borrell (Bild), dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, immer weiter in den Ukraine-Krieg hineingezogen, sagen Kritiker wie Orban.

Die Idee, Bodentruppen in der Ukraine zu stationieren, sei „schockierend“

Es sei ein seltsames Gefühl, von Ungarn nach Brüssel zu kommen, meinte Orban zu Beginn des Interviews, und bezog sich dabei auf die „Kriegsatmosphäre“ in der EU. Der Ministerpräsident betonte: Ungarn ist keine kriegsführende Partei.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (r.) macht kürzlich den Vorschlag, Bodentruppen in die Ukraine zu senden. Im Bild: Im Gespräch mit Orban (l.).APA/AFP/Sameer Al-Doumy

Der Brüsseler Politik fehle es hingegen völlig an der nötigen Distanz, um Ruhe zu bewahren: „Wir dürfen nicht die Orientierung verlieren. Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland.“ Die Idee, westliche Bodentruppen in der Ukraine zu stationieren, sei schockierend.

Ungarn dürfe nicht von dieser „Kriegspsychose“ erfasst werden

Orban zufolge ist der Westen in eine Kriegsspirale geraten, die mit der Zusicherung, Helme, aber keine Waffen zu schicken, begonnen habe. Mittlerweile spreche man offen von der Entsendung von Soldaten. „Am beunruhigendsten ist, dass dies vor zwei oder drei Monaten noch undenkbar gewesen wäre“, warnt Viktor Orban. In Deutschland werde mittlerweile über die Entsendung von Raketen diskutiert, die bis nach Moskau reichen können, und NATO-Staaten würden aufgefordert, in den russisch-ukrainischen Krieg militärisch einzugreifen. Doch wenn ein Land in einen bewaffneten Konflikt mit Russland eintritt, riskiere es einen Weltkrieg.

Der ungarische Ministerpräsident hält diese Entwicklung für alarmierend: „Für ungarische Ohren ist das schockierend, ich fühle mich wie in einer anderen Galaxie. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht von dieser Kriegspsychose infiltriert werden und unsere Fähigkeit verlieren, uns im Sinne der ungarischen nationalen Interessen richtig zu orientieren.“

Permanent schreite die Eskalation voran: „Was heute absurd und undenkbar ist, ist am nächsten Tag Realität. Das ist kein Videospiel, jedes Wort hat Gewicht, Leben werden zerstört, es sind schreckliche Dinge.“ Zum Glück spreche die ungarische Regierung „mit nüchterner Stimme von Waffenstillstand und Frieden“.

Bei der EU-Wahl müssen Kräfte für Frieden gestärkt werden

Das ursprüngliche Ziel der EU sei es gewesen, Frieden und Wohlstand zu schaffen, ruft der ungarische Ministerpräsident in Erinnerung. Doch die europäischen Führer marschierten zurzeit in Richtung Krieg marschieren, was aber den meisten Europäern nicht gefalle. „Die Gefühle der Menschen gegenüber den Brüsseler Bürokraten sind grundsätzlich negativ. Die Brüsseler Bürokraten sind das Problem“, unterstrich Viktor Orban.

Orban mit dem linken slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico (r.): Beide fordern Verhandlungen mit Russland.APA/AFP/JOHN THYS

Genau deshalb seien auch die bevorstehenden EU-Wahlen so wichtig. „Die entscheidende Frage wird nicht die Parteizugehörigkeit sein, sondern wer für Frieden und wer für Krieg ist“, sagte der Ministerpräsident. Am wichtigsten sei, möglichst viele friedensorientierte Politiker ins Europäische Parlament zu schicken. „Das Wichtigste ist, die Psychose des Krieges zu stoppen.“

Leider sei es möglich, von einem lokalen Konflikt in einen Weltkrieg zu schlittern. „Wir sollten nicht vergessen, dass die Weltkriege in Mitteleuropa begonnen haben. Selbst der Erste Weltkrieg war ein lokaler Konflikt, der sich Schritt für Schritt ausweitete“, erklärte der Ministerpräsident. „Ich warne die Politiker in Brüssel immer, vorsichtig zu sein, damit Europa nicht in eine solche Situation gerät.“